Kompass oder Korsett?

Der Sinn von Leitfäden für JournalistInnen

„Leitfäden für JournalistInnen können hilfreich sein.“ Sabine am Orde ist innenpolitische Korrespondentin der taz. Hier führt sie aus, inwiefern und in welcher Form Leitfäden sinnvoll sein können im Umgang mit demokratiefeindlichen PopulistInnen.

Im Spiegel: geleakte russische Mails, die deutlich machen, wie das Putin-Regime Einfluss auf die Abgeordneten der AfD im Bundestag nimmt. Im Sterninterne Whatsapp-Chats, die zeigen, welchen Gewaltphantasien sich so mancher AfDler hingibt. In der Süddeutschen Zeitung, im WDR und im NDR: Recherchen über mutmaßlich illegale Spenden an hochrangige AfD-Politiker wie Parteichef Jörg Meuthen und an Guido Reil. In der taz: Recherchen über den rechtsextremen oder neurechten Hintergrund zahlreicher MitarbeiterInnen der AfD-Fraktion im Bundestag. Diese Beispiele – es ist nur eine Auswahl der zahlreichen investigativen Recherchen –  zeigen, wie sich die Berichterstattung über die AfD in den vergangenen Jahren verändert hat.

Souveränität bei der Berichterstattung

Die anfangs oft reflexhafte, von Empörung getragene Berichterstattung über die RechtspopulistInnen und ihre Provokationen und Tabubrüche ist weniger geworden. Viele JournalistInnen schauen gezielter hin und setzen eigene Themen. Sie gehen besser vorbereitet in Interviews, recherchieren mehr und kritischer und analysieren mit fundiertem Wissen über ideologische Zusammenhänge sowie über die Netzwerke der Neuen Rechten. Dabei handelt es sich nicht nur um eine persönliche Einschätzung, sondern um einen wissenschaftlichen Befund des Medienwissenschaftlers Bernd Gäbler im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung: „Es wird“, so Gäblers Fazit, „seltener unfreiwillige PR für die AfD gemacht, es wird kontinuierlicher und weniger sprunghaft berichtet, weniger nach dem klassischen Reiz-Reaktionsschema, dafür mit mehr Reflexion.“ Der Medienwissenschaftler fügt allerdings – zu Recht – hinzu: „Da ist noch viel Luft nach oben.“

Erleichterung der eigenen Arbeit

In den Redaktionen vieler KollegInnen, die über die AfD berichten, hat ein Nachdenken darüber eingesetzt, welche Rolle die Medien in der Aufmerksamkeitsökonomie der Rechten spielen – und welchen Anteil sie an deren Erfolg gehabt haben könnten. Das hat zu Veränderungen in der Berichterstattung geführt. Manche Medien, darunter auch die taz, haben Leitfäden für diese Berichterstattung erarbeitet, andere lehnen solche Hilfsmittel ab.

Doch solche Leitfäden können hilfreich sein. Einerseits regt die Arbeit daran zum Nachdenken und zur redaktionsinternen Diskussion über die eigene Arbeit an – und trägt damit zur besseren Verständigung in der Redaktion bei. Zudem kann ein Leitfaden KollegInnen, die unerfahren im Umgang mit dieser Art von Berichterstattung sind, konkrete Hinweise geben, was bedenkenswert ist.

Empfehlungen, nicht Vorgaben

Die taz hat einen journalistischen Leitfaden für den internen Gebrauch entwickelt. Dieser ist jedoch nicht als starrer Katalog zu verstehen, an den RedakteurInnen und AutorInnen sich zwingend halten müssen – das wäre nicht wünschenswert und in der taz mit ihrer flachen Hierarchie auch gar nicht durchsetzbar. Vielmehr geht es um Empfehlungen an die Redaktion, über welche Aspekte man nachdenken sollte, bevor man zur journalistischen Tat schreitet.

Wann zum Beispiel ist eine der bundesweit nahezu täglichen Provokationen der AfD wirklich berichtenswert? Wann kann man sie getrost ignorieren? Und wann aber ist genau das vielleicht falsch, weil es sich bei der Provokation um einen menschenfeindlichen Tabubruch handelt, der den Diskurs neu verschiebt oder Einsichten in das Denken eines AfD-Spitzenpolitikers gibt, die es bisher eben nicht gab?

Oder, ein anderes Beispiel: Was bedeuten Adjektive wie „rechtspopulistisch” oder „rechtsextrem”, mit denen die Partei belegt wird, genau? Wo sind die Unterschiede? Was spricht dafür, in diesem oder jenem Fall diesen oder jenen Begriff zu verwenden und einen anderen vielleicht nicht?

An das journalistische Handwerkszeug glauben

Über die AfD zu berichten, ist anders als über andere Parteien. Teile der AfD haben mitunter ein schwieriges Verhältnis zur Pressefreiheit und überschreiten in manchen Bereichen immer wieder die Grenzen des Grundgesetzes. Wohin das führt, zeigt sich nicht nur in osteuropäischen Ländern wie Ungarn und Polen, sondern auch in den USA und Österreich. Dort hat gerade ein FPÖ-Spitzenpolitiker einem ORF-Moderator gedroht, weil dieser unangenehme Fragen stellt. Das Ziel: Die Medien insgesamt einschüchtern.

solides journalistisches Handwerkszeug – gute Recherche und hartnäckige Fragen, nüchterne und sachliche Berichte, Analyse mit kühlem Kopf und Kommentare mit klarer Haltung.

Andererseits hilft bei der Berichterstattung über die AfD was auch sonst sehr nützlich ist: das Besinnen auf solides journalistisches Handwerkszeug – gute Recherche und hartnäckige Fragen, nüchterne und sachliche Berichte, Analyse mit kühlem Kopf und Kommentare mit klarer Haltung.


Hintergrund

Dieser Meinungsbeitrag entstand im Rahmen des Projekts Countering Populism in public space. Gemeinsam mit VertreterInnen von Nichtregierungsorganisationen und jungen Medienschaffenden wurden konkrete Handreichungen und ein multimediales Angebot für den souveränen und bewussten Umgang mit demokratiefeindlichem Populismus in der Öffentlichkeit erarbeitet.

Das Progressive Zentrum brachte AkteurInnen aus dem Mediensektor und der Zivilgesellschaft im Rahmen von zwei Wegweiser-Werkstätten zusammen und bot so einen Rahmen der ko-kreativen Zusammenarbeit und des konstruktiven Erfahrungsaustauschs. Während in der ersten Werkstatt VertreterInnen von gesellschaftsrelevanten Jugendverbänden, religiösen Gemeinden, gesellschaftspolitischen Initiativen, Stiftungen, öffentlichen Einrichtungen und Gewerkschaften zusammenkamen, arbeiteten in der zweiten Werkstatt Medienschaffende aus der journalistischen sowie BloggerInnen- und Social-Media-Szene zusammen. Dabei konnten konkrete Schlussfolgerungen aus ihren bereits erworbenen Erfahrungen im Umgang mit demokratiefeindlichen PopulistInnen gezogen werden.

Autorin

Sabine am Orde, Politikwissenschaftlerin und Journalistin, ist innenpolitische Korrespondentin der taz. Ihre Schwerpunktthemen sind die AfD und europäischer Rechtspopulismus, Islamismus und Innere Sicherheit. Zuletzt wurden sie und drei KollegInnen aus der taz gemeinsam mit dem europäischen Rechercheverbund "Europe's far right" in Wien mit dem Journalistenpreis Concordia für Pressefreiheit ausgezeichnet.

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