Das Team des Think-Tanks Das Progressive Zentrum besuchte fünf weitere Orte und hörte zu, was die Menschen dort über Europa denken. Nun ist es zurück in Berlin mit einem Koffer voller Wünsche, Kritik, Anregungen und Erfahrungen.
Die Idee war klar: Zuhören! In Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politischen Bildung machte sich ein Team des Think-Tanks Das Progressive Zentrum auf die Reise. Es ging quer durch Deutschland, um Sorgen, Wünsche und Meinungen zum Thema Europa von Bürgerinnen und Bürgern aus zehn verschiedenen Orten in zehn verschiedenen Bundesländern aufzunehmen. Nach dem Halbzeitbericht über die ersten fünf Stationen folgt hiermit eine Schilderung des zweiten Teils der Reise sowie eine erste Zusammenfassung der Erkenntnisse.
Mit Hilfe der Unterstützung von lokalen Partnerinnen und Partnern haben insgesamt über 160 Menschen an dem Projekt Europa Hört teilgenommen – und fest steht, an Gesprächsstoff mangelte es nicht. Ebenso unterschiedlich wie die teilnehmenden Menschen waren auch die Veranstaltungsorte. So trafen sich Interessierte unter anderem im Dorfkrug Walsrode, dem Mehrgenerationenhaus in Merzig oder der Jugendkulturwerkstatt in Pirmasens, um über Europa ins Gespräch zu kommen. Egal ob 14 oder 94 Jahre alt, ob spontan entdeckt oder geplant angereist, bei einem Punkt waren sich die Teilnehmenden einig: Das Thema “Europa” ist wichtig.
In einer ersten Gesprächsrunde, zu welcher sich Interessierte vorab anmelden konnten, wurden Sichtweisen zu verschiedenen Schwerpunktthemen wie etwa Sozialpolitik, Arbeit und Weiterbildung oder auch Migration und Identität tiefgehend diskutiert. Folglich bot eine offene Gesprächsrunde auch Kurzentschlossenen die Möglichkeit, am Meinungsaustausch teilzunehmen. So ergaben sich angeregte und intensive Diskussionsrunden und viele Möglichkeiten, eigene Auffassungen und Überzeugungen zum Beispiel anhand von Meinungsbarometern kundzutun. Was lässt sich als erster Eindruck der Reise bereits festhalten?
Der Zweite Weltkrieg wird auch bei Europa Hört genannt
Insbesondere Teilnehmende aus Kriegs- und Nachkriegsgenerationen haben den Friedensaspekt besonders betont. Ein Diskutant in Hof, Bayern, sagte: “Ich bin Zeitzeuge und habe die ganze Entwicklung miterlebt, deshalb kann ich gar nicht anders, als die EU zu befürworten”. Ebenso wichtige Themen wie Solidarität und Zusammenhalt waren zentral und bewegten viele Menschen: Über 80 Prozent der Abstimmenden sehen die EU durch nationalistisches Gedankengut bedroht und über 90 Prozent vertraten den Standpunkt, dass Herausforderungen in der EU solidarisch gelöst werden müssen. “Auf europäischer Ebene kann viel gesteuert werden und das kann sowohl schwächere, als auch stärkere Mitgliedstaaten voranbringen” warf eine Teilnehmerin in Walsrode dazu ein.
“Wenn ich an Europa denke, denke ich an Frieden seit mehr als 70 Jahren.”
Auf die Frage ob man glaube, dass die EU auch in 100 Jahren noch bestehen werde, war fast ein Drittel unschlüssig, 40 Prozent der Abstimmenden aber optimistisch gestimmt. Ein Teilnehmer bemerkte dazu hoffnungsvoll: “Entwicklungen haben Höhen und Tiefen und man kann die jetzige Lage auch als Chance nehmen.” Auch wenn viele die Motive und Leitbilder der europäischen Einigung, die Reisefreiheit, eine größtenteils gemeinsame Währung und vor allem einen gemeinsamen Wertekanon begrüßen und schätzen, wurde ebenso Kritik laut.
Europa als Elitenprojekt – Europa als Zwangsgemeinschaft?
So wurde die EU auch mit wachsender Bürokratie und Ökonomisierung, Wettbewerb und den Unterschieden der einzelnen Länder verbunden. “Ich habe manchmal das Gefühl, dass die da oben in Brüssel sich im Weg stehen. Die Bürokraten der EU haben eine besondere Sicht auf die Dinge und verstehen unsere Bedürfnisse nicht.”
“Ich habe manchmal das Gefühl, dass die da oben in Brüssel sich im Weg stehen.“
In einigen Orten, die besucht wurden, kam zur Sprache, dass die EU als Elitenprojekt empfunden wird, das von den Lebensrealitäten des Einzelnen oft weit entfernt scheint: “Die haben die Bindung zur Basis verloren. Da liegt der Hund begraben!”. Auch war man sich in mehreren Gesprächsrunden darüber einig, dass der Einstieg in den Arbeitsmarkt für Menschen, die sich in die europäische Gesellschaft integrieren möchten erleichtert werden sollte und daher ebenso die Anerkennung von Abschlüssen erleichtern werden müsse: “Bildung ist die Grundlage für wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg. Es ist ein langer Weg, aber einer, der zum Erfolg führt.”
Diese und weitere Gedanken, die zum Thema „Europa“ in den intensiven zehn Tagen dieser Reise durch verschiedene Regionen Deutschlands aufgenommen und gesammelt wurden, gilt es jetzt zu beleuchten. Mit einer umfassenden Auswertung kann im Dezember diesen Jahres gerechnet werden.
Impressionen der Tour sind auf der Projekthomepage zu finden.