Care-Arbeit wird hauptsächlich in Familien geleistet und dort vor allem von Frauen. Demographischer Wandel, eine stärkere Beteiligung von Frauen an der Erwerbsarbeit sowie eine nur unzureichend steigende Partizipation von Männern an der Care-Arbeit verlangen eine umfangreichere und attraktivere Infra- und Servicestruktur für Care. Das ist mittlerweile gesellschaftlicher Konsens. Gleichwohl klaffen Einsicht und Umsetzung – trotz deutlicher Fortschritte – weiterhin massiv auseinander. Wie diese Kluft besser, schneller und qualitativ anspruchsvoller geschlossen werden kann, ist das Thema der Diskussionsreihe Reihe #CareKompass, die das Progressive Zentrum und das Deutsche Rote Kreuz gemeinsam durchführen. Am 25. Juni luden sie zur zweiten ExpertInnen-Runde ein, um Ideen für eine effektive und faire Wende zu diskutieren.
Der Fokus des Roundtables “Who cares? – Neue Ideen für Care-Arbeit: Infrastrukturen stärken, Familien entlasten und fördern” lag darauf, wie der Einstellungswandel und die notwendigen finanziellen und institutionellen Reformen vorangebracht werden können, um das etablierte konservative Familien- und Geschlechterregime abzulösen. Unterstützt wurde die Diskussion durch Impulse von Katja Dörner, Abgeordnete im Deutschen Bundestag sowie stellvertretende Vorsitzende und kinder- und familienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen,Prof. Dr. Michaela Schulze, Professorin für Politikwissenschaften an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit, und Petra Mackroth, Leiterin der Familienabteilung im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.Dr. Joß Steinke, Bereichsleiter Jugend und Wohlfahrtspflege vom Deutschen Roten Kreuz, moderierte die Veranstaltung.Gemeinsam wurde darüber nachgedacht, wie sowohl der kulturelle wie auch der infrastrukturelle Wandel vorangebracht werden können, um eine gute Care-Arbeit der Zukunft sicher zu ermöglichen.
Systemrelevanz der Care-Arbeit und Überwindung des Gender-Regimes
Konsens bestand darüber, dass Care-Arbeit ein systemrelevantes Politikfeld ist. Denn sowohl unser Wirtschafts- wie auch unser Gesellschaftssystem können ohne eine gut funktionierende Care-Arbeit nicht funktionieren. Die Suche nach einer neuen Care-Landschaft hat sich mit komplexen Voraussetzungen auseinander zu setzen. Dabei müssen neben kulturellen und institutionellen Fragen der Pfadabhängigkeit die Themenbereiche der Wirtschafts- und Familienpolitik, der Gender- und Finanzierungspolitik berücksichtigt werden. Die notwendige Aufwertung der Care-Arbeit ist jedoch meist keine Frage fehlender Erkenntnisse, sondern ein machtpolitisches Umsetzungsproblem.
Gleichzeitig wiesen Dörner, Mackroth und Schulze darauf hin, dass es von entscheidender Bedeutung sei, den Care-Beruf attraktiver zu machen. Es gebe Ansätze dafür in der Politik, die im Rahmen der “Konzertierten Aktion Pflege” verdichtet worden sind. Im Zentrum standen schließlich Debatten über eine intelligente Arbeitszeit, die den Interessen der Care-Beschäftigten stärker Rechnung tragen. Denn die hohe Zahl der Teilzeitbeschäftigten zeige an, dass die bestehenden Arbeitszeitangebote noch viel zu wenig auf die Bedürfnisse der Beschäftigten eingehe. Deshalb sei es auch wichtig auskömmlichere Personalschlüssel mit der Arbeitszeitpolitik zu verknüpfen. Eine größere Flexibilität im Sinne der Beschäftigten könne auch das gerade eingeführte Brückenteilzeit-Gesetz ermöglichen. Zugleich sei laut Mackroth aber auch zu berücksichtigen, dass die notwendigen Reformziele sich erst dann einstellen, wenn die Verbände zusammenarbeiten, um den gesetzlichen Rahmen mit Leben zu versehen.
