Corona & Society Blog

Diskussionsbeiträge zur Bewältigung der Coronakrise

red
Von 2020 bis 2021

Über das Projekt

„Die Corona-Pandemie ist eine Zäsur.“ Von Bundesfinanzminister Olaf Scholz stammt der Satz, Deutschland müsse sich auf eine lange Zeit der „neuen Normalität“ einstellen. Viel deutet darauf hin, dass wir es tatsächlich mit einer tiefen Zäsur zu tun haben. Schließlich gibt es kaum einen gesellschaftlichen Bereich, der von der Pandemie nicht betroffen ist. Persönliche Beziehungen verändern sich. Geschäftsmodelle kollabieren. Die Corona-Krise erschüttert unser Wirtschafts- und Sozialmodell — ein Modell, das sich schon vorher in einer Phase der Transformation befand. Sie zwingt den Staat dazu, eine aktivere Rolle einzunehmen, wodurch eine größere Offenheit der Menschen gegenüber staatlichen Interventionen und Problemlösungen entstehen könnte (allerdings verschuldet sich der Staat dafür auch massiv). Die Digitalisierung beschleunigt sich, ebenso wie der Wandel der Arbeitswelt. Neue gesellschaftspolitische Großkonflikte zeichnen sich ab.

Primat der Gesellschaft

Ein Blick auf die Pandemien der vergangenen Jahrzehnte zeigt:

Der Schlüssel zum Verständnis der neuen Herausforderung liegt gar nicht in der medizinischen Fakultät, sondern in der gesellschaftswissenschaftlichen.

Wie erfolgreich Prävention, Schutz und Behandlungen verlaufen, hängt natürlich von Früherkennung, Diagnose und therapeutischen Fähigkeiten ab. Aber wie eine Gesellschaft mit einem tödlichen Virus umgeht, liegt vor allem auch daran, welches Verständnis sie von sich selbst hat, welchen Stellenwert das Individuum besitzt und welche technischen, organisatorischen, staatlichen und finanziellen Möglichkeiten existieren.

So ließe sich beispielsweise die geringe gesellschaftliche und politische Aufmerksamkeit in Deutschland für die Pandemie-Zyklen der Asiengrippe 1958 und der Hongkong-Grippe 1968 erklären. Pandemien, Epidemien und Seuchen sind eben „im gleichen Maße ein soziales Phänomen wie ein biologisches Phänomen“, wie Laura Spinney in einer großen Studie über die „Spanische Grippe“ feststellte.

Projektleitung

Michael Miebach

Mitglied des Vorstands

Neue und alte Perspektiven

Im Zeitverlauf nimmt die gesellschaftliche Bereitschaft ab, den Lock- und Shutdown zu akzeptieren. Nie war die Sehnsucht nach der alten Normalität größer als heute. Nur wenige verstehen die neue Lage als möglichen Übergang in eine bessere, gerechtere, nachhaltigere Zukunft. Die Mehrheit begreift diese Krise nicht als Chance, sondern als negativen Einschnitt in ein gutes Leben. Das Ziel ist der status quo ante mit Büroarbeit, Kitabetreuung, geöffneten Schulen, Fernreisen und Fußball-Bundesliga. Hinzu kommt: Mächtige Lobbygruppen setzen sich dafür ein, bestehende Strukturen zu konservieren. Wird am Ende also doch alles wieder wie vorher, nur vorerst auf niedrigerem Niveau? Die Corona-Krise hätte dann gar kein Innovations-, sondern ein „Verfestigungspotenzial“ (Birte Förster).

Mit diesem neuen Blog beteiligt sich das Progressive Zentrum an der Debatte darüber, was Gesellschaft und Politik programmatisch-konzeptionell aus der Krise lernen können.

Um solche Fragen geht es in Corona & Society. In dieser Zeit des Umbruchs wollen wir Tendenzen früh aufspüren und erfassen, damit notwendige Veränderungsprozesse rechtzeitig angestoßen werden können. Dabei begreifen wir Krisen als historische Zäsuren, mit denen sich Gelegenheitsfenster zur Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse öffnen.

Was uns wichtig ist: Der Verlauf des Infektionsgeschehens lässt gegenwärtig nur erste vorsichtige Diagnosen und Prognosen zu. Es geht also um das Sammeln und um zurückhaltende Beobachtungen für eine „Soziologie der Katastrophe“ (Claus Leggewie), nicht um den „Gestus des sicheren Wissens und Gebietens“ (Hedwig Richter). Dazu gehört auch, dass selbst in den Naturwissenschaften durchaus „kontroverse Interpretationen“ gang und gäbe sind, wie Jens Flemming in seinem Beitrag schreibt. Auf Basis dieser zum Teil widersprüchlichen Interpretation muss letztlich allein die Politik entscheiden.

Umgang mit Zäsuren in Geschichte und Gegenwart

In einem ersten Schwerpunkt auf Corona & Society ergründen namhafte AutorInnen, was wir aus dem gesellschaftlichen Umgang mit Zäsuren lernen können.

In der historischen Perspektive wird deutlich, dass die Menschheit schon immer Lehren aus Krisen gezogen hat, um Wiederholungen zu vermeiden. Solche positiven Veränderungen sind aber häufig das Ergebnis langwieriger Reformen, Rückschläge inklusive.

