Der CDU-Parteitag hat Armin Laschet zum Vorsitzenden gewählt. Welche Auswirkungen wird seine Wahl auf die politische Landschaft und das progressive Lager haben?
Die CDU bleibt sich treu: Keine Experimente! Die Wahl Armin Laschets zum Vorsitzenden ist ebenso folgerichtig wie unspektakulär. Friedrich Merz hätte zwar die CDU-Ultras überzeugt aber keine gesellschaftlichen Mehrheiten mobilisiert. Ein Sieg Norbert Röttgens hätte der Partei mit dem „C“ zwar eine fulminante Comeback-Story verschafft, wäre letztlich aber doch zu gewagt gewesen. Also Laschet. Als Fortsetzung Angela Merkels mit anderen Mitteln. Für Deutschland muss das nichts Schlechtes sein.
„Vertrauen“ als zentraler Begriff Laschets überzeugte die Delegierten letztlich am meisten. Merz hielt wie schon bei seinem ersten Anlauf auf den Parteivorsitz eine technokratisch kalte Rede. „Führen“ wollte sich die Mehrheit dann doch nicht lassen. „Den Streit wieder in die politische Mitte tragen“, wie es dem Unterlegenen vorschwebte, ist zwar aller Ehren wert. Doch „polarisieren“ wollte die Mehrheit nicht, sondern lieber mit Laschet „Kompromisse suchen“, „Brücken bauen“ und „Probleme lösen“. Der eindrückliche Blick auf Washington gab hier die Kulisse für das ab, was bei extremer Polarisierung drohen kann.
„Ich bin nicht der Mann der perfekten Inszenierung. Ich bin Armin Laschet. Darauf können Sie sich verlassen“ – so die wahrhaft merkelianische Schlusspointe, die die Delegierten schließlich überzeugte.
Hält die Mitte mit der Laschet-CDU stand?
Doch was bedeutet die Wahl des NRW-Ministerpräsidenten aus progressiver Sicht für das Superwahljahr 2021? Zusätzlich zur Bundestagswahl im September stehen nicht weniger als sechs Landtagswahlen (Baden-Württemberg, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Thüringen) und zwei Kommunalwahlen (Hessen, Niedersachsen) an.
„Im Osten droht Laschet schon bald wieder Ungemach.“
Im Westen, Südwesten und in Berlin könnte eine Laschet-CDU im Post-Merkel-Gewandt punkten. Im Osten dagegen droht schon bald wieder Ungemach. Wie würde ein Parteivorsitzender Laschet mit „Erfurter Verhältnissen“ umgehen – der Kooperation mit der AfD (oder nicht)? Nach der Verschiebung der Thüringen-Wahl ist zumindest dieser veritable Fallstrick erst einmal aus dem Weg geräumt.
Doch bereits im Juni könnte dieselbe Frage in Sachsen-Anhalt auf der Tagesordnung stehen. Auch hier könnten komplizierte „Magdeburger Verhältnisse“ die große Frage aufwerfen: Wie halten wir’s mit den Rechtsextremen? Kaum anzunehmen, dass sich Laschet anders positionieren wird als vor ihm Annegret Kramp-Karrenbauer: Keine Zusammenarbeit mit der AfD.
Die Frage ist nur: Wird das die (ohnehin bereits sezessionistisch gesinnten) ParteifreundInnen vor Ort interessieren? Und falls nicht: Wäre ein Parteivorsitzender Laschet nicht bereits dann ebenso beschädigt wie zuletzt seine Vorgängerin im Amt?
Am Rhein ohne Gravitas
Deutschland steht nach wie vor – und derzeit sogar in verschärftem Maße – unter dem Druck der Corona-Krise. Gerade angesichts dieser alles überragenden Herausforderung hat Armin Laschet im letzten Jahr Federn gelassen: Oft wirkte er überfordert, fahrig und genervt, im permanenten Selbstverteidigungsmodus. Angesichts vergleichbarer Infektionslagen in Nordrhein-Westfalen und Bayern missglückte Laschet der öffentliche Auftritt im direkten Vergleich zu Markus Söder (CSU) ein ums andere Mal.
