Mit Wumms auch aus der Klimakrise?

Warum wir den Neustart für die ökologische Transformation nutzen sollten

Der Neustart aus der Covid19-Krise ist eine Chance für die Transformation der deutschen Wirtschaft in Richtung Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Dekarbonisierung, Digitalisierung, Dezentralisierung und Demokratisierung sind die Schlüsselbegriffe der Zukunft.

Die Coronakrise führt zu gewaltigen volkswirtschaftlichen Herausforderungen. Weltweit hat die Corona-Pandemie zu Veränderungen und wirtschaftlichen Einbrüchen geführt. In Deutschland lag der Rückgang der realen Wirtschaftsleistung 2020 bei mehr als fünf Prozent. Doch im Vergleich zur Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 sind die Einbußen bislang noch geringer. Kreditfinanzierte Konjunkturprogramme – nicht nur in Europa und Deutschland, sondern in der ganzen Welt – stützen die Wirtschaft. 

Wirtschaften für zukünftige Generationen

Und das ist auch gut so, denn selten waren die Zinsen so niedrig wie heute. Ob Steuerstundung, Kurzarbeitergeld oder zinslose Darlehen – staatliche Garantien reduzieren langfristig ökonomische Risiken und eröffnen wirtschaftliche Chancen. Doch die aktuelle Wirtschaftskrise kann nicht gelöst werden ohne dabei Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Umweltschutz zu berücksichtigen. Es reicht nicht, einfach nur den „Neustart“-Knopf zu drücken. 

Wir wirtschaften nach wie vor zu Lasten der zukünftigen Generationen, und steuern – wenn wir nicht rechtzeitig beidrehen – ungebremst auf die nächste Krise zu, die Klimakrise.

Wirtschaftshilfen müssen somit gezielt auf die Modernisierung der Wirtschaft in Richtung Klimaschutz und Nachhaltigkeit ausgerichtet werden.¹

Wir dürfen nicht dem Trugschluss unterliegen, dass die durch die Corona-Krise teuer erkauften Emissionsminderungen ausreichen. Ohne effektive Klimaschutzpolitik kann es sogar sein, dass es zu so genannte Rebound-Effekten kommt und die Wirtschaft beim Wiederanfahren mehr Emissionen verursacht als vorher – wenn dann wieder auf die alten Technologien gesetzt wird. Insbesondere im Verkehrssektor wird es ohne Verkehrswende mit Verkehrsvermeidung, -verlagerung und -optimierung zu keiner dauerhaften und nachhaltigen Emissionsminderung kommen können. 

Die Industrie ist für die deutsche Volkswirtschaft elementar. Die deutsche Industrie muss zur Erreichung der Klimaziele in den kommenden zehn Jahren die Emissionen um etwa 24 % im Vergleich zu heute senken. Dies gelingt nur, wenn Produktionsprozesse möglichst rasch auf Klimaneutralität ausgerichtet werden. Beispielsweise muss die Fahrzeugfertigung den benötigten Stahl aus CO2-freien Verfahren gewinnen. Dies kann beispielsweise durch die Umstellung des Betriebs von Hochöfen gelingen. Statt Kohle könnte hier aus erneuerbaren Energien hergestellter Wasserstoff zum Einsatz kommen. 

Da in den kommenden Jahren ohnehin etwa 50 % aller Hochöfen altersbedingt ersetzt werden müssen, ist die Zeit günstig, diese jetzt zukunftsfähig und klimaschonend umzurüsten.² Grüner Wasserstoff ist ebenso für die Chemieindustrie oder aber als Antriebsstoff für Schwerlast-, Schiffs-, oder Flugverkehr in einer klimaneutralen Wirtschaft zentral.  Auch die Automobilbranche muss Produktionsprozesse umstellen. Im Individualfahrzeugbereich muss verstärkt auf Elektromobilität gesetzt werden, im Schwerlastbereich werden klimaschonende Antriebe benötigt. 


Der Blog
Corona & Society: Nachdenken über die Krise
Was können Gesellschaft und Politik programmatisch-konzeptionell aus der Krise lernen?


Eine zukunftsgewandte Politik

Seit Langem leidet die deutsche Wirtschaft, vor allem die Industrie, an einem Mangel an Investitionen. Dieser Investitionsstau kann nun durch zielorientierte, transformative Wirtschaftshilfen überwunden werden: Etwa für die Digitalisierung in Form von Smart Grids, Ladeinfrastruktur, klimaschonende Treibstoffe, Batterie- und Solarzellenproduktion oder für Wasserstoff in der Schwerindustrie. Auch der Schienenverkehr muss gestärkt werden. Nur dann wird der Umbau hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft, wie wir es im Rahmen internationaler Vereinbarungen längst verbindlich festgelegt haben, gelingen.

Viele Firmen orientieren sich seit einiger Zeit um und investieren bereits in klimafreundliche Technologien wie etwa die Umstellung der Stahlproduktion auf Wasserstoff oder klimaschonende Treibstoffe. 

Wenn die Politik rückwärts- statt zukunftsgewandt agiert, laufen die Unternehmen Gefahr, dass ihre Investitionen unrentabel werden und dass ihnen der weitere Umbau durch solche politischen Verzögerungen nicht gelingt. 

Diese Unternehmen brauchen Planungssicherheit und langfristig verlässliche Rahmenbedingungen. Dazu gehört die Einhaltung der Klimabeschlüsse.

