Zusammenfassung
Die Bevölkerung in Deutschland unterschätzt, wie ungleich Einkommen und Vermögen verteilt sind. Das zeigen die Daten der neuen Erhebungswelle des Konstanzer Ungleichheitsbarometers. Menschen mit höherem Einkommen und Vermögen neigen dazu, ihre finanzielle Situation relativ zum Rest der Bevölkerung zu unterschätzen. Personen mit geringem finanziellem Spielraum hingegen neigen dazu, ihre Situation im Vergleich zum Rest der Bevölkerung zu überschätzen. Insgesamt ordnen sich also deutlich mehr Menschen in Deutschland der Mittelschicht zu, als objektiv gerechtfertigt wäre. Dadurch wird das tatsächliche Ausmaß der Ungleichheit in Deutschland unterschätzt. Das ist eines der Ergebnisse der großangelegten Umfrage des Exzellenzclusters The Politics of Inequality der Universität Konstanz in Zusammenarbeit mit dem Progressiven Zentrum.
Kaum Unterscheidung zwischen Einkommen und Vermögen
Die Untersuchung zeigt außerdem, dass die Befragten im Großen und Ganzen nicht zwischen der Verteilung von Einkommen und Vermögen unterscheiden, wenn sie nach ihrer relativen Position gefragt wurden. Das ist insofern bemerkenswert, als dass andere Untersuchungen deutlich zeigen, dass die Vermögensverteilung in Deutschland noch einmal deutlich ungleicher zugunsten des wohlhabenden Teils der Bevölkerung ausfällt als die Einkommensverteilung. Demnach gehören den “oberen fünf Prozent” 41,6 Prozent der gesamten Vermögenswerte (Immobilien, Wertpapiere, weitere Finanzanlagen), aber “nur” 15,8 Prozent des Einkommens. Dennoch, das zeigt die vorliegende Untersuchung, wird dies von den Befragten nur sehr eingeschränkt wahrgenommen.
Größeres Gefühl der Ungleichheit im Osten Deutschlands
Bezüglich der langfristigen Entwicklung der Ungleichheit glauben 71 Prozent der Befragten, dass diese seit dem Jahr 2000 zugenommen habe. Nur 17 Prozent finden, sie habe abgenommen. Dass sie unverändert sei, meinen 12 Prozent. Danach befragt, ob die Ungleichheit in Deutschland stärker zugenommen habe als in anderen europäischen Ländern, ist eine relative Mehrheit von 35 Prozent der Meinung, dass diese „etwas höher“ als in anderen Ländern ist. Das kommt der Realität recht nahe: Laut Eurostat liegt die Ungleichheit der Einkommensverteilung in Deutschland knapp über dem EU-Durchschnitt.
Die Einschätzung der Ungleichheit im Inland fällt jedoch anders aus. Im Osten Deutschlands sind mehr Menschen der Meinung, dass die Ungleichheit in Deutschland „etwas“ oder „viel“ höher ist als in anderen Ländern Europas (insgesamt 54 Prozent im Osten im Vergleich zu 49 Prozent im Westen). Bei der Frage zu regionalen Ungleichheiten ist der Unterschied noch größer: Hier sind im Osten 53 Prozent der Befragten der Meinung, dass die Ungleichheit in ihrer Heimatregion etwas oder viel höher ist als in anderen Regionen Deutschlands – im Westen sind dies lediglich 34 Prozent.
Handlungsempfehlungen
Die Autor:innen der Untersuchung formulieren auf Grundlage dieser Ergebnisse zwei Empfehlungen an die Politik. Einerseits zeigen die Ergebnisse, dass viele Menschen in Deutschland ihre finanzielle Situation relativ zur Gesamtbevölkerung falsch einschätzen. „Bei den politisch aufgeladenen Debatten über Erbschafts- und Vermögensteuer etwa zeigt sich: Viele Menschen aus der Mitte der Gesellschaft glauben offenbar fälschlicherweise, sie seien von solchen Steuern direkt betroffen. Sie unterschätzen, wie relativ reich andere und wie relativ arm sie selbst sind“, erklärt Co-Autorin Sharon Baute. Die erste Handlungsempfehlung lautet daher, öffentliche Debatten vor allem für die besonders ungleiche Verteilung von Vermögen zu sensibilisieren und so zu einer besser informierten Wahrnehmung der Bürger:innen beizutragen.
Andererseits zeigt die Untersuchung einen weithin verbreiteten Pessimismus hinsichtlich der langfristigen Entwicklungen von Ungleichheit in Deutschland und besonders im Hinblick auf die Zukunftsaussichten jüngerer Generationen. Hier scheint es zunächst paradox, dass die Befragten das Ausmaß von Ungleichheit unterschätzen, gleichzeitig aber übermäßig pessimistisch sind, was langfristige Trends und Aussichten angeht. Dieser scheinbare Widerspruch löst sich aber auf, wenn man bedenkt, dass die Meinungen zu Trends und Aussichten weniger auf der tatsächlichen Lebenserfahrung der Befragten basieren, sondern häufig durch politisch motiviertes „Framing“ beeinflusst werden. Die zweite Handlungsempfehlung besteht daher darin, durch eine gezielte Ausrichtung von politischen Initiativen und der sie begleitenden Kommunikation auf Themen wie soziale Mobilität, Zukunftschancen, Innovation und Bildung dem grassierenden Zukunftspessimismus ein gewisses Maß an Zukunftsoptimismus entgegenzusetzen.
Autor:innen
Die heilige Kuh des deutschen Steuerrechts
Sozialtransfers, Weiterbildung, kürzere Arbeitszeiten?
Vertrauen. Impfzugang. Radikalisierung. Unzufriedenheit.
Wenn alle Teil der Mittelschicht sein wollen: (Fehl-)Wahrnehmungen von Ungleichheit und warum sie für Sozialpolitik wichtig sind
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Autor:innen
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