Wer spricht für wen? – Die Talkshow-Gesellschaft

Über die Repräsentation gesellschaftlicher Bereiche und politischer Ebenen in öffentlich-rechtlichen Talkshows

Zusammenfassung

Politische Talkshows erreichen Woche für Woche ein Millionenpublikum. Während der „ersten Welle“ der Corona-Pandemie nahm die Reichweite mancher Gesprächsformate von ARD und ZDF um weitere 30 Prozent zu. Gleichzeitig stehen diese Sendungen für die Art von medialem Diskurs, durch die sich eine gesellschaftliche Minderheit nicht (mehr) repräsentiert fühlt und seinen VertreterInnen mitunter zunehmend aggressiv gegenübertritt.

Ob als „Ersatzparlament“ verklärt oder als „Quasselrunde“ polemisiert: Politische Talkshows sind nicht nur ein populäres Fernsehformat, sondern auch beliebter Untersuchungsgegenstand wissenschaftlicher Studien, journalistischer Analysen oder privater Gespräche. Der „Talk über den Talk“ wird mittlerweile fast leidenschaftlicher geführt als manch eine Sendung selbst. Themensetzung, Gästeauswahl, Sendungstitel, Diskursführung – nahezu jeder Aspekt gerät regelmäßig auf den Prüfstand. Nicht immer mit überzeugenden Argumenten, häufig auch mit persönlichen Empfindlichkeiten.

Die Studie untersucht, wie es um die Repräsentation gesellschaftlicher Bereiche und politischer Ebenen in öffentlich-rechtlichen Talkshows bestellt ist. Pointiert lautet die Forschungsfrage: Wer spricht für wen? Untersucht wurden die Gästelisten und Themen von 1.208 Sendungen über einen Zeitraum von drei Jahren, plus der Sendungen aus der Hochphase der Corona-Pandemie. Der Fokus der Analyse liegt auf den „Big 4“ der Talkshow-Landschaft (Anne Will, hart aber fair, Maischberger und Maybrit Illner), für punktuelle Vergleiche wurden außerdem Markus Lanz und die Phoenix Runde ausgewertet.

Letztendlich, offenbarte die Datenanalyse der Gästebesetzung Unterschiede in der Repräsentation verschiedener gesellschaftlicher Kräfte und politischer Ebenen, was auf eine „Krise der Repräsentation“ schließen lässt. Ob diese Diagnose als zeitgenössische Demokratieherausforderung überzeugender scheint als eine systemische “Krise der Demokratie” diskutiert die Studie im Folgenden. Basierend auf den Ergebnissen identifiziert die Studie Handlungspotenziale um Vertrauen zu stärken, lösungsorientierter zu debattieren und den politischen Blickwinkel zu weiten.


Mediale Reaktionen auf „Die Talkshow-Gesellsschaft“


Die zentralen Erkenntnisse

  • Zwei Drittel aller Gäste kommen aus Politik und Medien

Alle Talkshow-Gäste wurde einem gesellschaftlichen Bereich zugeordnet, in dem ihre hauptsächliche Tätigkeit verordnet werden kann, die der Einladung zur Diskussion zugrunde liegt. Folgendes Bild ergibt sich für die „Big 4“: 42,6 Prozent der Gäste sind VertreterInnen von Parteien22,9 Prozent stammen aus dem Journalismus. Zusammengenommen kommen damit 65,5 Prozent der Gäste in den wichtigsten vier Polit-Talkshows aus Politik und Medien. Die Anteile der anderen gesellschaftlichen Bereiche fallen unterdessen deutlich geringer aus: 8,8 Prozent der Gäste kommen aus der Wissenschaft; 6,4 Prozent aus der Wirtschaft; 2,8 Prozent aus dem Kulturbereich und 2,7 Prozent aus der organisierten Zivilgesellschaft. Besonders klein fallen die Anteile von Gästen aus den Bereichen: Soziales (1,4 Prozent), Religion (0,7 Prozent) und Bildung (0,1 Prozent) aus. Politik 42,6% Journalismus 22,9% Wissenschaft 8,8%.

  • 70 Prozent der PolitikerInnen sind von der Bundesebene

Im Kontext der zunehmenden politischen Verflechtung von europäischer (bzw. globaler) bis lokaler Ebene, ist es von Interesse, wie sich die Gäste auf die unterschiedlichen Ebenen politischer Verantwortung aufteilen. Dazu wurden alle Gäste aus der Politik jener Ebene zugeordnet, auf der ihr hauptsächliches politisches Amt bzw. ihre hauptsächliche Tätigkeit angesiedelt ist. Bei den „Big 4“-Talkshows zeigt sich insgesamt eine sehr deutliche Dominanz der Bundesebene70,2 Prozent der talkenden PolitikerInnen kommen von der bundespolitischen Ebene, also aus dem Berliner Politikbetrieb.

