Das Bekenntnis zu einer Religion hat keinen negativen Einfluss auf die Einstellung zur Demokratie als legitime und gute Staatsform. Es sind vor allem geschlossene Weltbilder und Dogmatismus, die den Pluralismus unserer Demokratie gefährden. Kann Religion das friedliches Zusammenleben sogar befördern? Diese und weitere Fragen diskutierten Hatice Durmaz, Yasemin El- Menouar, Katarina Niewiedzial, Yasemin Shooman, Ellen Ueberschär, Sebastian Reißig, Gert Pickel und Lucie Kretschmer.
Lange Zeit ist man davon ausgegangen, dass die Bedeutung von Religion in modernen, liberal-demokratischen Gesellschaften stetig abnimmt. Allerdings ist Religion auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch immer eine starke gesellschaftliche Kraft. Verändert hat sich die Religionslandschaft in Deutschland dennoch: Sie ist individualisierter und vielfältiger geworden.
Doch wie wirkt sich die zunehmende religiöse Vielfalt auf die politische Kultur aus? Hat sie Einfluss auf die Einstellungen zur Demokratie?
Im Roundtableformat diskutierten wir die Ergebnisse des aktuellen Religionsmonitors der Bertelsmann Stiftung.
Religiöse unterstützen die Demokratie, wünschen sich aber häufiger eine „Politik der starken Hand“
Die Studie „Weltanschauliche Vielfalt und Demokratie“ zeigt: Die Demokratie als Staatsform wird von Angehörigen aller Religionsgemeinschaften anerkannt und wertgeschätzt. Insgesamt sind ChristInnen und Menschen muslimischen Glaubens mit der Demokratie, wie sie sie gegenwärtig in Deutschland erleben, sogar etwas zufriedener als religiös Ungebundene. Allerdings ist der Anteil derer, die sich wünschen, dass Deutschland mit „starker Hand“ regiert wird, unter ChristInnen und MuslimInnen mit Anteilen von bis zu zwei Dritteln höher als unter „religiös Ungebundenen“ (49 Prozent).
Nicht Religion als solche, sondern exklusivistische Haltungen sind problematisch für Demokratien
Einen Einfluss auf die Haltung zur Demokratie habe es laut der Studie hingegen, wenn Menschen auf dem Absolutheitsanspruch der eigenen Religion – oder Weltanschauung – beharren und andere Glaubensüberzeugungen nicht tolerieren. Solche exklusivistischen Einstellungen sind in Deutschland unter sunnitischen Muslimen am stärksten verbreitet (32 Prozent). Unter den schiitischen Muslimen sind es 20 Prozent, unter den Katholiken 13 Prozent und unter den Protestanten 11 Prozent. Aber immerhin auch 17 Prozent der religiös Ungebundenen in Deutschland vertreten in diesem Sinne dogmatische Haltungen.
Exklusivistische Einstellungen und der Anspruch auf alleinige Deutung der Wahrheit sind demnach in gewissen Teilen verschiedener Religionsgemeinschaften erkennbar. Das Gros der Religiösen vertritt derartige Ansprüche aber nicht.
Religiöse Toleranz und Teilhabe?
Ungeachtet der Minderheitsverhätnisse exklusivistischer Einstellungen unter MuslimInnen, gibt etwa die Hälfte der Deutschen an, sich von ‘dem Islam’ bedroht zu fühlen. Nur knapp ein Drittel spricht explizit von einer Bereicherung.
Eine Teilnehmende des Roundtables konstatiert dazu, dass sich die Frage stelle, ob es sich in der Debatte um die Vereinbarkeit von Demokratie und Religion überhaupt um theologische Inhalte drehe, oder nicht vielmehr um vorwiegende Stigmata. Der Diskurs sei stark geprägt durch eine Deutung vermeintlicher Gesinnung und eine damit verbundene Abwehrhaltung gegenüber der Teilhabe ganz bestimmter gesellschaftlicher Gruppen – genauer, Menschen muslimischen Glaubens.
