Es ist im Herbst 2023 aus gegebenen Anlässen viel gesagt worden über die AfD. In Thüringen konnte sie gemeinsam mit der CDU ein Gesetz zur Steuersenkung beschließen; bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern fuhr sie in gleich zwei westdeutschen Bundesländern zweistellige Gewinne ein; auf Bundesebene zeigen sich Demokraten bereits im Angesicht stagnierender Zustimmungswerte für die Partei erleichtert. An einem Punkt, an dem die AfD politisch nicht mehr ignoriert werden kann, stellt sich für alle demokratischen Parteien die Frage: Wie umgehen mit der Partei, die vom Verfassungsschutz als in Teilen gesichert rechtsextrem eingestuft wird?
Es scheint in dieser Lage für einen progressiven Think-Tank angezeigt, eine Debatte über Verantwortung und Handlungsoptionen über das eigene politische Spektrum hinaus zu führen. Im Rahmen einer Hintergrundrunde waren darum am 10. Oktober rund 40 Spitzenvertreter:innen aus Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Medien und allen demokratischen Lagern im Progressiven Zentrum zu Gast zu einem Austausch über die Brandmauer der Union – und die demokratische Verantwortung progressiver Parteien. Moderiert von der Journalistin Mariam Lau (Die Zeit), eröffneten Politikwissenschaftler Thomas Biebricher und die liberal-konservative Publizistin Liane Bednarz, die CDU-Mitglied ist, die Debatte mit Panelbeiträgen.
Biebricher zufolge entscheidet sich die Zukunft der liberalen Demokratie am gemäßigten Konservatismus. Die jüngsten Ereignisse in Thüringen können als Bestätigung dieser These gelesen werden, die er auch in seinem Buch “Mitte/Rechts. Die internationale Krise des Konservatismus” (2023) darlegt; haben sie doch erneut sichtbar gemacht, dass der CDU in der Abgrenzung zur AfD eine besondere Verantwortung zukommt.
Gleichzeitig wurde deutlich, dass das normative Gebot der Nichtzusammenarbeit die Partei vor strategische Herausforderungen stellt, ja: in eine Krise stürzt. Die Folgen und Reaktionen auf den Rechtsruck, die sich für Konservative auf internationaler Ebene beobachten lassen, reichen von Profil-Zerfall (Frankreich), über Radikalisierung (Tories) bis hin zu Kollaborationsversuchen (Österreich und Italien), um die Persona AfD zu entzaubern – was bisher wenig erfolgversprechend scheint.
Der AfD geht es um die Zerstörung der CDU
In Deutschland konnte von programmatischen Annäherungen vor allem die AfD profitieren; das zeigt eine Analyse der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft von 37 Bundes- und Landtagswahlen (vgl. DVPW, 2023). Die Union sei, so Biebricher, im internationalen Vergleich relativ stabil – eine klare Linie im Umgang mit der AfD aber habe sie bisher nicht gefunden: Formell grenze sie sich ab; rhetorisch nähere sie sich ihr an – getrieben von der Idee, ein Feindbild haben zu müssen. Die Neue Rechte interpretiere das als Geländegewinne.
Dass der AfD selbst auch gar nicht an einer Annäherung gelegen ist, verdeutlicht die Betrachtung der Figur Maximilian Krah. Am Beispiel des Mitgliedes des AfD-Bundesvorstandes und Abgeordneten im Europaparlament beschrieb Publizistin Liane Bednarz im Rahmen der Hintergrundrunde die Übergänge zwischen politischen Positionen mitte-rechts und rechts-außen. Letztere ließen sich vor allem über Antipluralismus, Antiliberalismus und Ethnopluralismus identifizieren und abgrenzen – drei Säulen, die sich in der Person Krah kumulieren.
Das Abgrenzungskonzept zur Union manifestiert sich in einem einschlägigen Zitat Krahs im Rahmen eines ARD-Interviews, in dem dieser CDU und CSU zum Hauptfeind erklärte: „Die politische Rechte kommt nur dann zum Erfolg, wenn die Christdemokraten verschwinden“. Der AfD geht es um nicht weniger als die Zerstörung der Union – und die, so Bednarz in Anbetracht der Ereignisse in Thüringen, habe verpasst zu definieren, was Zusammenarbeit bedeutet. Die Brandmauer, so könnte man formulieren, ist bisher nicht mehr als eine terminologische Barrikade – ihr fehlt das Fundament.
Welches alternative Profil hat die Union anzubieten?
Gleichzeitig warnt Biebricher davor, die Debatte zu sehr auf die Abgrenzungsarbeit zu fokussieren. Dies lenke von der eigentlich entscheidenden Frage ab: der, welches alternative Profil die Union anzubieten hat – und das sei am Ende nicht Aufgabe der CDU in Thüringen, sondern der Union auf Bundesebene. Dass die auf den Abgesang auf Deutschland und die Deindustrialisierungsdebatte afsgesprungen sei, bereite den Weg für Disruption und rechte Akteure, so Biebricher.
Krahs Kampfansage – die Zerstörung der CDU – ist aber nicht nur eine an die Union. Sie ist eine an die liberale Demokratie an sich – und verweist auf die Notwendigkeit, die Frage des Umgangs mit der AfD über das konservative Lager hinaus zu beantworten. Das gleiche Signal geht von den Ergebnissen der Landtagswahlen in Bayern und Hessen im Oktober aus, bei denen Demoskopen beachtliche Wählerwanderungsbewegungen zur AfD von allen Parteien beobachten konnten. Welche Verantwortung kommt den demokratischen Parteien insgesamt in der Lage zu – und welche auch den progressiven im Besonderen?
Zwischen konservativen und Rechts-Außen-Positionen unterscheiden
Auch wenn sich die politischen Spitzenvertrer:innen in der Runde uneins in der Frage sind, wer Schuld daran trägt, dass dies insbesondere in den vergangenen zwei Jahren nicht gelungen ist: Darüber, dass moralisierende und emotionalisierende Debattenbeiträge und gegenseitige Dämonisierungen toxische Effekte auf das demokratische Fundament insgesamt haben, herrscht Konsens. Einen Kulturkampf gelte es in Zukunft zu vermeiden. Unionsseitig gehöre dazu, so Bednarz, auf die realitätsferne Behauptung einer links-grünen Ideologie oder gar Hegemonie zu verzichten. Gleichzeitig, so Biebricher, täten Progressive ganz grundsätzlich gut daran, ein Mitte-Rechts-Lager als integralen Bestandteil demokratischer Stabilität zu begreifen.
Aus Unionskreisen verlautet darüber hinaus der Appell, die innovativen und progressiven Anliegen der CDU zur Zeit ihrer Gründung nicht zu vergessen – und in der Debatte konsequent zwischen konservativen und Rechts-Außen-Positionen zu unterscheiden. Dies bedeute für das progressive Lager beispielsweise auch auszuhalten, dass es Kritik an gesellschaftspolitischen Reformen wie dem Selbstbestimmungsgesetz gibt.
Für die Union bedeute es, so Biebricher, eine Modernisierungsagenda aufzusetzen, die Linken und Grünen nicht gefallen darf. Der Pluralismus innerhalb des demokratischen Spektrums sei das Fundament einer liberalen Demokratie. Im Vordergrund stehen muss die Arbeit an diesem Fundament in seiner ganzen Breite – damit in Zukunft weniger gesagt werden muss über die AfD.