Raus aus der Profilierungsfalle: Die Zukunft der FDP liegt in der Ampel

Die Anhänger der FDP sind sogar unzufriedener mit der Ampelkoalition als die der Union. Woran liegt das und wie wird die Ampel für die FDP vom Problem zur Lösung?

Aus Sicht der FDP hatte alles so gut begonnen. Nach den Koalitionsverhandlungen sah es danach aus, als hätte sich die kleinste Partei im neuen Regierungsbündnis auf vielen Feldern durchgesetzt. Sie konnte sich mit ihren Koalitionspartnern über die Klimaziele einig werden und die entscheidende Frage, wie diese zu erreichen sein sollten – über Verzicht, über zukünftige technische Innovationen oder staatliche Regulierung und Mehrausgaben – vorerst ausklammern. Zudem stehen mit Investitionen in Modernisierungsprojekte und Entbürokratisierung ebenso gewichtige FDP-Positionen im Koalitionsvertrag wie mit der Absage an höhere Steuern und zusätzliche Schulden. Die Hochstimmung vom Beginn war jedoch für die FDP nicht von Dauer.       

Schleichende Abkühlung der Ampeleuphorie

Bei der Bundestagswahl trat die FDP ohne klare Zuordnung zu den klassischen Lagern an, lief damit aber Gefahr, je nach gewähltem Regierungsbündnis, einen Teil der eigenen Wählerschaft zu enttäuschen. Nach einem Jahr wird klar: Die FDP kann von der Ampel bisher kaum profitieren. Im gesellschaftsliberalen Bereich bringt der Justizminister zwar viele Projekte auf den Weg, in den Umfragen zahlt sich das für die FDP aber bisher nicht aus. Ihre höchsten Kompetenzwerte bekommt die FDP immerhin bei den Themen Steuern und Wirtschaft zugeschrieben1. Doch bei den Steuern liegt sie hinter Union und SPD und in der Wirtschaftspolitik ist das zugeschriebene Maß an Kompetenz innerhalb des ersten Ampeljahres noch zurückgegangen. Bei der Bekämpfung der Inflation vertraut ihr nicht einmal jeder Zehnte und hinsichtlich der Neuregelung der Energieversorgung gerade einmal jeder Zwanzigste. 

Auf kommunikativer Ebene hat sich die FDP in der Koalition zu einer Partei entwickelt, die vor allem Projekte von SPD und Grünen zu verhindern scheint. Sie versteift sich in der Verteidigung von Prinzipien wie der Einhaltung der Schuldenbremse, um dann doch mehrere „Schattenhaushalte“ zu beschließen. Gelegentlich neigt sie dazu, die eigenen Koalitionspartner rhetorisch anzugreifen, deren Politik dann aber im Ergebnis dennoch mitzutragen. Diese Strategie kann gegen die starke Unzufriedenheit der eigenen Wählerschaft mit der Ampel bisher jedoch nichts ausrichten2. Das liegt auch daran, dass das Frustrationspotenzial steigt, wenn die FDP kommunikativ einen Kurs in Reichweite stellt, den sie dann faktisch doch nicht verfolgt. Anders als die Grünen, die ihre Haltung zu Waffenexporten und zur Kohle verändert haben, hat die FDP ihre Kernglaubenssätze nicht angetastet. Statt flexibler und offener zu werden, wollte sie sich offenbar auf ihre Kernmilieus zurückziehen. Doch wo liegen diese überhaupt?

Ständige Suche nach einer liberalen Wählerkoalition

Die FDP hat im Vergleich zu manch anderer Partei den Nachteil, sich in Krisensituationen nicht auf ihre Stammwähler zurückziehen zu können. Die Demoskopie bemisst diesen Wähleranteil auf nur etwa 3%. In Oppositionszeiten konnte die FDP oft aus jeweiligen Stimmungen heraus mobilisieren. Mit einer „Anti-Groko“-Haltung und gegen die Merkel-CDU versuchte sich die FDP als gesellschafts- und wirtschaftsliberaler Akteur zu profilieren. Dort fand sie auch ihre Lücke, doch diese Mobilisierungsräume haben sich nun erschöpft. 

