Das Progressive Zentrum lud am 16. Januar gemeinsam mit der Foundation for European Progressive Studies zur ersten Lunch Hour Lecture ein, in der Wissenschaft und Politik in einen lockeren Dialog traten. Ein für progressive Kräfte brisantes Thema stand auf der Tagesordnung: Lukas Haffert, Oberassistent am Lehrstuhl für vergleichende politische Ökonomie der Universität Zürich, präsentierte sein Buch “Die Schwarze Null. Zu den Schattenseiten ausgeglichener Haushalte” und stellte die Frage, wie ein progressiver Umgang mit dieser Chiffre aussehen könnte.
Lukas Haffert begann seinen Vortrag mit einer Analyse darüber, warum das Symbol der “Schwarzen Null” vielerorts – und über Parteigrenzen hinweg – Begeisterung auslöst. Dabei verdeutlichte er, dass in den letzten Jahrzehnten ein breiter Konsens dahingehend entstanden ist, dass Staatsverschuldung per se als etwas Negatives anzusehen sei. Als problematisch identifizierte Haffert den Rückgang “fiskalischer Demokratie”. Gestaltungsspielräume von Regierungen werden aufgrund eines schrumpfenden Anteils disponibler Haushaltsmittel immer kleiner. Einem analytischen Vergleich Deutschlands mit fünf weiteren Staaten, die ihren Haushalt konsolidiert haben (u.a. Dänemark, Neuseeland und Kanada), folgte eine Betrachtung der Rolle der Gesellschaft in fiskalischen Fragen. Der Zivilgesellschaft attestierte Haffert mangelnden Willen, ein Umdenken in der Haushaltspolitik einzufordern. Als Erklärung hierfür führte er die starke Symbolkraft der Schwarzen Null an, der mit einem positiven Gegensymbol begegnet werden müsse.
Es folgte eine Kommentierung seitens Jakob von Weizsäckers, Mitglied des Europäischen Parlaments, der das Hauptverdienst des Buches darin sah, die Schwarze Null als das darzustellen, was sie ist: eine politisch und demoskopisch hochpotente Chiffre, hinter der sich vieles verbirgt, was aufgedeckt und diskutiert werden muss. Er lobte zudem den Ansatz des Buches, aufzuzeigen, dass sich mit der „unhinterfragten“ Schwarzen Null implizit Werturteile und politische Mechanismen verbinden, die sich im Ergebnis regelmäßig in einer geringen investiven Staatstätigkeit niederschlagen. Kritik äußerte von Weizsäcker dahingehend, dass die Wirtschafts- und Finanzkrise sowie der demografische Wandel in Hafferts Analyse nicht ausreichend gewürdigt wurden. Der Europaabgeordnete schloss mit einem Plädoyer für mehr Fantasie, was “gute” Investitionen, aber auch “gutes” Wachstum, ausmacht.
Auch Dr. Inge Kaul nahm das Buch positiv auf. Ihre Kritikpunkte zielten auf zwei verschiedene Ebenen: Als erstes merkte die Professorin an, dass das Konzept der Schwarzen Null nicht aus Sachzwängen heraus entstanden sei, sondern seine Grundlage im neoliberalen Gedankengut habe. Die Schwarze Null zeige, dass aktuelle Politiker weniger Entrepreneure mit visionären Ideen seien, sondern sich zu verwaltenden “Erbsenzählern” entwickelt hätten. Darüber hinaus formulierte Dr. Kaul gegenüber dem Autor den Wunsch, es nicht bei der empirischen Arbeit zu belassen, sondern auf Grundlage seiner Erkenntnisse Visionen zu entwickeln und Alternativen zur aktuellen Finanzpolitik zu erarbeiten.
Im Zentrum der anschließenden offenen Diskussion stand die Frage, was eine progressive Antwort auf das Symbol der Schwarzen Null sein könnte, wobei sich das Publikum jedoch nicht einig war, ob Haushaltskonsolidierungen tatsächlich nur negativ zu betrachten seien. Ein Argument war, die Schwarze Null auch als Projekt der Generationengerechtigkeit zu sehen. Andere Stimmen betonten, dass dieses einflussreiche Symbol nicht lediglich als ökonomisches Instrument empirisch kritisiert werden dürfe, sondern eine politische Ideologie sei, die von Deutschland ausgehend auf andere europäische Länder projiziert wird. Vergessen werde dabei, dass ausgeglichene Haushalte in manchen Staaten akut die Zukunftsfähigkeit und den Zusammenhalt der Gesellschaft bedrohten.
Die offene Diskussion bewies, wie brisant die Frage der Schwarzen Null für progressive Politik ist. Eine Antwort auf sie kann nicht das rote Unendlich beschwören und sagen: “Wir machen Schulden und alles ist gut.” Der Fetischisierung eines ausgeglichenen Haushalts muss vielmehr ein progressives Symbol entgegengesetzt werden, das für vernünftige Investitionen in eine zukunftsfähige Gesellschaft steht.