Das Progressive Zentrum hat gemeinsam mit der Foundation for European Progressive Studies zur Lunch Lecture eingeladen. Am 16.01.2017 stellte Lukas Haffert, Oberassistent am Lehrstuhl für vergleichende politische Ökonomie der Universität Zürich, sein Buch vor. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir dieses Interview.
„Die schwarze Null. Über die Schattenseiten ausgeglichener Haushalte“ stellt die weit verbreitete Euphorie um den ausgeglichenen Haushalt infrage. Warum gerade progressive Kräfte bei der Schwarzen Null genauer hinsehen sollten, darüber sprachen Peter Kuleßa und Marius Mühlhausen mit ihm.
Herr Haffert, im Jahr 2014 verabschiedete der Deutsche Bundestag erstmals einen ausgeglichenen Haushalt. Seitdem ist die sogenannte Schwarze Null zu einem mächtigen politischen Symbol geworden. Wofür steht sie?
Für die einfache – und letztlich zu einfache – Vorstellung, es sei stets eine gute Sache, wenn ein Staat nicht mehr ausgibt, als er einnimmt. Dass dieser Zustand nun nach mehr als vier Jahrzehnten in Deutschland wieder erreicht worden ist, führt zu einer beträchtlichen Euphorie.
Könnte man sagen, die Schwarze Null ist heute die schwäbische Hausfrau der Fiskalpolitik?
Das trifft es! Dahinter steht die Vorstellung, eine ordentliche schwäbische Hausfrau erziele jedes Jahr eine Schwarze Null. Das stimmt aber für den Staat nicht, und es stimmt in Wahrheit auch für die schwäbische Hausfrau nicht. Um im Klischee zu bleiben: Die schwäbische Hausfrau ist auch Häuslebauerin. Und wer immer nur Schwarze Nullen schreiben will, wird nie an eine Immobilie kommen. Die eigentliche Frage ist: Wofür nimmt man Schulden auf?
Die progressiven Kräfte verbinden mit der Schwarzen Null im Wesentlichen die Erwartung, die Handlungsfähigkeit des Staates zu stärken.
Diese progressive Konsolidierungsthese basiert auf einer Diagnose, wonach das Anwachsen der Staatsverschuldung in den letzten Jahrzehnten dazu geführt hat, dass der Staat über immer geringere finanzielle Spielräume verfügt. Er muss diese Gestaltungsspielräume also zurückgewinnen. Und das soll erreicht werden, indem man den Haushalt saniert und insbesondere die Zinskosten reduziert.
Unklar ist, ob sich die Versprechen und Erwartungen an mehr Investition auch erfüllen. Sie haben eine vergleichende Analyse über Länder gemacht, die über längere Zeit Überschüsse erzielt haben. Was lehrt uns der Blick auf diese Länder?
Zunächst einmal, dass im internationalen Vergleich die Schwarze Null nicht derart ungewöhnlich ist, wie es scheint. Vor allem aber zeigt er, welche der beiden Möglichkeiten, die ein Haushaltsüberschuss bietet, sich durchsetzen konnten: hat man mehr investiert, was die Hoffnung der progressiven Kräfte ist, oder hat man vor allem Steuern gesenkt, was Marktliberale wollen? Das Ergebnis: Nur ein kleiner Teil der neu gewonnenen Spielräume ist in Investitionen geflossen. Sowohl die Infrastrukturausgaben als auch die Bildungsausgaben wurden bestenfalls leicht erhöht. Stattdessen wurde der größte Teil der Überschüsse für Steuersenkungen verwendet.
Der Ländervergleich zeigt also, dass die Hoffnungen der progressiven Kräfte nicht Realität werden. Aber im Kern ist der Staat ja dennoch handlungsfähig, weil er die Wahl hat, was er tun will.
Das wäre dann richtig, wenn die Entscheidung über die Verwendung der Überschüsse tatsächlich eine freie Wahl wäre. Das ist aber nicht der Fall. Die empirischen Daten zeigen: Einmal verlorene Handlungsfähigkeit gewinnt man nicht wieder zurück. Dabei kommt vor allem die Frage ins Spiel, wie man so eine Schwarze Null erreicht. Sozialwissenschaftler sprechen hier von Pfadabhängigkeit. Deutschland ist da derzeit aufgrund der extrem niedrigen Zinsen in einer gewissen Sondersituation. Aber ein dauerhaftes Defizit in einen dauerhaften Überschuss zu verwandeln, kann in der Regel nur über einen jahrelangen Sparkurs gelingen, der langanhaltende politische Effekte hat.
Was bedeutet das konkret für die Bürgerinnen und Bürger?
Das bedeutet, dass eine Schwarze Null klare Verteilungswirkungen hat. So haben von einer Einkommensteuersenkung infolge der Schwarzen Null nur diejenigen etwas, die überhaupt Einkommensteuer zahlen. Für all diejenigen, die gar nicht einkommensteuerpflichtig sind oder deren Einkommen unter dem Grundfreibetrag liegt, ist das uninteressant. Das sind aber genau die Leute, die unter den Sparmaßnahmen auf dem Weg hin zur Schwarzen Null leiden. Die Gewinner der Schwarzen Null sind deshalb andere als diejenigen, die mit den Kürzungen des Staates leben müssen.
Wenn es so klare Gewinner und Verlierer gibt, muss es doch erstaunen, dass weite Teile der Öffentlichkeit und fast unisono alle Parteien die Schwarze Null nicht anfechten. Wo bleibt der Meinungsstreit?
Wer die Schwarze Null kritisiert ist schnell dem Vorwurf ausgesetzt, gegen hehre normative Ziele wie Generationengerechtigkeit zu sein. Und wer will schon dagegen sein? Vor allem deshalb ist die starke Symbolkraft der Schwarzen Null so problematisch. Sie führt dazu, dass der Ruf nach Differenzierung kaum mehr durchdringt. Die Gewinner der schwarzen Null können sich auf positiv besetzte Werte wie Generationengerechtigkeit berufen; die Verlierer stehen blöd daneben und haben nichts symbolisch Gleichwertiges, worauf sie sich beziehen können.
Dabei wäre es ja auch möglich, die Schwarze Null zu erhalten und die Einnahmeseite des Staates zu erhöhen. Wäre das die Antwort der progressiven Kräfte?
Auf dem Papier wäre das ideale progressive Politikangebot, keine neuen Schulden zu machen, aber trotzdem mehr zu investieren. Also sicherzustellen, dass zusätzliche finanzielle Spielräume tatsächlich in politische Gestaltungskraft fließen. Und zu diesem Zweck im Zweifel auch Steuern zu erhöhen. Dieser Vorschlag blendet allerdings die bestehenden politischen Interessen und Machtverhältnisse aus. Es ist ein Elfenbeinturmvorschlag. Wenn einmal ein ausgeglichener Haushalt vorliegt, ist es fast unmöglich zu vermitteln, wieso dennoch Steuern erhöht werden sollten. Ein progressives Politikangebot muss deshalb unbedingt den Weg hin zur Haushaltskonsolidierung in den Blick nehmen. Bereits da werden die entscheidenden Weichen gestellt.
Eine Langversion dieses Interviews erscheint in der Ausgabe 1/2017 der „Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit“ Ende Februar: http://www.tup-online.com/