Schwächt das von uns eingeübte Verhalten mit dem Gebrauch von Social Media Apps das für demokratisches Handeln notwendige Erkennen von gesellschaftlichen Zusammenhängen und demokratische Tugenden wie z.B. Kompromissbereitschaft?
Überall sieht man Menschen, die auf ihrem Smartphone scrollen, tippen und tappen, hier und da folgt ein kurzes Lächeln in Richtung der Geräte. Menschen zeigen sich flüchtig die gegenseitigen Inhalte auf ihren Telefonen, dann versinken sie wieder in die eigene digitale Welt. Verhaltensweisen, so verbreitet und inzwischen gewöhnlich, dass ich mir oftmals keine Gedanken mehr darüber mache. Nicht so heute. Mit Blick auf aktuelle politische Entwicklungen – das Erstarken von (Rechts-)Populismus und die vielfach besprochene Gefährdung liberaler Demokratien – frage ich mich:
Schwächt das von uns Tag für Tag mit dem Gebrauch von Social Media Apps eingeübte Verhalten eigentlich das für demokratisches Handeln notwendige Erkennen von gesellschaftlichen Zusammenhängen und demokratische Tugenden wie z.B. Kompromissbereitschaft?
Apps beeinflussen Verhalten – was üben wir ein?
Hintergrund dieser Überlegung ist folgender Gedanke: Mit dem Gebrauch verschiedener Apps üben wir ganz beiläufig Verhaltensmuster ein, ohne uns gänzlich der konkreten Auswirkungen bewusst zu sein. Gelenkt wird das Verhalten wiederum vom Design der genutzten Apps und Plattformen und dieses ist Resultat unternehmerischer Interessen. Es rahmt die Handlungsmöglichkeiten und beeinflusst das Machbare und Nichtmachbare, das Vorstellbare und vor allem das Unvorstellbare.
Eine Bewertung dahingehend, dass dies generell schlecht sei, wäre pauschalisierend und falsch. Schließlich kommt es dabei immer auf das Zusammenspiel des individuellen Nutzens für den Benutzenden sowie das unternehmerische Ziel in Abwägung mit dem Schaden oder Nutzen für die betrachtete demokratische Gesellschaft an.
Eine einfache, kurze und abschließende Antwort auf die o.g. Fragestellung gibt es nicht und das ist auch gut so. Die Auffassung dieses Textes als eine erste Gedankenskizze, die sich mit mehr Wissen und über die Zeit verändern kann, erscheint mir deshalb passend. Eine Gedankenskizze, die sich sowohl im Hinblick darauf beschränkt, was unter demokratischem Verhalten betrachtet wird, als auch darauf, über welche Anwendung gesprochen wird. Ich beschränke mich in diesem Text exemplarisch auf die Betrachtung von zwei Elementen, die modernen Demokratien zu Grunde liegen:
- das Verständnis komplexer gesellschaftlicher Zusammenhänge der Bürger*innen und
- das Bestreben des sachlichen Aushandelns von Kompromissen, die stets zum Ziel haben, möglichst vielen Interessen, Lebensrealitäten und Perspektiven gerecht zu werden
Beides Kernwerte, die demokratisches Handeln von populistischen Aktivitäten unterscheiden. Im Kontext der hier betrachteten Fragestellung lässt sich festhalten, dass der Einfluss von Apps auf unser Verhalten dann problematisch ist, wenn dadurch grundlegende demokratische Tugenden unterminiert oder wünschenswertes Verhalten gerade nicht eingeübt wird, das für eine funktionierende Demokratie unabdingbar ist. In den im Folgenden gewählten Beispielen werde ich mich auf die Anwendung des sozialen Netzwerks Facebook fokussieren.
