Mit dem angekündigten Rückzug Annegret Kramp-Karrenbauers wirkt sich die politische Krise in Thüringen noch unmittelbarer auf die Bundespolitik aus. Vor uns liegen wichtige Monate für die liberale Demokratie, meint unser Policy Fellow Johannes Hillje im Gespräch zu den aktuellen Ereignissen.
Johannes, manche BeobachterInnen sehen die Rücktrittsankündigung der CDU-Vorsitzenden als richtige und notwendige Konsequenz. Andere halten ihren Rücktritt für den zweiten Erfolgsmoment der AfD nach der Wahl Kemmerichs. Wie bewertest Du die aktuelle Lage?
Johannes Hillje: Wir sollten die AfD nicht stärker machen, als sie ist. Die AfD hat AKK nicht gestürzt. CDU und FDP sind auf die vorhersehbare Sabotage demokratischer Prozesse durch die AfD hereingefallen. Thüringen war für AKKs Rückzug auch nur der Auslöser, nicht die Ursache.
AKKs größtes Versäumnis: Es ist ihr nicht gelungen, während ihrer Amtszeit einen modernen Konservatismus zu entwickeln.
Sie hat nach einer ganzen Serie von Fehlern und Krisen eine respektable Konsequenz gezogen. AKKs größtes Versäumnis: Es ist ihr nicht gelungen, während ihrer Amtszeit mit der CDU einen modernen Konservatismus zu entwickeln.
Was verstehst Du darunter?
Johannes Hillje: Was ich meine: Mit der konservativen Wertebasis begründete Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit wie Klimaschutz, sozialer Zusammenhalt, Digitalisierung und Migration. Ein zeitgemäßes Narrativ der CDU. Ein moderner Konservatismus grenzt sich sowohl zu SPD und Grünen, als auch nach rechtsaußen ab. Merkel hat die Mitte besetzt, um eine Mehrheit links von ihr zu verunmöglichen. Wir brauchen wieder eine Polarisierung zwischen den Volksparteien. Aber zur Profilschärfung der CDU hat AKK nichts beigetragen.
Auf Twitter schreibst Du, dass die nächsten Monate entscheidend für unsere liberale Demokratie sein werden. Welche Scheidewege, welche Gefahren siehst Du?
Johannes Hillje: Wir haben erlebt, dass sich Teile des bürgerlichen Lagers als unzuverlässige Demokraten erwiesen haben. Nicht die Feinde der Demokratie sind ihre größte Bedrohung, sondern solche Freunde, die den Feinden die Tür zur Macht aufmachen. Alle, die sich nun um den Vorsitz in der CDU bewerben, werden auch an ihrer Haltung zur AfD gemessen werden. Es ist die Möglichkeit für die CDU, die Grenzen zwischen rechtsdemokratisch und rechtsextrem unmissverständlich zu markieren.
Nicht die Feinde der Demokratie sind ihre größte Bedrohung, sondern solche Freunde, die den Feinden die Tür zur Macht aufmachen.
Deshalb werden es wichtige Monate für die liberale Demokratie. Es liegt nicht in erster Linie an der AfD, ob sie eine Machtperspektive in Deutschland bekommt, sondern an der CDU. Die Schwachstelle der AfD sind starke demokratische Parteien. Vielleicht heißt das sogar für die CDU, dass Merz und Laschet beide Verantwortung übernehmen sollten. Laschet als Kanzlerkandidat, Merz als Schattenminister.
Worauf kommt es in Deinen Augen noch an?
Johannes Hillje: Was mich positiv stimmt: Nach dem Desaster von Thüringen sind in Deutschland Tausende Menschen auf die Straße gegangen. Wir haben eine neue Demokratiebewegung. Hätte es keine spontanen Mobilisierungen gegeben, wäre Kemmerich möglicherweise immer noch im Amt. Das Bollwerk der Demokratie war also die Zivilgesellschaft. Neben diesen positiven Demonstrationen sehen wir aber auch Angriffe auf demokratische Politikerinnen und Politiker oder ihre Büros. Das ist vollkommen inakzeptabel. Es braucht also nun beides: Ein Bewegung für die Demokratie und für demokratisches Miteinander.
Deutschland scheint auch weiterhin stark mit sich selbst beschäftigt zu sein. Was ist dran an der Sorge, dass wir deswegen internationale Gestaltungsgelegenheiten an uns vorbeiziehen lassen?
Johannes Hillje: Deutschlands Selbstbeschäftigung schadet Europa. Ich sehe das insbesondere mit Blick auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, die am 1. Juli beginnt, mit Sorge.
Diskussionen über Neuwahlen sind auch deswegen abwegig, weil sie zeitlich mit der deutschen Ratspräsidentschaft kollidieren würden.
In der Ratspräsidentschaft besteht die Chance zukunftsrelevante Projekte voranzubringen: Den Green Deal, die Digitalsteuer, die Migrationspolitik. Damit vom deutschen Ratsvorsitz Impulse ausgehen können, braucht es eine handlungsfähige Regierung. Diskussionen über Neuwahlen sind deswegen auch vollkommen abwegig. Das würde zeitlich mit der Ratspräsidentschaft kollidieren.