Staatsmännische Gravitas verbunden mit einem Macher-Image wollte sich am Rhein partout nicht einstellen. Angesichts der noch immer dramatisch hohen Infektionszahlen wirken die Öffnungsdiskussionen aus dem Frühjahr und Sommer 2020, für die Laschet wie kein anderer Politiker in Deutschland stand, spätestens jetzt wie eklatante Fehltritte aus einem fernen Paralleluniversum.
„Mit der Wahl Laschets folgt die CDU ihrem nach wie vor intakten Machtinstinkt.“
Und doch folgte die CDU mit der Wahl Laschets ihrem nach wie vor intakten Machtinstinkt. Immerhin hat der Mann als einziger der Kandidaten bereits Wahlen gewonnen. „Wir haben festgestellt, dass man in der Mitte mehr verliert, als man rechts zu gewinnen hofft“, so lautet Markus Söders Erkenntnis mit Blick auf den gescheiterten Versuch, AfD-WählerInnen mit rechter Rhetorik zurückzugewinnen. Diese zentrale Einsicht ist es, die der Wahl von Friedrich Merz im Weg stand.
Kommt das „Frühstück von Nürnberg“?
Auch wenn viele seiner Anhänger Merz nun zum „Märtyrer“ verklären dürften, verbinden sich für die Unionsparteien mit Laschet insgesamt bessere Aussichten im Wahljahr. Ihm ist eher zuzutrauen, die verschiedenen innerparteilichen Lager zusammenzuführen – zumindest solange sich Hoffnungsträger Jens Spahn weiterhin glaubhaft hinter ihm einreiht. In Nordrhein-Westfalen hat Laschet vorgemacht, dass sich liberale Weltoffenheit, harte Innenpolitik und sozialpolitisches Gespür erfolgreich kombinieren lassen.
Laschet war in seiner politischen Karriere oft nicht erste Wahl.
Laschet war in seiner politischen Karriere oft nicht erste Wahl – doch genau dasselbe galt einst für Helmut Kohl und Angela Merkel. Als Protagonist der damals noch unerhörten schwarz-grünen “Pizza-Connection” in den neunziger Jahren könnte er Bündnisse dieser Farbprägung glaubhaft anführen.
Allerdings: Mit Söder wird sich Laschet schon bald ins Benehmen setzen müssen. Ist es denkbar, dass der äußerst machtbewusste neue CDU-Vorsitzende zugunsten des Bayern auf die Kanzlerkandidatur verzichtet? Kommt es zu einem „Frühstück von Nürnberg“? All das ist einstweilen Zukunftsmusik.
Progressive Mehrheiten in weiterer Ferne
Was wir jedoch wissen können, ist, wie sich Laschet in den vergangenen Monaten zu den politischen Themen der Stunde geäußert hat:
Das ewige Projekt der europäischen Einigung wird bei dem Aachener (dem eine Abstammung aus der Linie Karls des Großen nachgesagt wird) sicher gut aufgehoben sein. Bei Themen wie der Frauenquote sind anders als bei Merz keine Irritationen zu erwarten. Ob die Bekenntnisse zur baldigen Rückkehr zur Schuldenbremse oder zum Verzicht auf Steuererhöhungen für Besserverdienende Bestand haben werden, ist fraglich.
Mit all dem wird die CDU enttäuschte Konservative kaum zurückzugewinnen. Zahlenmäßig, und hier schließt sich der Kreis, werden das aber weniger WählerInnen sein, als die Partei im Falle der Wahl von Friedrich Merz in der bundesrepublikanischen “Merkel-Mitte” verloren hätte.
Und so zeigt sich angesichts des Ergebnisses die eigentümliche Dialektik des Fortschritts: Einerseits ist Laschet zuzutrauen, dass er die politische Mitte hält und es zu keinen Einbrüchen der Rechtsextremen kommen wird. Andererseits aber dürfte damit eine progressive Mehrheit diesseits der Union, die den dringend benötigten sozial-ökologischen Umbau unserer Gesellschaft vorantreiben würde, in noch weitere Entfernung rücken. Nicht völlig ausgeschlossen, dass diese etwas trostlose Aussicht am Ende doch noch neue Kräfte des Aufbruchs freisetzen könnte – unter Progressiven, aber, wer weiß, vielleicht sogar innerhalb der Unionsparteien.