Der Einfluss von Apps auf unser Verhalten ist dann problematisch, wenn dadurch grundlegende demokratische Tugenden unterminiert oder wünschenswertes Verhalten, das für eine funktionierende Demokratie unabdingbar ist, nicht eingeübt wird
Das Verstehen und Verstehenwollen gesellschaftlicher Zusammenhänge
Es gibt durchaus Gründe für Zweifel, ob das momentane Design von Facebook bei den Nutzer*innen Verständnis für komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge oder die Bereitschaft zu Kompromissen fördert. Der Newsfeed von Facebook ist z.B. so gestaltet, dass nahezu nahtlos ganz unterschiedliche Inhalte für die Betrachter*innen aneinandergereiht werden. Dadurch ergibt sich zwar irgendein Sinnzusammenhang, doch ist es fragwürdig, ob dies zu einem tieferen Gesellschaftsverständnis mitsamt auszuhandelnden Problemstellungen führt. Eine bloße Aneinanderreihung politischer Kurzmeldungen über den Brexit, Schuhwerbung und Wohnungsgesuch von Anna kreiert kein geistiges Klima, das zu einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit vielschichtigen Gesellschaftsprozessen einlädt. Auch Clickbait-Posts, bezahlte Artikel, Desinformation und die häppchenartige Gestaltung der einzelnen Posts erschweren dies. Das Einüben des Sichtens, Prüfens, geschichtlichen Einsortierens und Hinterfragens von Quellen – alles Verhaltensweisen, die dem Verständnis von komplexen Zusammenhängen dienlich sind – werden vernachlässigt.
Eine bloße Aneinanderreihung politischer Kurzmeldungen kreiert kein geistiges Klima, das zu einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit vielschichtigen Gesellschaftsprozessen einlädt
Das Einüben von Kompromissbereitschaft
Auch im Hinblick auf die Frage, inwieweit die Nutzung von Facebook das Einüben von Kompromissbereitschaft fördert, gibt es Anhaltspunkte, die eher dagegen sprechen: Die in sozialen Netzwerken existente Logik der ständigen binären Bewertung, oftmals in Form von Likes oder kurzen (Hass-)Kommentaren, folgt einer vollkommen anderen Funktionslogik als der des Kompromisses. Der Kompromiss lebt ja gerade davon, nicht nur kategorial in ‚gefällt mir’ oder ‚gefällt mir nicht’ zu unterscheiden, sondern davon, sich auf verschiedene Perspektiven einzulassen, Eingeständnisse zu machen und sich bewusst um eine konstruktive Lösung zu bemühen.
Der Kompromiss lebt davon, nicht nur kategorial in ‚gefällt mir’ oder ‚gefällt mir nicht’ zu unterscheiden
Das Demokratiedefizit sozialer Medien
In einer Welt, in der das Design von Apps vermehrt Verhalten beeinflusst, brauchen wir eine Diskussion darüber, welches Verhalten wir (nicht) einüben wollen und wie soziale Netzwerke gestaltet werden müssten, um demokratisches Verhalten einzuüben und zu stärken. Die Fragerichtung sollte dabei die Grundwerte moderner Demokratien zum Ausgangspunkt der Überlegungen machen. Anhand der exemplarischen Überlegungen, inwieweit demokratische Werte durch das Design von Facebook eingeübt oder gefördert werden, lässt sich kritisch vermuten, dass sie heutzutage eben nicht eingeübt werden. Die Bewusstwerdung dieses Demokratiedefizits sozialer Medien auf Verhaltensebene lässt es zu, folgerichtige politische Forderungen und Strategien abzuleiten, die auf die künftige Gestaltung sozialer Netzwerke einwirken können.
Demokratische Werte werden durch das Design von Facebook weder eingeübt noch gefördert
Hintergrund
Dieser Meinungsbeitrag entstand im Rahmen des Projekts Countering Populism in public space. Gemeinsam mit VertreterInnen von Nichtregierungsorganisationen und jungen Medienschaffenden wurden konkrete Handreichungen und ein multimediales Angebot für den souveränen und bewussten Umgang mit demokratiefeindlichem Populismus in der Öffentlichkeit erarbeitet.
Das Progressive Zentrum brachte AkteurInnen aus dem Mediensektor und der Zivilgesellschaft im Rahmen von zwei Wegweiser-Werkstätten zusammen und bot so einen Rahmen der ko-kreativen Zusammenarbeit und des konstruktiven Erfahrungsaustauschs. Während in der ersten Werkstatt VertreterInnen von gesellschaftsrelevanten Jugendverbänden, religiösen Gemeinden, gesellschaftspolitischen Initiativen, Stiftungen, öffentlichen Einrichtungen und Gewerkschaften zusammenkamen, arbeiteten in der zweiten Werkstatt Medienschaffende aus der journalistischen sowie BloggerInnen- und Social-Media-Szene zusammen. Dabei konnten konkrete Schlussfolgerungen aus ihren bereits erworbenen Erfahrungen im Umgang mit demokratiefeindlichen PopulistInnen gezogen werden.