Zusammenfassung
Von ungleichem Impfzugang, zur besonderen Belastung von Müttern über grundsätzliches Vertrauen ins Gesundheitssystem bis hin zum Radikalisierungspotential der Zweifelnden: Forschende der Universität Konstanz haben verschiedene Aspekte sozialer Ungleichheit in der Pandemie untersucht und geben der Politik Handlungsempfehlungen, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.
Vertraut die Gesellschaft ihrem Staat noch? Das Policy Paper untersucht die Wahrnehmungen und Einstellungen zu strukturellen Ungleichheiten in der Coronakrise auf der Basis repräsentativer Befragungen mit mehreren tausend Teilnehmenden.
Die Datengrundlage der Untersuchung bilden die Ergebnisse der beiden letzten Befragungswellen des Befragungsprogramms „Leben im Ausnahmezustand“ des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“ der Universität Konstanz im November 2020 und Mai 2021. Befragt wurden insgesamt 3282 (November 2020) und 3353 (Mai 2021) erwachsene Personen aus deutschen Privathaushalten, die bevölkerungsrepräsentativ hinsichtlich Alter, Geschlecht, Bundesland und Bildungsabschluss sind.
Übersicht der Ergebnisse
1) Vertrauensverlust in politische Institutionen
Der Gesundheitssektor, aber auch der Bildungssektor, standen sozialpolitisch im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte. Die Studie der Universität Konstanz zeigt, dass das Vertrauen in das deutsche Gesundheitssystem zu Beginn der Krise noch relativ stabil gewesen ist. Bis November 2020 beurteilte eine Mehrheit die Krisenreaktion positiv. Nach diversen Korruptionsskandalen und einem schleppenden Impfstart hat sich diese positive Beurteilung bis Mai 2021 jedoch halbiert. Besonders schlecht wird die Krisenperformanz im Bildungssektor bewertet – dort finden sich kaum positive Beurteilungen.
Insgesamt ist das politische Vertrauen von April 2020 bis Mai 2021 stark gesunken. Dieser Vertrauensverlust zieht sich durch alle politischen Lager: AfD-Anhänger:innen haben ein absolut gesehen unterdurchschnittliches Vertrauen, die Anhänger:innen anderer Parteien haben jedoch im Verhältnis mehr Vertrauen verloren.
Handlungsempfehlung: Um dem Verlust von Vertrauen in politische Institutionen entgegenzuwirken, sollte die Politik langfristig angelegte Strategien für eine verbesserte Krisenreaktionsfähigkeit entwickeln, insbesondere in den Bereichen Gesundheit und Bildung.
2) Ungleichheit beim Impfzugang
Die Untersuchung zeigt, dass die Impfmotivation der entscheidende Faktor beim Zugang zur Impfung ist. Es gibt jedoch weitere Faktoren, die eine frühzeitige Impfung wahrscheinlicher gemacht haben: Ein Arzt/eine Ärztin im persönlichen Umfeld erhöht die Wahrscheinlichkeit geimpft zu sein um fünf, eine höhere Bildung um weitere vier Prozentpunkte. Das legt den Schluss nahe, dass der Zugang zu Impfungen durch “Vitamin B” zwar erleichtert wurde, aber überwiegend gerecht zugegangen ist.
Ein weiterer Befund ist, dass bei Befragten mit Migrationshintergrund eine Impfung um sechs sowie bei einem Wohnsitz in Ostdeutschland um fünf Prozentpunkte weniger wahrscheinlich ist. Die Ursachen für diese Verteilung müssen jedoch noch genauer untersucht werden.
Handlungsempfehlung: Um den Zugang zur Impfung gerechter zu gestalten und vor allem jene, mit niedriger Motivation zu erreichen, sollte auf umfassende Kommunikation und Anreize gesetzt werden. Eine Strategie könnten persönliche Einladungen in Verbindung mit einem halben Tag “Impfurlaub” sein.
3) Besondere Belastung von Müttern
Die Pandemie hat die Lebenszufriedenheit quer durch die Bevölkerung verschlechtert, Frauen sind jedoch noch stärker betroffen, als Männer.
Besonders hohe Belastungen erfahren die Mütter von Kindern im (Vor-)Schulalter: Im Mai 2021, kurz nach den mehrmonatigen Schulschließungen, gaben über zwei Drittel der Mütter an, dass ihre Lebenszufriedenheit seit Beginn der Pandemie gesunken sei. Das sagten 70 Prozent der Frauen mit Vorschulkindern und 69 Prozent der Frauen mit Schulkindern. Bei Frauen ohne Kinder (57 Prozent) bzw. mit Kindern, die nicht (mehr) im Haushalt leben (54 Prozent) war der Anteil der Unzufriedenen deutlich geringer.
Handlungsempfehlung: Um der Mehrbelastung von Familien und besonders von Müttern in Krisenzeiten entgegenwirken, sollten zukünftige Krisenreaktionen besonders auf deren Bedürfnisse zugeschnitten sein.
4) Radikalisierung der Zweifelnden?
Die vorliegende Studie zeigt, dass es eine stabile Dreiviertel-Mehrheit gibt, die den Maßnahmen mit Akzeptanz begegnet. Dies hat sich auch im zweiten Jahr der Pandemie nicht wesentlich verändert. Allerdings schrumpfte die Zahl derer, die zwar die Maßnahmen mittrugen, jedoch Zweifel hatten. Diese wanderten zu der Gruppe der Corona-Gegner:innen, deren Anteil im im Verlaufe eines Jahres von 12 % auf 19 % anwuchs.
Handlungsempfehlung: Die Politik sollte eine weitere “Radikalisierung der Zweifelnden” unbedingt verhindern und dabei auf eine konsistente und transparente Krisenkommunikation setzen. Dazu gehört auch das ehrliche Eingestehen von Fehlern und insbesondere das Lernen aus diesen in Form sichtbar gezogener Konsequenzen.
Autor:innen
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Dieses Policy Paper wurde in Kooperation mit dem Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“ der Universität Konstanz veröffentlicht.
Inhalt
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