Ein Jahr Ampel: Viel erreicht, Wenige überzeugt

Die Ampel-Koalition hat in ihrem ersten Jahr viel erreicht. In der Bevölkerung herrscht jedoch ein anderer Eindruck. Woran liegt das?

Krieg und Krisen haben die Pläne der Ampel-Regierung durcheinandergewirbelt. Die Koalition hat in ihrem ersten Amtsjahr dennoch viel erreicht. In der Bevölkerung herrscht jedoch ein anderer Eindruck. Woran liegt das und was muss die Ampel in Zukunft anders machen? 

Vor einem Jahr einigten sich SPD, Grüne und FDP auf einen gemeinsamen Koalitionsvertrag. Von einer “Fortschrittskoalititon” sollte das Land von nun an regiert werden. Ehrgeizige Vorhaben wurden beschlossen: ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen, große sozialpolitische Reformen, eine umfassende Modernisierung von Verwaltung und Bürokratie – all das unter den erschwerten Bedingungen einer durch zwei Jahre Pandemie ermatteten Gesellschaft. Doch schon knapp zehn Wochen nach Übernahme der Regierungsgeschäfte wurde das Bündnis von der bitteren Realität eingeholt: Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine änderte fast alles. Die Pläne der Ampel-Koalition wurden davon nicht verschont.

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“Wenn man sich die Gesamtlage anschaut, gab es noch keine Regierung mit so einem brutalen ersten Jahr”, sagt ZEIT-Journalistin Tina Hildebrandt in der Diskussion beim Progressiven Zentrum. Aber: “Der heiße Herbst ist ausgefallen. Das Land zerlegt sich nicht. Die Gasspeicher sind gefüllt, LNG-Terminals wurden in Rekordzeit gebaut. In der Summe hat die Regierung doch mehr richtig als falsch gemacht.”

Die Bevölkerung sieht Defizite in Führungsstil und Kommunikation

Aber sieht das auch die Gesamtbevölkerung so? Das Progressive Zentrum hatte vor der Diskussionsveranstaltung am Montag das Meinungsforschungsinstitut Civey mit einer repräsentativen Umfrage beauftragt. Die Untersuchung zeigt, dass knapp ein Viertel der Deutschen der Regierung zutraut, in Krisen Willen zur Erneuerung zu zeigen, Deutschland international gut zu vertreten und langfristige Ziele zu verfolgen. 

Deutliche Defizite sieht eine überwältigende Mehrheit jedoch bei der Zusammenarbeit innerhalb des Bündnisses und in der Kommunikation mit der Bevölkerung. Nur knapp sieben Prozent bewerten diese als gut. Auch bei einer weiteren Frage ist das Ergebnis aus Sicht der Koalitionäre durchwachsen: Die Schlüsselbegriffe der drei Parteien verfangen kaum. 16,5 Prozent der Bevölkerung assoziieren die Ampel mit dem Begriff “Zeitenwende”. Mit einigem Abstand folgen “Transformation” (4,9 Prozent), “Fortschritt” (4,3 Prozent). Mehr als 60 Prozent aber verbinden die Regierung mit keinem ihrer Kernbegriffe. 

Olaf Scholz handelt, aber er begründet sein Handeln nicht

Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder weist darauf hin, dass alle Regierungen nach ihrem Amtsantritt erhebliche Probleme mit Akzeptanz und Beliebtheit in der Bevölkerung hatten – außer die Große Koalition 2014/2015. Er erkennt in den Umfragewerten jedoch auch eine dringende Aufforderung an die Regierung, ihren Führungsstil und die Kommunikation mit den Bürger:innen zu verbessern. Im Falle des Bundeskanzlers beschreibt Schroeder die Kommunikation als “reaktiv und moderierend”, er habe aber auch gezeigt, dass er durchaus in der Lage ist, sich “klar zu positionieren”. ZEIT-Journalistin Hildebrandt sieht das kritischer. Scholz steht für sie stellvertretend für viele kommunikative Defizite der Koalition. “Er tritt permanent auf, er fällt aber nicht auf. Er steht für nichts.” 

