Die große Konferenz

Wie kann gute BürgerInnenbeteiligung bei der Konferenz zur Zukunft Europas gelingen?

Die Konferenz zur Zukunft Europas verfolgt ein ambitioniertes Ziel: Nichts geringeres als die Wiederherstellung des Vertrauens in die EU steht auf dem Plan. Wie genau das gelingen soll, ist dabei zum jetzigen Zeitpunkt allerdings noch offen. Beteiligung der BürgerInnen scheint die Lösung – aber wie? Im Roundtablegespräch, in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Stiftung, diskutierten wir verschiedene Lösungsansätze.

In der Vorstellung der politischen Leitlinien ihrer Kommissionspräsidentschaft kündigte Ursula von der Leyen mit der Konferenz zur Zukunft Europas ein ambitioniertes Projekt an: In einem zweijährigen Prozess sollen die EU-Institutionen unter Einbindung der organisierten Zivilgesellschaft, nationaler Parlamente und insbesondere der EU-BürgerInnen einen Aktionsplan für die Zukunft der EU entwickeln. 

Scheinbeteiligung wäre fatal

Die Konferenz soll sich dafür in mehreren thematischen Sessions zentralen Politikfeldern (Klima, digitale Transformation, soziale Gerechtigkeit, Sicherheitspolitik und Rechtsstaatlichkeit) und demokratiepolitischen Maßnahmen (SpitzenkandidatInnenprinzip und transnationale Listen) widmen. Gar von möglichen Vertragsveränderungen ist die Rede. Über Form und Verbindlichkeit der Ziele der Konferenz besteht unter den beteiligten AkteurInnen allerdings Uneinigkeit. Während das EU-Parlament dafür plädiert, dass die Institutionen sich verpflichten, die Empfehlungen der Konferenz möglichst zeitnah in konkrete legislative und ggf. vertragliche Schritte umzumünzen, halten sich Kommission und Mitgliedstaaten hierzu bisher zurück. 

Einig sind sich Parlament, Rat und Kommission hingegen darin, dass die Konferenz kein technokratischer top-down Prozess werden soll. Vielmehr plädieren alle EU-Institutionen dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger von Beginn an eng eingebunden und so bei der Entwicklung der künftigen Gestalt der EU direkt beteiligt werden. Dadurch ist allerdings die Fallhöhe des Vorhabens entsprechend hoch. Denn schlecht gemachte BürgerInnenbeteiligung schadet der europäischen Demokratie. Es ist daher von hoher Bedeutung, dass die Beteiligung der BürgerInnen an der Zukunftskonferenz umsichtig aufgesetzt und klug choreographiert wird.

Mitreden, konsultieren, entscheiden – verschiedene Modelle der Beteiligung 

Um Potenzial und Ausgestaltung der Konferenz, im Besonderen aber die Gestaltung der Beteiligungsform, zu erörtern, brachten wir in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Stiftung ExpertInnen aus  Europapolitik und Partizipationsforschung an einen Tisch. 

In dem Papier “Konferenzgeflüster” der Bertelsmann Stiftung legt Dr. Dominik Hierlemann, Senior Expert Partizipation in Europa, drei mögliche Szenarien der Bürgerbeteiligung vor: Vorstellbar wären demnach, neben schlicht erweiterten “Europäischen BürgerInnenkonsultationen”, -ECC Plus genannt, ein Modell basierend auf groß angelegten BürgerInnenversammlungen oder, in Anlehnung an irische Beteiligungsformen, ein Modell mit “Demokratielaboren”. Ein Format welches dort bereits gute Ergebnisse erzielen konnte.

Die Szenarien unterscheiden sich folglich in Höhe und Ausmaß der gewünschten Beteiligungsintensität. Während das erste Modell lediglich Ergebnisse verschiedener nationaler BürgerInnenkonferenzen zur großen Zukunftskonferenz beitrüge, entstünden beim Modell der Demokratielabore Ergebnisse im engen, transnationalen Austausch von BürgerInnen und Politik.

Am wahrscheinlichsten scheint daher der Mittelweg: Ein Modell basierend auf “Citizens’ Assemblies” zufällig ausgewählter BürgerInnen, die mehrmalig, qualifizierte Vorschläge zu Themen und Lösungen ausarbeiten.

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Für eine solches Modell plädiert auch das Europaparlament, welches erst kürzlich eine entsprechende Resolution verabschiedete. Demnach favorisieren die Mitglieder des Europäischen Parlaments die Einrichtung mehrerer nationaler Agoras, zusammengesetzt aus bis zu 300 BürgerInnen, eines Konferenzplenums sowie eines Steuerungskomitees, dem voraussichtlich der Europaabgeordnete Guy Verhofstadt vorsitzen wird.

Konkrete Vorschläge statt abstrakter Wunschlisten

Petra Pinzler, Hauptstadtkorrespondentin und ehemalige EU-Korrespondentin der ZEIT steht dieser Idee skeptisch gegenüber: Neben dem konkreten Design der Konferenz sei schlicht unklar, wie thematische Relevanz erzeugt werden könne. Dass Bürgerinnen und Bürger zu Zukunftsthemen der EU mit einander reden sei zwar nett, erhöhe aber weder die Legitimation noch die Handlungsfähigkeit der EU, so Pinzler.  

