Selbstverständlich europäisch!? 2021

Erwartungen an die deutsche Europapolitik

Zusammenfassung

Mit der anstehenden Bundestagswahl endet die Kanzlerschaft von Angela Merkel – und damit eine Epoche der deutschen Europapolitik. Eine neue Bundesregierung wird die europapolitische Bühne betreten, kurz nachdem mit dem EU-Wiederaufbaufonds eine solidarische Antwort auf die Corona-Krise gelungen ist, aber auch Kritik an der Impfstoffbeschaffung durch die EU laut wurde.

Die diesjährige, dritte Ausgabe der Studie „Selbstverständlich europäisch!?“ untersucht, welche Erwartungen die Bürgerinnen und Bürger an die Europapolitik der nächsten Bundesregierung haben. Zudem erhebt die Langzeitstudie nun schon im dritten Jahr das deutsche Selbstbild bezüglich Deutschlands Rolle in der EU.

Studienzusammenfassung

Selbstverständlich europäisch!? 2021: Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger an die Europapolitik der nächsten Bundesregierung

Eine Studie von Johannes Hillje und Dr. Christine Pütz

Übersicht des Medienechos


Die wichtigsten Ergebnisse der repräsentativen Umfrage

67,5 Prozent der Deutschen sehen in der EU-Mitgliedschaft mehr Vor- als Nachteile, für 29,7 Prozent überwiegen die Nachteile. Diese Werte sind im Vergleich zum Vorjahr nahezu unverändert. Den Nutzen der EU sehen die Deutschen politisch und wirtschaftlich: Knapp 60 Prozent der Befragten sagen, dass Deutschland seine politischen Ziele eher mit der EU erreichen kann. 53,3 Prozent sind der Meinung, dass der Nutzen der EU-Mitgliedschaft rein wirtschaftlich gesehen die Kosten überwiegt. Diese Werte sind im Vergleich zu 2020 leicht gesunken, was u.a. auf die Probleme bei der Impfstoffbeschaffung und die insgesamt wirtschaftlich schlechtere Lage zurückgeführt werden kann.

Das Verhalten der Bundesregierung in der EU haben in letzter Zeit 63,4 Prozent als kooperativ und 53,3 Prozent als aktiv wahrgenommen – diese Werte sind im Vergleich zum Vorjahr leicht gestiegen. Zwei Drittel der Deutschen wünschen sich auch für die Zukunft ein aktives und kooperatives Auftreten Deutschlands in der EU.

47,2 Prozent sind gegen eine gemeinsame Kreditaufnahme der EU-Staaten in der Zukunft – 45,4 Prozent sagen, dass dies prinzipiell möglich sein soll. Bei den parteipolitischen Lagern ist eine Mehrheit in der Anhängerschaft der Grünen, SPD und Linken dafür, bei CDU/CSU, FDP und AfD ist jeweils eine Mehrheit dagegen. Den finanziellen Beitrag Deutschlands zum EU-Budget hält eine knappe Mehrheit (52,0 %) für zu hoch. Allerdings sprechen sich 94,3 Prozent für mehr gemeinsame Ausgaben von Deutschland und den EU-Partnern in konkreten Bereichen aus, vor allem in Innovation/Forschung (52,0 %), Klima- und Umweltschutz (47,4 %) sowie sozialer Absicherung (36,0 %).

Für die Befragten sind eine gemeinsame EU-Asylpolitik (45,6 %), die Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit in der EU (40,4 %) und die Einführung von EU-weiten sozialen Mindeststandards (37,1 %) derzeit die wichtigsten Prioritäten in der Europapolitik.

81,2 Prozent der Deutschen sprechen sich dafür aus, dass der Europäische Rat zukünftig mehr Entscheidungen mit Mehrheit statt Einstimmigkeit treffen soll, nur 14,7 Prozent sind dagegen.


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Die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger an die Europapolitik der nächsten Bundesregierung

Die Studie formuliert auf Basis der Umfrageergebnisse Impulse zu den folgenden drei Bereichen:

Aktive und solidarische Europapolitik auch nach Corona:

In der Corona-Krise hat erstmals eine deutsche Bundesregierung eine gemeinsame Schuldenaufnahme in der EU unterstützt, um Investitionen zu finanzieren, die Europa aus der Krise führen sollen. Die Umfrage zeigt, dass die Deutschen dieses aktive und kooperative Verhalten Deutschlands begrüßen und eine Fortsetzung dieses Rollenverständnisses auch in Zukunft wünschen.

Insbesondere bei den Großbaustellen wie der Asylpolitik, Rechtstaatlichkeit und gemeinsamen Sozialstandards erhoffen sich die Menschen von der Bundesregierung eine gestaltende Rolle.

Ehrliche Debatte über die Fiskalunion:

Die gemeinsame Schuldenaufnahme zur Bewältigung der Corona-Krise wurde im letzten Jahr mehrheitlich von den Deutschen befürwortet. Bei der Frage, ob eine gemeinsame Kreditaufnahme auch in Zukunft prinzipiell möglich sein soll, sind die Menschen gespalten.

Da der Bedarf an Investitionen aufgrund der sozialökologischen Transformation nicht abreißen wird und die Menschen dem sozialen Zusammenhalt in der EU eine hohe Priorität einräumen, sollte die nächste Bundesregierung eine ehrliche und sachliche Debatte über die Fiskalpolitik einleiten, die sich traditioneller Zerrbilder („Transferunion“) und Mythen („Deutschland haftet für alle anderen Länder“) entledigt.

Handlungsfähigkeit durch Entscheidungsfähigkeit:

Die Klimakrise, globale Migrationsbewegungen, Digitalisierung oder die nächste Gesundheitskrise kann Europa nur dann meistern, wenn es handlungsfähig ist. Im Europäischen Rat kommt es durch das Einstimmigkeitsprinzip regelmäßig zu Blockaden durch einzelne Länder. Die Bundesregierung sollte sich daher für eine Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen stark machen.

Das Mehrheitsverfahren sollte an eine Ko-Entscheidung des EU-Parlaments geknüpft werden, damit die europäische Demokratie insgesamt gestärkt wird. Darum geht es auch bei der „Konferenz über die Zukunft Europas“, bei der sich die Bundesregierung für eine breite und wirksame Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger einsetzen sollte


Die Studie ist ein Projekt der Heinrich-Böll-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Progressiven Zentrum.

Autor:innen

Johannes Hillje ist Politik- und Kommunikationsberater in Berlin und Brüssel. Er berät Institutionen, Parteien, Politiker, Unternehmen und NGOs. Zur Europawahl 2014 arbeitete er als Wahlkampfmanager der Europäischen Grünen Partei.
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Dr. Christine Pütz

Heinrich-Böll-Stiftung
Dr. Christine Pütz ist Referentin für Europäische Union im Referat EU/Nordamerika der Heinrich-Böll-Stiftung. Bis 2007 arbeitete sie an Forschungs- und Bildungseinrichtungen wie dem Centre Marc Bloch (Berlin), dem Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung und dem CEVIPOF in Paris.
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