Kein Handynetz und viele Wünsche an Europa

Halbzeitbericht von “Europa Hört – eine Dialogreise”

Das junge Team eines Berliner Think-Tanks verlässt seine Hauptstadt-Blase, reist zu fünf Orten, lädt dort jeweils zu einer offenen Diskussion über Europa ein – und hört bei dieser einfach nur zu. Was kann dabei herumkommen?

Europa ist eine Frage der Wahrnehmung – und diese kann in verschiedenen Orten ganz unterschiedlich ausfallen. Europapolitik wird zumeist in den Großstädten und Universitäten diskutiert und in der Hauptstadt entschieden. Teilnehmende dieser Prozesse sind Politikprofis, die sich täglich mit dem Thema beschäftigen. Doch Europa geht alle etwas an. Deswegen will Das Progressive Zentrum Einstellungen und Wünsche zur europäischen Einigung aufnehmen und auswerten. Dafür besucht der Think-Tank in Zusammenarbeit mit lokalen Partnern und der Bundeszentrale für politische Bildung insgesamt zehn Orte. Zur Halbzeit lassen sich erste Trends erkennen.

Am 26.September wurde die Dialogreise in Olfen (Oberzent) in Hessen eröffnet. Dieser idyllische Ort beherbergt 330 EinwohnerInnen, bietet eine malerische Landschaft – und vermisst jegliches Handysignal. Wie an allen Orten wurde zu zwei Gesprächsrunden eingeladen. An der ersten, geschlossenen Diskussion nahmen vorab angemeldete BürgerInnen teil. In gemütlicher Atmosphäre diskutierten sie untereinander ihre Meinungen zu drei Schwerpunktthemen: Identität und Migration, Soziales Europa sowie europäische Arbeits- und Bildungspolitik.

Die zweite Runde steht jeder und jedem offen. Sie ist eine Art interaktive Wanderausstellung: die BesucherInnen kleben zum Beispiel Punkte auf die Skala zwischen “Ja, absolut” und “Nein, überhaupt nicht” zu Thesen wie “Die EU hat zu wenig Beteiligungsformate” oder “Internationale Herausforderungen, wie Migration, können nur solidarisch gelöst werden”.

“Ich hätte heute kein Problem damit, meinen Ausweis wegzuwerfen und zu sagen: Ich bin Europäer!”

Frieden und Förderanträge

Auch die überzeugten EuropäerInnen hatten viele Kritikpunkte und Ideen zur Weiterentwicklung Europas. Bemängelt wurde zum Beispiel das “Versäumnis, die verschiedenen Verwaltungssysteme europäischer Länder anzugleichen.” Die Bürokratie der Verwaltung, z.B. bei Förderanträgen, würde die Zusammenarbeit stark erschweren. Bei der Frage, was man mit Europa verbinde, ist vielen Teilnehmenden die Reisefreiheit und ein Leben in Frieden seit über 70 Jahren sehr präsent: “Mit Europa verbinde ich viele Vorschriften, aber auch einen freien Handel untereinander, der problemlos läuft und es gibt offene Grenzen und Frieden. Das halte ich für eine sehr große Errungenschaft. Ich hoffe, dass das so bleibt, trotz nationaler Tendenzen.”

“Ich finde es dreist von Deutschland, dass sie Polen, Ungarn und Tschechien vorwerfen, sich dem Ganzen zu verwehren, obwohl die Fehler dieser Politik in Deutschland ablesbar sind.”

Einigkeit besteht bei vielen BürgerInnen darüber, dass die politischen EntscheidungsträgerInnen Brüssels sich zum Teil stark vom Alltag der Bevölkerung entfernt hätten. Darüber hinaus spielten in ländlichen Regionen fehlende Mobilitätsmöglichkeiten und Strukturschwäche eine große Rolle, während in urbanen Orten eher Identität und europäische Werte debattiert wurden. Das Thema Bildung sorgte in allen Orten für Diskussionsstoff, ebenso wie die Herausforderung, sozialpolitische Ziele auf europäischer Ebene zu verwirklichen.

„Europa hört“ besucht noch fünf weitere Orte

Nach fünf von zehn Orten nahmen 34 Personen an der ersten und 51 an der zweiten Gesprächsrunde teil. Das Verhältnis von Männer und Frauen war ausgewogen und das durchschnittliche Alter betrug 50 Jahre (der jüngste Teilnehmer war 15, die älteste Teilnehmerin 94).

Nachdem Das Progressive Zentrum in der ersten Woche Olfen, Pirmasens in Rheinland-Pfalz, Merzig im Saarland, Herne in NRW und Oerbke in Niedersachsen besuchte, beginnt die zweite Woche mit Bad Muskau in Sachsen. Es folgen Hof in Bayern, Marzahn-Hellersdorf in Berlin, Prenzlau in Brandenburg und Lutherstadt Eisleben in Sachsen-Anhalt.

Alle Informationen zu „Europa Hört“ sind auf der Projektwebseite zu finden.

Autorinnen

Paulina Fröhlich

Stellvertretende Geschäftsführerin und Leiterin | Resiliente Demokratie
Paulina Fröhlich ist stellvertretende Geschäftsführerin und verantwortet den Schwerpunkt „Resiliente Demokratie“ des Berliner Think Tanks Das Progressive Zentrum. Dort entwirft sie Dialog- und Diskursräume, leitet die europäische Demokratiekonferenz „Innocracy“ und ist Co-Autorin von Studien und Discussion Papers.
Gesche-Maren Siems war Assistenz der Geschäftsführung beim Progressiven Zentrum. Sie studierte Peace and Conflict Studies an der Otto-von-Guericke Universität in Magdeburg, nachdem sie den Bachelor in Geschichte und Außereuropäischen Kulturen an der Universität Leipzig mit einem Auslandsaufenthalt an der Universität Antwerpen absolviert hat. Während ihres Masterstudiums engagierte sie sich außerdem als Vorsitzende des Symposium Magdeburg e.V. zur Förderung politischer Bildung junger Menschen und unterstützte das Progressive Zentrum als Projektassistentin im Programmbereich Internationaler Dialog.ert hat.
teilen: