Zusammenfassung
Geraten Kunst und Kultur unter Druck, gerät Demokratie unter Druck. Vor diesem Hintergrund zielt das Projekt “The Art of Democracy – Countering Populism in Arts & Culture” darauf ab, die Resilienz von Kunst- und Kulturschaffenden zu stärken und Umgangsstrategien angesichts illiberaler Einflussnahme, anti-demokratischer Einschüchterung und antipluralistischer Anfeindungen bereitzustellen.
Die Abschlusspublikation “Resiliente Kunst und Kultur: Umgangsstrategien mit anti-demokratischer Agitation” bündelt das Wissen des mehrjährigen Projekts, indem sie einen Blick auf die Herausforderungen von Kunst- und Kulturschaffenden unter rechter Agitation wirft. Als Handreichung bietet sie eine Sammlung von konkreten Praxisbeispielen, Umgangsstrategien und Unterstützungsmöglichkeiten, die zu einer höheren Resilienz von Kunst und Demokratie beitragen sollen.
Die Publikation fußt auf einem intensiven, cross-sektoralen Erfahrungsaustausch mit Kunstschaffenden und Vertreter:innen aus Politik und Verwaltung im Rahmen von sechs Workshops in Bochum, Halle, Hamburg, München, Dresden und Erfurt sowie einer bundesweiten, digitalen kulturpolitischen Konferenz unter Beteiligung von Staatsministerin Claudia Roth.
Kulturpolitik als Demokratiepolitik?
Künstlerische Arbeit kann zur Demokratiearbeit beitragen. Paradoxerweise gelingt diese Arbeit an der Offenen Gesellschaft durch die zwecklose Freiheit der Kunst: Kunst muss überhaupt keine Funktion, keinen Nutzen erfüllen. Kunst muss nicht gefallen, unterhalten oder zusammenführen – und dennoch schafft sie Räume des Experiments, der Vielfalt, der Begegnung und des Austausches. Gerade aufgrund ihrer Bedeutung für die Offene Gesellschaft gilt es, Kunst und Kultur in einer Demokratie durch staatliches Engagement zu fördern.
Zunehmend werden Kunst und Kultur zu Kampffeldern sozialer und politischer Auseinandersetzungen: Autoritäre, extremistische oder rassistische Denksysteme begreifen Kunst nicht als Selbstversicherung einer pluralen, radikal diversen Offenen Gesellschaft. Vielmehr geht es anti-demokratischen Akteuren darum, Sagbares zu verschieben, den öffentlichen Diskurs zu bestimmen und Forderungen nach kultureller Hegemonie durchzusetzen.
Angesichts dieser illiberalen Einflussnahmen und Anfeindungen betonten die Teilnehmenden der Workshops und der Konferenz, dass die politische Antwort in der Stärkung der Kulturlandschaft liegen müsse: Stärkung durch die Herstellung sicherer Räume, aber auch, indem die Prekarisierung des künstlerischen Feldes stärker in den Blick genommen wird.
Herausforderung: anti-demokratische Einflussnahme und Einschüchterung
Die sogenannte Neue Rechte beruft sich ideologisch auf eine Konservative Revolution und arbeitet strategisch mit dem Konzept der kulturellen Hegemonie. Diese Gruppierungen teilen die Grundannahme, dass einem politischen Wandel erst ein geistiger vorausgehen müsse. Die Neue Rechte versucht jedoch nicht nur ein eigenes kulturelles antipluralistisches Identifikationsangebot zu machen. Sie greift seit Jahren gezielt jene kulturelle Szene an, welche nicht in ihr völkisches Verständnis passt. Menschen, die sich in der Öffentlichkeit für eine freie und offene Gesellschaft und Kulturlandschaft einsetzen, werden eingeschüchtert und öffentlichkeitswirksam als Feind:innen markiert. Dieser Kulturkampf ist vielerorts zum Alltag von Kulturschaffenden geworden.
Umgang mit rechter Agitation – Unterstützung bekommen
Als übergreifende Strategie zur Stärkung der Handlungsfähigkeit von Kulturschaffenden, Verwaltung und Politik im Umgang mit illiberalen Anfeindungen wird die Bildung von lokalen Allianzen und überregionalen Netzwerken diskutiert. Durch sie können zum Beispiel angesichts drohender Haushaltskürzungen oder politischer Einmischung überregional Aufmerksamkeit erzeugt werden. Auch (translokaler) Austausch und Wissenstransfer sowie sektorenübergreifende Solidarisierung – und natürlich das Gefühl, nicht „alleine gegen Anti-Demokrati:innen“ zu stehen, stärkt Akteur:innen vor Ort in ihrem spezifischen Handlungsraum.
Konkret schlugen die Teilnehmenden des Erfahrungsaustausches vor, Ankerpunkte, Beratungsstellen oder mobile Anlaufstellen zu schaffen, die Wissenstransfer (best practices) und die Vernetzung mit vergleichbaren zivilgesellschaftlichen Akteur:innen ermöglichen und organisieren.
Im Rahmen der Workshops arbeiteten die Mitwirkenden fünf Herausforderungen heraus, die eingehender diskutiert wurden, um im Anschluss erfolgreiche Umgangsstrategien und Unterstützungsmöglichkeiten zu sammeln oder neue Strategien zu entwickeln:
Physische und symbolische Gewalt sollte nicht akzeptiert werden. Vorfälle sollten stets dokumentiert und das Hausrecht konsequent durchgesetzt werden.
Bei Versuchen der Diskursverschiebung sollten kreative Mittel eingesetzt werden, um diese aufzuhalten. Außerdem sollte ein breites Angebot geschaffen und stets Selbstkritik geübt werden.
Es darf keine falsche Neutralität geprädigt werden. Zum sicheren Umgang mit der Kunstfreiheit brauche es Wissensvermittlung zum Neutralitätsgebot auf allen Ebenen.
Bei Selbstbeschränkung helfe vor allem, durch Kenntnis und Austausch Selbstbewusstsein aufzubauen.
Im Falle internationaler, grenzübergreifender Einflussnahme hilft vor allem: Fortbilden, Sensibilisieren und dann konsequent und mutig Eingreifen.
Künstlerische Praxis als Arbeit an der Offenen Gesellschaft
Kunst kann einen wesentlichen Beitrag zu einer kritisch-konstruktiven Zivilgesellschaft leisten. Das künstlerische Feld kann jedoch nur dann sein Potenzial voll entfalten, wenn die politischen, rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen eine freie Betätigung sicherstellen.
Angesichts illiberaler, anti-demokratischer Kräfte gilt es, Netzwerke des Erfahrungsaustausches und der Solidarität zu spinnen, um vorbeugend Handlungsbereitschaft aufzubauen. Den verschiedenen Funktionsebenen des Staates (Kommunen, Ländern, Bund, Justiz, Polizei) kommt dabei die Rolle zu, die Kunstfreiheit unmissverständlich zu schützen und die Mittel zu einer freien, angstfreien Entfaltung einer pluralen Kulturlandschaft bereitzustellen. Kunstfreiheit kann als eine Grundlage und ein Kennzeichen der Offenen Gesellschaft verstanden werden. Diesen Spagat gilt es in der Kunstpolitik zu meistern: Kunst im Rahmen von Demokratieförderung zu stärken, ohne in die Kunstfreiheit und die (programmatische) Autonomie des künstlerischen Feldes einzugreifen.
Zur Stärkung des künstlerischen Feldes als gesamtgesellschaftlichem, öffentlichem Gut, kommt Künstler:innen wiederum die Aufgabe zu, Barrieren abzubauen und Zugänglichkeit herzustellen: Kunstinstitutionen müssen fortwährend daran arbeiten, inklusiver zu werden und ungehörten, marginalisierten Stimmen und Perspektiven Sichtbarkeit und Repräsentation zu ermöglichen.
Autor:innen
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The Strategic Value of Visions: Lessons from Innocracy 2020 and outlook on this year’s conference

Inhalt

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