Danach folgen die Landesebene mit einem Anteil von 19,3 Prozent, die EU-Ebene mit 7,3 Prozent, die Lokalebene mit 2,4 Prozent und die globale Ebene mit 0,7 Prozent. Bundes- und Landesebene zusammen genommen machen fast 90 Prozent der Gäste aus der Politik aus. Als Ausreißer innerhalb der „Big 4“ stellt sich in diesem Zusammenhang Maischberger heraus: In dieser Sendung sind die Anteile der Landesebene (28,1 Prozent) deutlich und die der europäischen Ebene (8,6 Prozent) geringfügig größer. Die Bundesebene kommt bei Maischberger nur auf einen Anteil von 57,8 Prozent. Bei der Phoenix Runde weichen die Verhältnisse erneut etwas von den vier Hauptsendungen ab: Hier sind die europäische Ebene mit 14,4 Prozent und die Lokalebene mit 6,0 Prozent häufiger vertreten. Dies geht in erster Linie zulasten der Landesebene (12,4 Prozent) und in zweiter Linie der Bundesebene (65,5 Prozent). Die globale politische Ebene ist bei Phoenix mit 1,5 Prozent vertreten. Auch Markus Lanz wartet mit Differenzen auf: In dieser Sendung kommt mit über einem Viertel ein verhältnismäßig großer Anteil der politischen Gäste von der Landesebene.

  • Wenn Zivilgesellschaft mitredet, dann der Aktivismus

Dem Bereich der organisierten Zivilgesellschaft sind nur 2,7 Prozent der Talkshow-Gäste der „Big 4“ zuzuordnen. Zu diesem Bereich zählen Gäste aus Nichtregierungsorganisationen (NGOs), lokalen Bürgerinitiativen und Bewegungen bzw. dem Aktivismus. Insgesamt ergibt sich somit für den Beobachtungszeitraum von drei Jahren eine Gästeanzahl von lediglich 58 Personen. Maybrit Illner hat dabei mit 20 Gästen aus der Zivilgesellschaft den größten Anteil, Maischberger und Anne Will mit jeweils 11 Personen den geringsten. Zwei Drittel der zivilgesellschaftlichen Gäste stammen dabei aus dem Unterbereich „Bewegung/Aktivismus“.

Eine deutliche Diskrepanz in der Talkshow-Präsenz tut sich zwischen AktivistInnen und Nichtregierungsorganisationen auf: 15 Gäste sind Nichtregierungsorganisationen zuzuordnen, 39 Gäste repräsentieren den Bereich Bewegung/Aktivismus. Bei Markus Lanz (1,4 Prozent) und der Phoenix Runde (2 Prozent) ist der Gesamtanteil der Gäste aus der Zivilgesellschaft jeweils noch geringer als bei den „Big 4“. Für die vier Hauptsendungen zeigt sich ein interessanter Trend im Verlauf des Untersuchungszeitraums: Die Gästeanzahl aus der organisierten Zivilgesellschaft hat bei allen Sendungen zwischen 2018 und 2020 zugenommen.

Dieser Anstieg liegt vor allem an der häufigeren Präsenz von Gästen aus dem Bereich Bewegung/Aktivismus. Ein Blick auf die Themen und Zeitpunkte verrät: Die Klima-Debatte hat in den Jahren 2018 und 2019 zu einer häufigeren Präsenz von AktivistInnen in Talkshow-Runden geführt. Man könnte sagen: Die „Fridays for Future“-Bewegung schaffte es von der Straße in die Talkshow-Sessel: Nach den großen Klimastreik-Protesten im März und September 2019 fanden sich jeweils mehr AktivistInnen in den Sendungen. VertreterInnen von NGOs erleben im Zeitverlauf der „Big 4“ weder einen sprunghaften Anstieg von Auftritten, wie jene aus dem Bereich Aktivismus/Bewegung, noch sind sie permanent zugegen. In einigen Quartalen treten sie sogar gar nicht in den Talksendungen auf.

Autor:innen

Paulina Fröhlich

Stellvertretende Geschäftsführerin und Leiterin | Resiliente Demokratie
Paulina Fröhlich ist stellvertretende Geschäftsführerin und verantwortet den Schwerpunkt „Resiliente Demokratie“ des Berliner Think Tanks Das Progressive Zentrum. Dort entwirft sie Dialog- und Diskursräume, leitet die europäische Demokratiekonferenz „Innocracy“ und ist Co-Autorin von Studien und Discussion Papers.
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Dr. Johannes Hillje ist Politik- und Kommunikationsberater in Berlin und Brüssel. Er berät Institutionen, Parteien, Politiker, Unternehmen und NGOs. Zur Europawahl 2014 arbeitete er als Wahlkampfmanager der Europäischen Grünen Partei. Zuvor war er im Kommunikationsbereich der UN in New York und in der heute.de-Redaktion des ZDF tätig.
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Inhalt

Zusammenfassung
Autor:innen

Paulina Fröhlich

Stellvertretende Geschäftsführerin und Leiterin | Resiliente Demokratie

Dr. Johannes Hillje

Policy Fellow

Wir entwickeln und debattieren Ideen für den gesellschaftlichen Fortschritt – und bringen diejenigen zusammen, die sie in die Tat umsetzen. Unser Ziel als Think Tank: das Gelingen einer gerechten Transformation. ▸ Mehr erfahren