Corona & Rechtspopulismus in Portugal

Profitiert die Partei „Chega“ (übersetzt „Es reicht!“) von der Corona-Pandemie?

Portugal bildete lange Zeit die Ausnahme: Anders als in vielen anderen europäischen Staaten konnten sich rechtspopulistische Parteien nicht etablieren. Doch nun erlebt die Partei „Chega“ (übersetzt „Es reicht!“) in den Umfragen einen Höhenflug. Ist das nun eine direkte Konsequenz aus der Corona-Pandemie?


Portugal ist bisher relativ glimpflich durch die Pandemie gekommen. Der erste Corona-Fall wurde erst Anfang März gemeldet. Die portugiesischen Behörden hatten mehr Zeit, um sich auf den Ausbruch von COVID-19 vorzubereiten. Und bevor die Regierung um den sozialistischen Premierminister António Costa den Ausnahmezustand ausrief, blieben die Portugiesen aus eigener Entscheidung bereits zu Hause – wahrscheinlich auch, weil sie die Schwächen ihres staatlichen Gesundheitssystems sehr gut kennen. Die Spätfolgen der Finanz- und Staatschuldenkrise sind immer noch spürbar. Der jahrelange Sparkurs, der nicht zuletzt auf Druck der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds durchgesetzt worden war,  hat das Gesundheitssystem an seine Grenzen gebracht.

Portugal gehört innerhalb der EU zu den Staaten mit der niedrigsten Anzahl von Betten auf Intensivstationen. 

Das große Chaos blieb im äußersten Südwesten Europas jedoch aus. Mit deutlich weniger Infizierten und einer niedrigeren Sterbequote als Italien oder Spanien begann die portugiesische Regierung Anfang Mai die Corona-Zwangsmaßnahmen schrittweise zu lockern. Doch während fast in allen anderen Ländern Europas die Zahl der Infizierten im Frühling und Frühsommer deutlich absank, blieb sie vor allem im Großraum Lissabon stabil, aber vergleichsweise hoch.


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Betroffen waren vor allem die ärmeren Außenbezirke Lissabons, wo auch ein hoher Anteil von Migranten oder Portugiesen mit Migrationshintergrund leben. Dafür fanden Experten eine Reihe von Gründen: Schlechte Wohnverhältnisse, überfüllte Vorstadtzüge, niedrigqualifizierte Jobs in Lagerhallen, Schlachthäusern oder auf dem Bau sowie bei der Gebäudereinigung setzten diese Menschen weit mehr der Ansteckungsgefahr aus als andere, wohlhabendere Bevölkerungsgruppen. Ein Teil der portugiesischen Medien bemühte sich jedoch nicht um diese differenzierte Darstellung: So publizierte die auflagenstarke Boulevardzeitung „Correio da Manhã“ Fotos von Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft unter reißerischen Überschriften, die suggerierten, dass COVID-19 vor allem zu einem Problem von Migranten und Geflüchteten geworden sei.     

Diese Gemengelage nahm André Ventura, Gründungsvater und Vorsitzender der rechtspopulistischen Partei „Chega“ zum Anlass, um eine Quarantäne für Sinti und Roma in einer Art Zwangslager zu fordern. Ventura hatte bis dahin – im Gegensatz zu anderen europäischen Rechtspopulisten – die Corona-Maßnahmen der Regierung unterstützt, wollte aber offenbar noch einen drastischen Schritt weitergehen.

Dass sich der Rechtspopulist dabei Sinti und Roma als Zielscheibe ausgesucht hat, kommt nicht überraschend.

Seit Jahren nimmt Ventura immer wieder die Minderheit ins Visier, über die in weiten Teilen der portugiesischen Bevölkerung immer noch große Vorurteile herrschen.     

Die perfide Strategie scheint sich auszuzahlen: Laut einer Umfrage Mitte August kommt „Chega“ nun auf 7,9 Prozent der beabsichtigen Wählerstimmen. Bei den Parlamentswahlen vor einem Jahr hatte die Partei nur 1,29 Prozent der Stimmen erreicht. Aufgrund einer Besonderheit im Wahlrecht war André Ventura dennoch zum ersten rechtspopulistischen Abgeordneten im portugiesischen Parlament gewählt worden.

Politologen in Portugal verweisen jedoch auf weitere Gründe für den plötzlichen Erfolg von „Chega“, die nicht direkt mit der Corona-Pandemie zu tun haben. Zum einen befindet sich die rechtskonservative Partei CDS in einer tiefen Krise, von der „Chega“ nun zu profitieren weiß. Zum anderen sind die Rechtspopulisten durch den Einzug André Venturas ins Parlament zu einer scheinbar ernsthaften politischen Alternative geworden, die auch die unzufriedenen bisherigen Nichtwähler am rechten Parteienspektrum anzuziehen scheint. Und schließlich versucht sich „Chega“ offenbar erfolgreich als Anti-System-Partei zu verkaufen, die gegen Korruption und Vetternwirtschaft wettert. 

Der Aufstieg der Rechtspopulisten in Portugal hat sicherlich viele Gründe. Doch die Corona-Pandemie scheint zumindest den idealen Hintergrund zu liefern, um polarisierende, diskriminierende Botschaften ins Herz der portugiesischen Gesellschaft zu spielen.


Autor

Tilo Wagner

Freier Korrespondent
Tilo Wagner studierte Geschichte, Volkswirtschaftslehre, Spanisch, Portugiesisch und Arabisch in Mainz, Madrid, Beirut und Berlin. Er arbeitet als Freier Korrespondent für den Deutschlandfunk und andere deutschsprachige Medien in Portugal.

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