Das deutsche Friedens- und Wohlstandsmodell ist auf innere und äußere Säulen gegründet. Im Inneren zehrt Deutschland von der Exportstärke seiner Industrie und von funktionierenden Sozialpartnerschaften. Diese sind im Äußeren wiederum auf europäische Integration, offene Märkte und verlässliche Regelwerke angewiesen. Die Fundamente beider Säulen wurden in den vergangenen Jahren erschüttert. Multiple Krisen und ein enormer Investitionsstau haben die deutsche Volkswirtschaft massiv belastet, insbesondere hinsichtlich ihrer Produktivität und Absatzstärke.
Zugleich sind auch die internationalen Regelwerke und Organisationen sukzessive geschwächt worden. Staaten machen Politik immer häufiger an ihnen vorbei. Diese Entwicklungen haben sich durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine beschleunigt. Mit dem erneuten Amtsantritt von Donald Trump als Präsident der USA sind sie endgültig zur Weltordnungskrise geworden und werfen die Frage auf, wie und ob Deutschland sein Erfolgsmodell unter diesen Bedingungen bewahren kann.
In diesem Paper argumentieren die Autor:innen, dass das deutsche Modell nur dann zukunftsfähig ist, wenn Deutschland die inneren und äußeren Bedingungen dieses Modells entschlossener als bisher zusammendenkt. Eine leistungsfähige, nachhaltige industrielle Basis wird nur Bestand haben, wenn Deutschland sowohl die europäische Integration vorantreibt als auch die Aufrechterhaltung der regelbasierten internationalen Ordnung durch Partnerschaften mit Mittel- und Niedrigeinkommensländern stiftet und orchestriert. Auf den ersten Blick stehen Deutschland und Europa durch die Abkehr der USA von dem, was wir bis dato als regelbasierte Weltordnung verstanden haben, allein da. Auf den zweiten Blick ergibt sich aus dieser Konstellation eine historische Chance für ein zukunftsfähiges Deutschland in einem starken Europa. Wir empfehlen konkret:
Ein starkes Europa, das seine Sicherheit selbst organisieren kann, seine Werte lebt und seine Wirtschaft fördert, ohne sich von offenen Märkten abzuschotten, wird (wieder) zum interessanten Partner für viele Mittel- und Niedrigeinkommensländer außerhalb des ehemals sogenannten Globalen Nordens. Denn sie teilen das Interesse Deutschlands und Europas an verlässlichen Regelwerken und offenen Märkten. Um die Mehrheit dieser Staaten für eine regelbasierte Ordnung zu gewinnen, müssen Deutschland und Europa sich zu Reformen der Regelwerke und Praktiken bekennen, die fairen Handel und Beteiligung in einem höheren Ausmaß ermöglichen, als dies durch die US-amerikanisch geprägte Ordnung der vergangenen Jahre und Jahrzehnte der Fall war. Das erwarten die Länder des Globalen Südens – und das erwarten sie zurecht. Zugleich geht es auch darum, die bereits gefestigten westlich-demokratischen Partnerschaften mit Ländern wie Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland strategischer zu denken und auszubauen.
Deutschland ist die drittgrößte Volkswirtschaft weltweit. Ohne die Europäische Union ist ihre globale Gestaltungsmacht angesichts der zunehmend muskulären Politiken von China und den USA dennoch begrenzt. Darum liegt es in Deutschlands ureigenem Interesse, die europäische Integration voranzutreiben. Der Schock durch den Rückzug der USA aus dem politischen Westen im allgemeinen und die Abkehr von Europa im Besonderen könnten ähnlich wie der Delors-Moment in den 1980er-Jahren erneut ein Fenster für einen grundlegenden Integrationsschub Europas öffnen, das Deutschland nutzen sollte – auch im Sinne eines Europas variabler Geschwindigkeiten.
Autor:innen
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