Skeptischer ist dagegen Jürgen Kocka: Anders als nach dem Bruch des Zweiten Weltkriegs fehle es derzeit an einer ordnenden Macht, die globale Fortschrittsperspektiven gestalten könnte, wenngleich auch er Weichenstellungen für eine nachhaltigere Gesellschaft und Wirtschaft einfordert. Andere AutorInnen stimmt die nationalstaatliche Orientierung vieler Corona-Maßnahmen hinsichtlich der Frage pessimistisch, ob die richtigen Schlüsse aus der Krise gezogen werden.

Doch nicht zuletzt aus der deutschen Geschichte lässt sich auch Hoffnung schöpfen: Markus Böick und Thomas Kralinski vergleichen den Einschnitt durch Corona mit dem Wirtschaftseinbruch in Ostdeutschland nach der Wende. Während Böick sich programmatisch zurückhaltend positioniert und eine „etwas zurückgenommenere Gelassenheit“ anmahnt, leitet Kralinski durchaus programmatische Perspektiven ab: „Die Friedliche Revolution von 1989 führte zu einer kompletten Transformation des politischen Systems, zur völligen Auflösung eines Staates und zur Wiedervereinigung, zu einem Wechsel von der Plan- in eine Marktwirtschaft, zum Umbau von einer geschlossenen Gesellschaft in eine offene und demokratische Ordnung.“

Hieraus lasse sich für die Bewältigung der Corona-Krise einiges ableiten, zum Beispiel wie wichtig es ist, die Menschen im Land an der Debatte über die Gestaltung der Zukunft zu beteiligen und so einen neuen „Gemein-Sinn“ zu entwickeln.

Die Diskussion ist eröffnet.

Alle Beiträge

Mit dem Sozialen Europa aus der Krise

Ein Überblick zu Potential und Herausforderungen geplanter und laufender EU-Maßnahmen

Die Neue (Ab-)Normalität

Warum wir alle betroffen und doch mit dem Virus allein sind

Mit Wumms auch aus der Klimakrise?

Warum wir den Neustart für die ökologische Transformation nutzen sollten

Applaus alleine reicht nicht!

Substantielle und nachhaltige Verbesserungen in der Pflege sind dringlicher denn je

Politik in unbekanntem Raum

Wie wir aus der Coronakrise lernen können, Jahrhundert-Herausforderungen zu meistern

Die Coronakrise trifft die USA

Gespaltene Gesellschaft, angeschlagene Wirtschaft und Politik ohne Kompass

A Very Political Virus

The Effects of COVID-19 on the Anyway Turmoiled Poland

Corona & Rechtspopulismus in Portugal

Profitiert die Partei „Chega“ (übersetzt „Es reicht!“) von der Corona-Pandemie?

Ever Closed Borders

The fate of Schengen during the Corona crisis

The future of work and robots after Covid-19

The current recession is likely to cause serious social dislocation when we can least afford

Gender equality and the pandemic

It took a global pandemic for the words 'women' and 'leadership' to come together.

Wie sich demokratische Begegnungsräume durch Corona verändern

Zur politischen Willensbildung braucht es Begegnungen, denn nicht alle Treffen sind digital ersetzbar

In Tschechien trifft Corona auf ohnehin prekäre Einkommensverhältnisse

Warum die jetzige Krise Tschechien fundamental erschüttern könnte

Staatsgewalt mit Grenzen

Es wird Zeit für eine europäische Kooperation, die ihren Namen tatsächlich verdient hat.

Covid-19: Reflections on Crisis

What is a crisis? What do crises do?

Timely, Targeted, Temporary, and Transformative

Leitlinien für ein Konjunkturpaket gegen die COVID-19-Rezession

Normalität plus – Die Welt nach der Coronakrise

Ein Beitrag für den Blog "Corona & Society: Nachdenken über die Krise"

Corona-Governance

Politikwissenschaftliche Perspektiven und Konzepte für das Management der Krise

Wirtschaftlicher Neustart nach Corona

Erfahrungen aus dem ostdeutschen Transformationsprozess

Corona-Pandemie: Namenloser Ausnahmezustand?

Herantasten: Semantiken der „Corona-Krise“

Die Corona-Krise zeigt: Populismus braucht kein Mensch

Karl Adam mit einem Beitrag für den Blog "Corona & Society"

Die Corona-Krise: mehr als ein Warnschuss

Warum wir uns bei der Lösung der Corona-Krise nicht auf frühere Rezepte verlassen können

Aus Krisen lernen wir

Mit der Corona-Pandemie wird es nicht anders sein

Corona-Beobachtungen: Blick zurück ohne Zorn

Beobachtungen, Gedanken, Phantasien eines einstweilen Davongekommenen

Die Corona-Krise als Chance für Fortschritt?

Warum das Progressive Zentrum den Blog „Corona & Society“ startet

Vom Krisengeschehen zur Krisengeschichte

Erste Überlegungen zur Historisierung der Corona-Krise

Wir entwickeln und debattieren Ideen für den gesellschaftlichen Fortschritt – und bringen diejenigen zusammen, die sie in die Tat umsetzen. Unser Ziel als Think Tank: das Gelingen einer gerechten Transformation. ▸ Mehr erfahren