Wie kann Deutschland zum Vorreiter einer digitalen Nachhaltigkeitsökonomie werden?

Das war unsere Paneldiskussion zur Studie “Innovation als Schlüssel zur gerechten Transformation” mit u.a. Benjamin Mikfeld, Anke Hassel, Adriana Groh und Jano Costard.

Ohne Innovation keine Transformation. Die Dekarbonisierung und Digitalisierung Deutschlands erfordern ein hohes Maß an Innovationsdynamik: Das Neue muss in die Welt kommen. Wie kann das gelingen und welche Innovationspolitik sollte die Ampelkoalition verfolgen? Das diskutierten wir am 27. März 2023 in Berlin.

In der Diagnose herrscht an diesem Abend in der Berliner Hertie-School größtenteils Einigkeit: Das Innovationssystem Deutschlands verfügt einerseits über eine starke Forschungslandschaft, weist andererseits aber eine schwache Gründungsneigung auf und hängt bei Zukunftstechnologien wie etwa Künstlicher Intelligenz hinterher. Die Autor:innen Anke Hassel und Maik Bohne legen diese Stärken und Schwächen in ihrer Studienvorstellung ausführlich dar.

Die Studie “Innovation als Schlüssel zur gerechten Transformation”, gemeinsam mit Dr. Daniela Blaschke verfasst, ist am Tag der Veranstaltung erschienen – einen Tag vor dem “Forschungsgipfel 2023”, der ebenfalls Blockaden und Potenziale des deutschen Innovationssystem für die Transformation adressierte.

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Die „drei Ds“ der Transformation

Die Panelgäste des Abends, neben Co-Autorin Anke Hassel außerdem Benjamin Mikfeld, Abteilungsleiter im Kanzleramt, Challenge Officer Jano Costard von der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIN-D) und Adriana Groh vom Sovereign Tech Fund können sich im Allgemeinen hinter gemeinsamen Zielen von Innovation vereinen, die Mikfeld in seinem Eingangsstatement darlegt. Innovationen sollen laut Mikfeld bei den “drei Ds” der Transformation helfen: “Es geht zuvorderst um die Dekarbonisierung, die nicht durch Verzicht entstehen kann, sondern letztlich nur durch technologische und soziale Innovation. Die Digitalisierung kann als Megatrend ihren Beitrag zur Transformation leisten. Das dritte D ist die Demografie. Wenn im nächsten Jahr die Boomer in Rente gehen, dann kann der Fachkräftemangel auch zu einem Wachstums- und Innovationshemmnis werden. Hier braucht es neben der Einwanderung von Fachkräften auch Prozessinnovation”, erklärt Mikfeld.

Anke Hassel, Co-Autorin der Studie „Innovation als Schlüssel zur Transformation“ und Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats des Progressiven Zentrum

Missionen in den Mittelpunkt

Die Kernfrage des Abends stellt Benjamin Mikfeld bereits in seinem Eingangsstatement: Was kann man für die Erreichung dieser Ziele politisch besser machen? Die Bundesregierung hat letzten Monat ihre Zukunftsstrategie vorgestellt, in der Missionen im Mittelpunkt stehen. Man sei also an der missionsorientierten Gestaltung von Innovationspolitik – eine Handlungsempfehlung der Studien-Autor:innen – schon dran, so Mikfeld. Missionen müssten aber auch konsequent mit Blick auf Ziele zu Ende gedacht werden. Zuletzt fordert Mikfeld noch einen “gesamtgesellschaftlichen Innovationskonsens”, um Dilemmata, Interessengegensätze und vielleicht auch manche Widersprüche aufzulösen. Denn die Frage der Mentalität beschränke sich nicht nur auf die Gründungskultur. Dies führen auch die Studien-Autor:innen in ihren Empfehlungen aus: Eine neue Innovationsdynamik erfordert die Verankerung des Themas in der Breite der Gesellschaft, etwa durch eine Neuausrichtung in der deutschen Bildung auf zum Beispiel entrepreneurial education.

