Nur 13 Prozent der Deutschen halten die Europäische Union für den innovativsten Wirtschaftsstandort. Innovativer sind ihrer Meinung nach China (39 %) und die USA (30 %). Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag des Think Tanks Das Progressive Zentrum. Die Umfrage wurde im Zuge der Veröffentlichung einer Grundlagen-Studie zur deutschen Innovationspolitik durchgeführt.
Über drei Viertel der Befragten sind der Meinung, dass die deutsche Regierung nicht genug für die Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft tut (78 %). Mehr als 80 Prozent stimmen der Aussage zu, die Bundesregierung solle klare Ziele für die Förderung von technologischen Innovationen setzen. Den Befragten zufolge sollten technische Innovationen vor allem der Wettbewerbsfähigkeit dienen (44 %), gefolgt von der nationalen Sicherheit (30 %), sozialer Gerechtigkeit (29 %) und Klimaschutz (28 %). Im direkten Vergleich mit China und den USA sagten nur 13 Prozent der Befragten, die EU sei der innovativste Wirtschaftsstandort. Knapp 40 Prozent halten die chinesische Wirtschaft für die innovativste, etwa 30 Prozent finden die USA als Wirtschaftsstandort am innovativsten.
Die Ergebnisse der Umfrage ergänzen eine neue Studie des Progressiven Zentrums mit dem Titel “Innovation als Schlüssel zur gerechten Transformation – Acht Impulse für die Zukunftsfähigkeit des deutschen Innovationsmodells”. Die Autor:innen Prof. Dr. Anke Hassel, Dr. Maik Bohne und Dr. Daniela Blaschke widmen sich der Frage, wie die technologische und gesellschaftliche Innovationskraft des Landes so gestärkt werden kann, dass Deutschland zum Vorreiter einer digitalen Nachhaltigkeitsökonomie wird.
Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass es Deutschlands Innovationsmodell vor allem an einer übergreifenden Strategie fehle. Zwar verfüge der Wirtschaftsstandort über Stärken wie große innovative Industrieunternehmen, eine lebendige Start-Up-Landschaft und eine starke Vernetzung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Allerdings falle die im internationalen Vergleich sehr geringe Gründungsneigung in Deutschland auf. Weiterhin stehe an den entscheidenden Stellen zu wenig Wagniskapital zur Verfügung. Besonders im internationalen Vergleich wird laut der Studie die mangelnde Konsequenz bei der Umsetzung von Missionen deutlich: Innovationspolitik müsse nicht nur Missionen definieren, sondern diese auch mit klaren Zielvorgaben operationalisieren und aktiv managen.
Die Autor:innen schlagen innovationspolitische Reformen vor, die noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden können. Anke Hassel, Co-Autorin und Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats des Progressiven Zentrums, wird konkret: ”Die Bundesregierung sollte die missionsorientierte Innovationspolitik, die im aktuellen Koalitionsvertrag angelegt ist, konsequent weiter ausbuchstabieren und Schwerpunkte setzen. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt für die Einsetzung eines Sonderbeauftragen für Innovation, angesiedelt im Bundeskanzleramt.”
Die Studie beschreibt, wie fundamental Innovationskraft angesichts der Herausforderungen von Dekarbonisierung und Digitalisierung ist. Sie schließt damit auch an die kürzlich veröffentlichte “Zukunftsstrategie Forschung und Innovation” der Regierung an. Die Studie erscheint kurz vor dem nächsten Treffen der von der Bundesregierung initiierten “Allianz für Transformation” sowie dem Forschungsgipfel 2023, die jeweils am 28. März in Berlin stattfinden.
Methodik
Für die bevölkerungsrepräsentative Umfrage wurden von Civey im Auftrag des Progressiven Zentrums 5.002 Personen am 14. und 15. März 2023 befragt.
Für die Studie wurden 16 semistrukturierte Interviews mit Expert:innen aus der deutschen Innovationslandschaft geführt, Praktiken der Innovationspolitik aus dem Ausland untersucht und ein Strategic Foresight-Workshop mit Köpfen aus Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft durchgeführt.
Autor:innen der Studie
Dr. Maik Bohne ist Policy ist Policy Fellow beim Progressiven Zentrum und beschäftigt sich als Politikwissenschaftler mit den gesellschaftlichen Gelingensbedingungen der gerechten Transformation. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centrum für Umweltmanagement, Energie und Ressourcen (CURE) an der Ruhr-Universität Bochum.
Prof. Dr. Anke Hassel ist Professorin für Public Policy an der Hertie School und Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats des Progressiven Zentrums. Ihre Forschungsschwerpunkte sind vergleichende Wirtschafts- und Sozialpolitik, Arbeitsmarktregulierung und die Analyse politischer Prozesse.
Dr. Daniela Blaschke ist Policy Fellow beim Progressiven Zentrum. Sie unterstützt das Forschungs- und Entwicklungsteam der Volkswagen Group Japan mit Analysen zum regulatorischen und gesellschaftspolitischen Kontext von Innovationen in Süd- und Ostasien und ist aktiv im Future Heads Netzwerk des Konzerns.
Medienecho zur Studie
Neue Impulse für die Innovationspolitik?
Manfred Ronzheimer