Für die FDP war daher schon immer eine milieuübergreifende Ansprache besonders wichtig. Der klassisch mittelständisch ländliche Unternehmer, die gesellschaftsliberale urbane Kosmopolitin und auch Menschen, die in der Einwanderungspolitik eine härtere Position erwarteten, zählten in der jüngsten Vergangenheit zur liberalen Wählerschaft. Wahlanalysen zeigen, dass die FDP bei der letzten Bundestagswahl von Milieus gewählt wurde, deren Vorstellungen sich teilweise aber auch erkennbar unterscheiden. Einerseits zählen hierzu veränderungsbereite, risikoaffine und global denkende Gruppen. Andererseits sind dies eher pragmatisch orientierte Menschen, die zwar für Neuerungen offen sind, schnellen Veränderungen aber skeptisch gegenüberstehen, wenn sie die eigenen Alltagsgewohnheiten bedrohen. Für andere Milieus wiederum, die bei der Bundestagswahl FDP gewählt haben, sind Ordnung und Stabilität wichtige Werte3

Besonders deutlich wird diese Heterogenität bei der Gewichtung der Aspekte Ökologie und Ökonomie, sowie deren Folgen für die Arbeitswelt4. Zwischen den mit der FDP sympathisierenden Wählergruppen gehen die Meinungen darüber auseinander, wie schnell mit der Anpassung der Wirtschaft an die Bedingungen des Klimawandels fortgeschritten werden sollte. Umstritten ist auch, wie sehr Innovationen dabei helfen können, den eigenen Lebenswandel nicht verändern zu müssen. Ob der Abbau von Industriearbeitsplätzen aus Klimaschutzgründen gerechtfertigt ist, wird in diesen Milieus ebenfalls sehr unterschiedlich beurteilt. Für die FDP als Regierungspartei brauen sich hier eine ganze Reihe von Konflikten zusammen.

Konstruktiver Partner oder FDP „pur“?

Für das Jahr 2023 hat Christian Lindner neue Vorstöße angekündigt. Es könnten hier neue Debatten zu Steuersenkungen, dem Stellenwert des Autos in der Verkehrspolitik, zu Atomkraft und Fracking angestoßen werden. Das deutet auf den Versuch hin, über eine Polarisierung gegen SPD und Grüne das eigene Profil zu schärfen. Das Problem hierbei ist jedoch, dass die gemeinsamen Ergebnisse in der Ampel aufgrund des nötigen Kompromisscharakters immer hinter den ursprünglichen Forderungen der FDP zurückbleiben müssen.

Auch wenn innerhalb der eigenen unzufriedenen Anhängerschaft hin und wieder eine Sehnsucht nach einem Bündnis mit der Union aufblitzt, wäre Jamaika auch keine bessere Option – jenseits der Frage, ob Union und Grüne die FDP überhaupt rechnerisch als Partner bräuchten. Denn die Union hat – trotz größerer Nähe im sozioökonomischen Bereich – eine erhöhte Veränderungsresistenz gegenüber gesellschaftlichen Reformen. Und die Grünen wären ebenfalls wieder mit von der Partie. Die entscheidende Frage ist vielmehr, ob die FDP mit ihrer heterogenen Wählerschaft produktiv umgehen kann, indem sie diese verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen näher an die Ampel heranholt. So kann sie auch das Bündnis auf eine breitere Basis stellen. 

Von besonderer Bedeutung für den eigenen Erfolg ist es daher, auf Themen zu setzen, die möglichst viele der FDP-nahen Milieus mobilisieren können. Auffallend ist, dass die eigenen Milieus der Digitalisierung eher offen gegenüberstehen. Hierbei kommt der Partei entgegen, dass sich darin unterschiedliche Ziele vereinen lassen. Ob es um den individuellen Flexibilitätsgewinn geht oder um ökologische Ressourcenersparnis, ist dabei zweitrangig. In den Verwaltungen, in Teilen der Wirtschaft, den Schulen und im Gesundheitswesen ließe sich der Alltag der Menschen spürbar verbessern. 

Das Thema Wirtschaft ist aus Sicht der FDP ebenso milieuverbindend. Die ökonomischen Potenziale der sozial-ökologischen Transformation in den Blick zu nehmen, böte zudem die Möglichkeit einer Annäherung an die Koalitionspartner. Hierüber könnten auch solche Milieus, die Veränderungen infolge ökologischer Krisen noch etwas verhaltener gegenüberstehen, besser angesprochen werden. 