Dörner betonte, dass die Attraktivität der Care-Berufe auch eine entscheidende Basis für Geschlechtergerechtigkeit sei. Frauen leisten in Deutschland noch immer weitaus mehr Care-Arbeit als Männer. Mackroth führte aus, dass „(…) wir hier von einem Gender Care Gap sprechen, der täglich einem Mehraufwand in Spielfilmlänge (87 Minuten) entspricht. Frauen werden nach wie vor als Hauptverantwortliche gesehen und sie fühlen sich meistens auch verantwortlich. Wir brauchen hier neue Rollenbilder, denn die jüngeren Generationen wünschen sich überwiegend eine partnerschaftlichere Aufteilung der Aufgaben.“ In einigen Bereichen, wie dem Wiedereinstieg in das Berufsleben nach der Geburt eines Kindes, seien zwar Wandlungsprozesse zu beobachten – wie Mackroth ausführte. Jedoch gibt es laut Schulze “(…) rückwärtsgewandte Entwicklungen aufgrund einer zugrunde liegenden systemischen Verkrustung”. Um das konservative Geschlechterregime abzulösen, seien viele Initiativen notwendig, an denen sich auch sehr unterschiedliche Akteure beteiligen werden müssen, wie Schulze und Mackroth betonten. Beispielsweise brauche es partnerschaftliche Vereinbarungen vor der Geburt des Kindes, eine gerechtere Verteilung von Care-Arbeit durch zum Beispiel eine 32-Stunden-Woche, die Vermeidung von sozialpolitischen Reformen mit Männern als Haupt- und Frauen als NebenverdienerInnen und ein breites gesellschaftliches Umdenken.
Digitalisierung als begleitende und Finanzierung als notwendige Rahmenbedingung
Mit Blick auf eine Steigerung der Attraktivität von Care-Arbeit wiesen die SpeakerInnen und Teilnehmenden zudem auf die Notwendigkeit der Digitalisierung im Care-Bereich hin. Die Digitalisierung der Dokumentierung beispielsweise sei unabdingbar. Einige der Teilnehmenden plädierten dafür, dass eine tiefgreifende digitale Transformation stattfinden müsse. Jedoch sei die Digitalisierung nicht die Lösung der Herausforderungen im Bereich der Care-Arbeit, sondern nur als begleitende Maßnahme zu sehen – gaben andere Teilnehmende zu bedenken. Wichtig sei die Schaffung einer positiv besetzten Wahrnehmung der Beziehung von Care-Arbeit und Technologie. Dörner betonte, dass die Digitalisierung von vielen zu Pflegenden bereits positiv konnotiert sei. Es gehe darum, Technologie da anzuwenden, wo keine Beziehungsarbeit am zu Pflegenden selbst getätigt werde. Dies wirke der Wahrnehmung von Digitalisierung als entwertendes Instrument der Arbeit entgegen und müsse in der öffentlichen Debatte deutlich werden.
Bei allen Maßnahmen zur Aufwertung der Care-Arbeit sei die Finanzierungsfrage eine entscheidende – da waren sich die ExpertInnen einig. Dörner gab zu bedenken: “Die Frage ist nicht, ob, sondern wie man die kommenden Umstrukturierungen finanzieren will”. Entweder man erarbeite Mehreinnahmen durch Steuern, durch eine Umlagerung innerhalb des Bundeshaushaltes oder einen Finanzierungsmix. Für die Finanzierung der Pflege präferiert Dörner eine Bürgerversicherung. Gesamtwirtschaftlich würden sich Investitionen lohnen, wie das Praxis-Beispiel der Kita zeige. Mackroth wies überdies darauf hin, dass Unternehmen stärker in die Finanzierungsfrage eingebunden werden sollten. Für weitere Diskussionen sei laut Schulze jedoch zu entscheiden, ob es darum gehe, die Care-Arbeit grundlegend zu reformieren oder in kleinen Schritten zu verändern. Je nach Entscheidung bedinge dies unterschiedliche politische Steuerungselemente, die man einsetzen könne, um Care-Arbeit zukunftsfähig zu machen.
Roundtable-Reihe #CareKompass
Die Roundtable-Reihe von Das Progressive Zentrum und dem Deutschen Roten Kreuz möchte zukunftsentscheidenden Fragen bezüglich des Strukturwandels der Care-Arbeit in Deutschland in drei konzentrierten Roundtable Sitzungen auf den Grund gehen. Basierend auf den Ergebnissen werden konkrete Handlungsempfehlungen für einen effektiven Wandel formuliert. In der nächsten Veranstaltung am 23. September 2019 liegt der Fokus auf der „Care-Arbeit als Haupt- und Ehrenamt“. Abschließend zum Jahresende soll eine Konferenz die konsolidierten Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen in die Öffentlichkeit und den politischen Raum tragen.
Wir bedanken uns bei allen Teilnehmenden und dem Deutschen Roten Kreuz für einen anregenden und erkenntnisreichen Austausch und freuen uns auf den nächsten Roundtable.