Die deutsche Wirtschaft wird sich nur dann schnell erholen und zugleich die wichtige strukturelle Transformation zur Erreichung der Klimaziele erreichen, wenn die privaten Investitionen in den kommenden Monaten stabilisiert werden können. Zudem müssen die öffentlichen und kommunalen Investitionen, vor allem zur Verbesserung der Infrastruktur, gestärkt werden. Investitionsprogramms stärken die Wachstumspotenziale und die Resilienz der deutschen Wirtschaft. Dies wiederum erleichtert auch die zukünftige Rückzahlung der aufgenommenen Schulden. Zudem kurbeln Investitionsprogramme die gesamtwirtschaftliche Nachfrage an. Ein zielgerichtetes wirtschaftliches Erholungsprogramm eröffnet die Chance, die deutsche Wirtschaft durch Investitionen konsequent nachhaltig auszurichten und die notwendige sozial-ökologische Transformation zu voranzubringen.³

Umfassende Investitionen in den Klimaschutz

Auf EU-Ebene wurde Ende 2019 der Green New Deal verabschiedet. Dieser hat die Dekarbonisierung der Wirtschaft, den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Verkehrswende zum Programm. Ähnlich wie in Deutschland hätten die Wirtschaftshilfen aber noch konsequenter auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit ausgerichtet werden müssen. Das deutsche Konjunkturpaket ist zwar weniger klimaschädlich ausgefallen als ursprünglich befürchtet, gehen doch immerhin 40 Prozent der Wirtschaftshilfen in grüne Bereiche. Dringend notwendig sind jedoch deutlich umfassendere Investitionen in den Klimaschutz. 

Wünschenswert wäre eine Stärkung der Investitionstätigkeit. Die notwendige Transformation hin zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit sollte hierbei noch bewusster und gezielter unterstützt werden: 

  • Der Ausbau der erneuerbaren Energien muss schneller gehen, das Ausbautempo muss mindestens verdoppelt werden, um eine Ökostromlücke zu vermeiden. 
  • Die energetische Gebäudesanierung samt Energiesparen und dem Einsatz von erneuerbaren Energien muss vorangebracht werden, damit Häuser und Quartiere weniger Energie verbrauchen und selbst zum Anbieter von Energie werden können (Prosumer). 
  • Wir brauchen eine Verkehrswende ohne inländischen Flugverkehr, eine Stärkung der Elektromobilität auf Schiene und Straße und insgesamt eine klimaschonende Mobilität. 
  • Zusätzlich bedarf es einer Reform der Energie- und Abgabensysteme hin zur Vermeidung von umweltschädlichen Subventionen und der Bevorteilung emissionsfreier Mobilität.

Zur Überwindung der Krise braucht es lenkende Impulse und entschlossene Investitionsbereitschaft seitens des Staates. Die Investitionen sollten den Umbau der Energieversorgung hin zu erneuerbaren Energien und Energieeinsparung fördern. Staatliche Fördermittel sollten daran gekoppelt sein, dass Unternehmen von der Nutzung fossiler Energiequellen auf klimaschonende Technologien umsteigen. Die aus einem Staatsfonds finanzierten möglichen Beteiligungen an Unternehmen sollten nach strengen Kriterien erfolgen, die sich an Systemrelevanz und Klimaschutz orientieren. 

Dekarbonisierung, Digitalisierung, Dezentralisierung und Demokratisierung sind die Schlüsselbegriffe der Zukunft.

Vor allem die Digitalisierung wird auch in der Energiewirtschaft nicht mehr wegzudenken sein. Wir brauchen dringender denn je dezentrale Netze, die digital verknüpft werden zu virtuellen Kraftwerken. Es ist technisch kein Problem, dass Häuser mehr Energie erzeugen, als sie selbst verbrauchen. Das sind Kleinkraftwerke, die wir zusammenschalten können. Dies ist eine Riesenchance für die digitale Energiewende!

Die beste Schuldenbremse ist der Klimaschutz. Um zukunftsfähig zu sein, müssen wir in Richtung Klimaschutz und Nachhaltigkeit umsteuern. Nur so vermeiden wir eine dauerhafte Überschuldung der zukünftigen Generationen. Denn: Nur wenn wir gegensteuern vermeiden wir die klimapolitische Insolvenz!


Prof. Dr. Claudia Kemfert leitet seit April 2004 die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und ist Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität. Sie ist zudem stellv. Vorsitzende des Sachverständigenrats für Umweltfragen. In ihrem jüngsten Buch „Mondays for Future“ beantwortet sie über 120 Fragen zur Klimapolitik und Nachhaltigkeit.


¹ Vgl. Kemfert, Claudia: Stellungnahme Beitrag zur öffentlichen Anhörung Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum 2. Nachtragshaushalt. Berlin 29.6.2020.

² Vgl. BDI (2018): Klimapfade für Deutschland

³ Heike Belitz & Marius Clemens & Marcel Fratzscher & Martin Gornig & Claudia Kemfert & Alexander S. Kritikos & Claus Michelsen & Karsten Neuhoff & Malte Rieth & C. Katharina Spieß, 2020. „Mit Investitionen und Innovationen aus der Corona-Krise,“ DIW Wochenbericht, DIW Berlin, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, vol. 87(24), Seiten 442-451.

Autorin

Prof. Dr. Claudia Kemfert

Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
Prof. Dr. Claudia Kemfert, Abteilungsleiterin Energie, Verkehr, Umwelt, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung und Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit. Sie ist Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen. In ihrem jüngsten Buch „Mondays for Future“ beantwortet sie über 120 Fragen zur Klimapolitik und Nachhaltigkeit.

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