Aktiver Liberalismus als Gestalter des Wandels

Im Umgang mit gesellschaftlichen Krisensituationen und den Folgen knapper werdender Ressourcen muss ein Liberalismusbegriff über die rein ökonomische Freiheit und die Betonung der Distanz zum Staat hinausgehen. Schon die aktuellen Krisen können nur noch durch große Geldmengen des Staates abgefedert werden, was Investitionen andernorts reduziert und Schulden aufbaut, die später zurückgezahlt werden müssen. Der von vielen Liberalen gescheute Lösungsansatz des individuellen Verzichts wird auf diesem Wege nur in die Zukunft verlagert. Ein Liberalismus, der früher, aktiver und innovativer eingreift und sich nicht vorrangig an formalen Abwehrrechten orientiert5, könnte die Menschen viel stärker in gesellschaftlichen Umbrüchen bei der Verwirklichung ihrer individuellen Lebensentwürfe unterstützen. 

Auch wenn nach Corona und den energiepolitischen Auswirkungen des Ukrainekrieges vielen Teilen der Wählerschaft die Lust auf Veränderung vergangen ist, stehen demografie- und ökologiebedingte Umbrüche der Gesellschaft unweigerlich bevor. Hierbei könnte der politische Liberalismus eine wichtige Rolle spielen. Denn viele Milieus der FDP verbindet mindestens eine vorsichtige Modernisierungsoffenheit. Die FDP kann in ihrer Rolle als Rechtsstaatspartei diesem Wandel einen ordnenden Rahmen setzen und im liberalen Sinne dabei helfen, dass die Menschen ihre Lebenschancen wahrnehmen können. Dazu gehört aber auch, nicht auf wahltaktische Erfolge in Milieus zu hoffen, die dem transformatorischen Wandel durch Aussitzen, Abschottung oder Rückschritt begegnen wollen. Kurzfristige Wahlerfolge würden sich spätestens dann rächen, wenn durch eine solche Regierungsarbeit modernisierungsoffene Milieus wieder abgeschreckt werden. 

Die FDP muss also einen zweifachen Spagat meistern: zwischen den Interessen der verschiedenen eigenen Wählergruppen auf der einen Seite, und zwischen den Interessen      innerhalb der Ampel auf der anderen. Dabei gibt es keine bequemen Auswege über andere Koalitionspartner oder eine ungebremste Eigenprofilierung. Wenn es ihr stattdessen gelingt, milieuübergreifend integrierend zu wirken, könnte sie dem Bündnis und sich selbst einen Dienst erweisen. So würde deutlich, dass die Ampel keine Notoption zwecks mangelnder Alternativen ist, sondern ein Bündnis der Zukunft. 


1Vgl. Infratest Dimap: ARD-DeutschlandTrend September 2022, Berlin.
2Vgl. Infratest Dimap: ARD-DeutschlandTrend Januar 2023, Berlin.
3Vgl. Vehrkamp, Robert: Plurale Wahlen – Wahlbeteiligung und Wahlverhalten der sozialen Milieus bei der Bundestagswahl 2021, Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung, im Erscheinen; vgl. Borgstedt, Silke: In welchem Land wollen wir leben?, in: Bergmann, Knut (Hg.): »Mehr Fortschritt wagen«?, Darmstadt, 2022.
4Vgl. ebd; vgl. Bergmann, Knut; Borgstedt, Silke; Diermeier, Matthias; Niehues, Judith: Klimaschutz und Parteipräferenz. Einigkeit in der Sache, Unterschiede in den Maßnahmen, IW-Kurzbericht Nr. 67, Köln, 2021.
5Zu dem Unterschied zwischen passiv-formalem, und aktiv-materialem Liberalismus siehe: Dahrendorf. Ralf: Die Chancen der Krise. Über die Zukunft des Liberalismus, Stuttgart, 1983, S.36ff.

Autor

Michael Freckmann

Politikwissenschaftler und freier Journalist
Michael Freckmann (M.A.) studierte Politikwissenschaft in Göttingen und York (UK) und forschte am Göttinger Institut für Demokratieforschung zu Parteien. Er beschäftigt sich journalistisch und wissenschaftlich mit Parteien im Wandel sowie mit politischen Wahlen.

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