Man dürfe die Wirkung aktiver BürgerInnenbeteiligung hingegen nicht unterschätzen, sagt Dr. Nils Schmid, Mitglied der SPD-Fraktion im Bundestag und maßgeblich beteiligter Urheber der Volksabstimmungen zum Bahnprojekt “Stuttgart 21”.

Es fehlt in der Tat an einer erkennbaren und aktiv beteiligten EU-Öffentlichkeit, die für Legitimation der Institutionen und deren Entscheidungen zwingend nötig ist.

Diese zu entwickeln bedürfe aber eines zeitintensiven Prozesses und entsprechender Lernphasen. BürgerInnenbeteiligung dürfe hier “nicht zur Eintagsfliege verkommen” und Erwartungshaltungen müssten im Voraus geklärt und gegebenenfalls abgeschwächt werden: Auch wenn BürgerInnenbeteiligung gern mit direkter Entscheidungsfindung in Verbindung gebracht würde, so Schmid, sei das Kredo viel mehr “Bürger werden gehört aber nicht erhört”.

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Ziel der Beteiligung solle also nicht eine singuläre offene Debatte zur zukünftigen Ausgestaltung Europas sein, an deren Ende eine abstrakte Wunschliste steht. Vielmehr sollten die BürgerInnen zu konkreten Fragestellungen konsultiert werden, die laut Schmid im Voraus von den EU-Institutionen vorgegeben werden könnten. Der gesamte Prozess der europäischen Bürgerbeteiligung, so Christoph Müller-Hofstede, Projektleiter der Bundeszentrale für politische Bildung und Gast der Veranstaltung, müsse  aber über einen längeren Zeitraum gedacht und etabliert werden. 

Bürgerbeteiligung soll repräsentative Demokratie ergänzen, nicht ersetzen

Ihre Erfahrungen in Brüssel sprächen gegen die Erwartungshaltung, die Beteiligung der BürgerInnen könne zu verbindlichen Ergebnissen führen, sagt Petra Pinzler. Die EU sei und bleibe auf gewisse Weise bürgerfern. Aus dem Grund habe man aber repräsentative Gremien geschaffen, deren Mitglieder damit beauftragt sind, die Interessen der BürgerInnen zu vertreten und durch sie legitimierte Entscheidungen zu treffen. 

Es bestehe außerdem die berechtigte Befürchtung, die Konferenz könnte zwischen den Institutionen zerrieben werden, so ein Einwurf einer der Teilnehmenden am Roundtable-Gespräch. Ihre Ergebnisse würden letztlich unverbindlich bleiben und wenig Mut erzeugen, auf diesem Weg weiterzugehen.

Letztlich sei der Vorschlag Ursula von der Leyens jedoch ein Schritt in die richtige Richtung resümiert Dr. Hierlemann. Beteiligung der EU-Bürgerinnen und Bürger an politischen Verfahren bedeute eben nicht, repräsentative Organe zu umgehen oder direkt-demokratische Mechanismen zu etablieren. Allein Größe und geplanter Umfang der Konferenz würden aber nötigen Druck erzeugen, sich mit Ergebnissen der Konferenz legislativ auseinanderzusetzen. Hier fehlte es bisher jedoch an Mut, Verbindlichkeiten zu sichern. Der ambitionierte Aufschlag von der Leyens könne hier Nachdruck verleihen.

Uneinigkeit und knappe Zeit

Abschließend zeigt sich angesichts der Konferenz zur Zukunft Europas ein durchwachsenes Bild: Zu viele grundsätzliche Fragen sind zum jetzigen Zeitpunkt ungeklärt. Sie stoßen nicht nur auf hohe Ambitionen und Erwartungen, zukünftig endlich zu einem gemeinsamen Europa der Bürgerinnen und Bürger zu werden, sondern auch auf eine gemischte Interessenlage seitens der EU-Institutionen: Während die einen von Vertragsänderungen und innovativen Beteiligungsformen sprechen, so schwächen erste Informationen zur Stellungnahme der Kommission derartige Vorhaben ab. Sie gehe in weiten Teilen mit dem Vorschlag des Parlaments, vermeide aber institutionelle Reformen. Die Formulierung “Vertragsänderungen” sei gänzlich aus dem Vorschlag gestrichen worden, berichtete POLITICO bereits vorab am Dienstag.

Schon am 9. Mai, dem Europatag, soll die Konferenz ihren Auftakt feiern. Es bleibt also nicht mehr viel Zeit, um die vielen offenen Fragen zu Design, Themenschwerpunkten und Zielsetzung zu klären. Angesichts der teilweise selbst geschürten hohen Erwartungen an das Prestigeprojekt wird dies jedoch immer wichtiger.

Autoren

Paul Jürgensen

Senior Grundsatzreferent
Paul Jürgensen ist Senior Grundsatzreferent des Progressiven Zentrums. In dieser Funktion verantwortet er übergreifende Projekte in den Themenfeldern „Gerechte Transformation“ und „Progressives Regieren“.
Johannes war von Januar bis März 2020 Praktikant beim Progressiven Zentrum im Bereich Zukunft der Demokratie. Nach seinem Bachelorstudium der Politik und Soziologie absolvierte er seinen Master der Kommunikationswissenschaft an der Vrije Universiteit Brussel.

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