Dafür erkennt sie zwei Gründe: Zum einen denke Scholz, es gebe Reden auf der einen, und Handeln auf der anderen Seite und er habe sich eben entschieden, ein Handler zu sein. “Er hat gewissermaßen eine ostentative Verachtung fürs Reden entwickelt”, sagt Hildebrandt. “Aber kommunizieren gehört mit zum Job. Das ist als Politiker Teil von Handeln.” Zweitens konzentriere sich Scholz aufs Erklären. “Erklären ist aber nicht begründen”. Begründen bedeute eben mehr, nämlich einen Zusammenhang herzustellen “zwischen dem, was ich mache und dem Ziel, das ich verfolge. Und das macht er zu wenig”, so Hildebrandt.

Die FDP zwischen Koalitionsdisziplin und Profilbildung

Probleme in der Außenwirkung der Ampel-Koalition erzeuge jedoch auch insbesondere der Juniorpartner FDP, sagt Schroeder. Die Partei befinde sich irgendwo zwischen Koalitionsdisziplin und Profilbildung und habe große Schwierigkeiten, mit ihren Themen durchzudringen. Dafür sieht er drei Gründe: Erstens verstehe sich die Partei als ein Korrektiv einer sonst “linken” Regierung. Dieser Anspruch gelte vor allem im Hinblick auf die Ausgaben. Diese Funktion sei jedoch in der Krise, in der es zwangsläufig zu Mehrausgaben des Staates komme, kaum zu erfüllen. “Lindner versucht, dies über Schattenhaushalte und eine keynesianische Ausgabenpolitik zu umgehen”, so Schroeder. Zweitens werde das “bildungsbürgerlich-freiheitliche Mantra” nicht bedient. “Die FDP hat keine originelle Zugänglichkeit angeboten, die den Gestus der Freiheit herausstellt”. Und drittens habe die FDP das Politikfeld des technologischen Fortschritts, das sie für lange Zeit für sich beansprucht habe, nicht weiterentwickelt.

Das Fortschrittsversprechen überfordert Politik und Gesellschaft

Die Arbeit der Regierung sei gerade mit Blick auf die Randbedingungen insgesamt also durchaus als gut zu bewerten. In der Wahrnehmung der Bevölkerung spiegele sich das aber nicht wider. Dies könne auch daran liegen, dass die Fortschrittserzählung in der Gesellschaft zunehmend Überforderung auslöse, so Hildebrandt. “Die Gesellschaft insgesamt ist gestresst und erschöpft. In dieser Lage klingt eine solche Erzählung der Veränderung eher wie eine Bedrohung”. Die Politikwissenschaftlerin Astrid Séville sieht dies ähnlich. Im kürzlich veröffentlichten Online-Magazin Progressives Regieren analysiert Séville, wie sich die Regierung mit dem Begriff schwer tut und wie sie daher an vielen Stellen schon versucht, das Fortschrittsversprechen unter den neuen Krisenbedingungen umzuschreiben.  

Schroeder wiederum beobachtet kaum Debatten zur substanziellen Ausformulierung des Fortschrittsmotivs, obwohl diese dringend notwendig seien. Um Krisenpolitik und Modernisierungspolitik so miteinander zu verzahnen, dass kein Überforderungsmoment ausgelöst wird, brauche es eine solche Erzählung. Denn es sei die Aufgabe der Politik, “über den Augenblick hinaus zu denken. Die Fortschrittsmetapher könnte hier eine wichtige Rolle spielen“. 

Ein ausformuliertes, nicht überforderndes Leitmotiv könnte den Regierungsparteien möglicherweise auch mehr Orientierung in der alltäglichen Arbeit geben. Gleichzeitig fiele es der Regierung damit möglicherweise wieder leichter, der Bevölkerung zu signalisieren, dass es sich bei der Ampel um ein gemeinsames progressives Projekt handelt. 

Autoren

Benjamin Lamoureux (geb. Konietzny) war Leiter der strategischen Kommunikation des Progressiven Zentrums.
Björn arbeitete von 2021 bis 2022 im Progressiven Zentrum und unterstützte als Assistent den Referent für Grundsatzangelegenheiten. Er studiert Politikwissenschaft und Soziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, wobei er sich vor allem für Identitäten, Ungleichheiten und Aushandlungsprozesse postmigrantischer Gesellschaften interessiert.

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