Weiter bedeute dies, wenn der überwiegende Teil aller Religionsgemeinschaften die Legitimität der Demokratie anerkennt und wertschätzt, gefährden dann diejenigen, die stereotype Feindbilder konstruieren und Ablehnung kultivieren nicht im erheblichen Maß den Pluralismus unserer Gesellschaft und die vorherrschend positive Einstellung zur Demokratie religiöser Menschen?
Begegnungen und Austausch als Schlüssel
Wie lassen sich geschlossene Weltbilder und Meinungen durchbrechen und das Ideal einer offenen multi-religiösen Gesellschaft attraktiver machen?
VertreterInnen der lokalen Demokratiearbeit verweisen auf Kontakt und das Gespräch mit Menschen. Ein Teilnehmender des Abends berichtet, in der langen Arbeit auf lokaler Ebene habe sich gezeigt, dass gefestigte Meinungen, Ressentiments oder Ängste nicht allein durch Bildungsformate und Wissensvermittlung überwunden werden können. Die konkrete Begegnung und Foren für Diskussionen und Gespräche mit allen religiös-weltanschaulichen Gruppen und Individuen sei hier das effektivste und nachhaltigste Mittel.
Dies bestätigt auch die Studie der Bertelsmann Stiftung: Vorherige Ablehnung, Ängste und Intoleranz ließen sich demnach durch eigene Erfahrungen und Austausch mit vermeintlich ‘Fremden’ nahezu halbieren.
Doch zivilgesellschaftlicher Austausch allein reicht nicht aus
Offene Gespräche und Kontakt lassen sich auf lokaler Ebene zivilgesellschaftlich organisieren. Für nachhaltige Begegnungen benötige es jedoch Vertrauenspersonen, die eine Brückenfunktion zu den jeweiligen Gruppen herstellen können. Letztlich seien es aber auch Gemeinschaften gleich welchen Glaubens, die ein friedliches Zusammenleben strukturieren könnten. Allgemeine moralische Konventionen, die dies ermöglichen sollen, seien hier schließlich schon formuliert.
Begleitet werden muss ein solcher Begegnungsprozess und der Schutz religiöser Minderheiten allerdings auch institutionell: Eine Teilnehmende gibt zu bedenken, dass gerade heute, akut gegen antisemitischen und antimuslimischen Rassismus vorgegangen werden müsse. Hier könne die Verantwortung nicht allein den BürgerInnen überlassen werden. Dies sei im meinungsbildenden Prozess vor allem auch Aufgabe und Verantwortung der Parteien und Politik.
Geäußerte Vorbehalte knapp jedes zweiten Menschen in Deutschland gegenüber ‘dem Islam’ sind nicht gleichzusetzen mit einer absoluten Ablehnung des Islams. Sie bilden aber Nährböden und Potential für Ausgrenzung und antiislamischen Rassismus. Wird darauf nicht adäquat geantwortet und stattdessen ein Feindbild weiter geschürt, nehmen unsere Demokratie und das friedliches Zusammenleben einen weitaus größeren Schaden.
In der Tat überwiegt jedoch der Wert der Toleranz zwischen den Religionen sowie Religiösen und Konfessionslosen in Deutschland. Wie das positive gesellschaftliche Potenzial von Religiosität aktiviert werden kann und welche Rolle die Politik dabei spielen sollte, wünschen wir uns beim Progressiven Zentrum auch in Zukunft diskutieren.
Unter der “Chatham House Rule” sprach Lucie Kretschmer mit Hatice Durmaz, Yasemin El- Menouar, Katarina Niewiedzial, Yasemin Shooman, Ellen Ueberschär, Sebastian Reißig und Gert Pickel. An der Diskussion beteiligten sich zahlreiche Gäste aus Zivilgesellschaft, Politik, Medien und Wissenschaft. Die Veranstaltung fand in Kooperation mit der Bertelsmann Stiftung statt.