Benjamin Mikfeld, Abteilungsleiter Politische Planung, Grundsatzfragen; Gesellschaftlicher Dialog im Bundeskanzleramt

Julia Kloiber, Impulsgeberin bei der Veranstaltung und Co-Gründerin von Superrrlab, spricht ebenfalls die viel zitierte Kultur des Wagens an, macht jedoch deutlich: “Scheitern können, heißt vor allem: sich scheitern leisten können!” Es brauche soziale Maßnahmen, um das Innovationspotenzial der Vielen zu heben. Damit ging es in der anschließenden Panel-Diskussion tiefer in die Analyse: Welche praktischen Stellschrauben sind denn nun entscheidend für die Innovationsfähigkeit Deutschlands? Jano Costard erklärt, wie die Bundesagentur für Sprunginnovationen SPRIN-D durch Innovationswettbewerbe versucht, Wandel anzustoßen und dabei auch die soziale Zugänglichkeit im Blick hat. Der Sovereign Tech Fund, so Co-Founder Adriana Grohe, fördere eher Strukturen statt konkreter Innovationen, um die Innovationskraft der Vielen zu entfalten.

Panelistin Adriana Groh, Co-Founder des Sovereign Tech Fund

Innovation (trans-)national

Eine im Rahmen der Studie in Auftrag gegebene Civey-Umfrage zeigt: Nur 13 Prozent der Deutschen halten die EU für den innovativsten Wirtschaftsstandort, die Mehrheit der Befragten (39 %) halten China für am innovativsten. Ebenso sind 78 Prozent der Meinung, dass die deutsche Regierung nicht genug für die Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft tut. Co-Autorin Anke Hassel unterstreicht bei der Diskussion nochmals, wie groß die Innovationshemmnisse hierzulande tatsächlich seien: “Es handelt sich hierbei nicht bloß um eine PR-Schwäche.” Deutschland leide am Fluch des Erfolgs der letzten 20 Jahre, zudem seien Blockaden anders als in anderen Ländern an der politischen Tagesordnung.

Axel Brugger, Leiter Government Affairs Deutschland der Siemens AG, wirft als weiterer Impulsgeber der Debatte wiederum die Frage auf, inwiefern Innovation überhaupt als nationales Problem behandelt werden darf: Vieles entstünde in transnationalen Wissens- und Kapitalstrukturen. Die Studie zeigt im Vergleich mit den skandinavischen Ländern, Japan und den Niederlanden auf, worin Deutschland besser werden muss: einen verlässlichen und koordinierten Rahmen  zu schaffen, der eine übergreifende Orientierung für alle Akteure im Innovationssystem ermöglicht.

Lassen sich Innovationen politisch planen?

In seiner Begrüßung erinnerte sich Dominic Schwickert, Geschäftsführer des Progressiven Zentrum, an das Zitat einer Teilnehmenden aus dem Strategic Foresight-Workshop auf, der der Studie vorausgegangen war: “Innovation ist kein LNG-Terminal!”. Eine Innovationsdynamik ließe sich nicht von heute auf morgen entfachen, da die Zyklen komplex sind und sich über längere Zeiträume erstrecken. Umso wichtiger sei es aber, dass Politik eine klare Richtung vorgibt und das Thema ganz oben auf die Agenda setzt. Auch wenn sich die Früchte anders als beim Bau von LNG-Terminals nicht in sechs Monaten ernten ließen.

Moderatorin Teresa Stiens, Journalistin beim Handelsblatt, greift die Frage in der Diskussion wieder auf: Welche Rolle kann die Politik nun tatsächlich bei Innovationen spielen, lässt sich Innovation politisch planen? Mikfeld antwortet mit einem “klaren Jein”. Technologieoffenheit und produktive Zufälle seien wichtig. Allerdings diene der Begriff der Technologieoffenheit zuweilen als Ausrede für Tatenlosigkeit. Die Entscheidung für E-Mobilität etwa sei ein gutes Beispiel für gesteuerte Innovation.

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Wie Veränderung attraktiv machen?

“Veränderung braucht Beteiligung”, betont Frederik Moch, Abteilungsleiter Struktur-, Industrie- und Dienstleistungspolitik beim DGB in seinem Kurzimpuls und meint damit das innovationsfördernde Potential von Mitbestimmung. Um den Vielen Lust an Innovation und Mitgestaltung zu machen, rät Adriana Groh: “Wir sollten in der politischen Debatte über Innovation weniger technisch sprechen. Es geht im Grunde darum, gemeinschaftlich Probleme zu lösen.”

Ob es der Bundesregierung gelingt, die nicht zuletzt durch den Transformationsdruck erforderliche Dynamik in die deutsche Innovationslandschaft zu bringen, hängt zum einen davon ab, ob sie bereit ist, dem Thema das notwendige politische Gewicht zu verleihen, und zum anderen davon, ob sie in der Lage ist, klare Missionen zu benennen, zu operationalisieren und aktiv zu managen.

Fotos des Abends

Klicken zum Vergrößern und HerunterladenCopyright: Kathleen Pracht

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