Die Parlamente sind die neuen Träger der deutsch-französischen Freundschaft

Das Deutsch-Französische Parlamentsabkommen hat ein größeres Potenzial als der Aachener Vertrag

Die Unterzeichnung des Aachener Vertrags hat die Regierungszusammenarbeit als Kernelement der Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland hervorgehoben. Damit haben Angela Merkel und Emmanuel Macron die Parlamente ihrer Länder und deren wegweisendes “Deutsch-Französisches Parlamentsabkommen” in den Hintergrund verdrängt. Das ist bedauerlich, denn Bundestag und Französische Nationalversammlung hätten das Potenzial die neuen, demokratisch legitimierten Trägerinnen der deutsch-französischen Partnerschaft zu werden, analysiert Visiting Fellow Daniel Schade.

„Die deutschen Politiker haben Angst, dass sie nicht tief genug vor den Angelsachsen kriechen!“ Dieses Bild bemühten nicht etwa die extreme Linke oder extreme Rechte in Deutschland, sondern Frankreichs Präsident Charles de Gaulle nur zwei Monate nach der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags am 22. Januar 1963, der die Grundlage für eine Aussöhnung beider Länder und für die heutige vielbeschworene deutsch-französische Freundschaft legte. De Gaulle war damals insbesondere darüber erbost, dass bundesdeutsche PolitikerInnen dem Vertrag eine Präambel voranstellten, die die Westbindung Deutschlands bekräftigte – ihnen waren die  transatlantischen Beziehungen scheinbar wichtiger. Deutsche PolitikerInnen vermuteten wiederum, Frankreich könne den Vertrag dazu nutzen, die Westbindung der Bundesrepublik infrage zu stellen und der BRD somit die französische Vision eines eigenen Wegs Europas in der Außenpolitik unter französischer Führung aufzuzwingen.

Im Nachhinein entwickelte sich aus dem Élysée-Vertrag dennoch eine Erfolgsgeschichte sondergleichen, wenn auch nicht unbedingt aufgrund der relativ vagen und heute teilweise überholten Vertragsbedingungen, sondern durch den damit eingeleiteten Geist der Kooperation. Heute sind das jeweils andere Land für deutsche und französische PolitikerInnen wie selbstverständlich das erste Ziel von Antrittsbesuchen und auch inhaltlich tauschen sie sich zu allen politischen Fragen aus. In den Entscheidungsprozessen der Europäischen Union gelingt ohne eine enge Kooperation beider Länder meistens wenig.

Der Aachener Vertrag polarisiert

Zum 56. Jubiläum der Unterzeichnung des ursprünglichen deutsch-französischen Freundschaftsvertrags am 22. Januar 2019 wurden diese Beziehungen durch den Aachener Vertrag auf eine neue Grundlage gestellt. Gleichzeitig war dessen Unterzeichnung durch Emmanuel Macron und Angela Merkel am für beide Länder symbolischen Ort im Krönungssaal des Aachener Rathauses eine Feier der bis heute erreichten Einigkeit beider Länder.

Dieser Anlass kann dennoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass damals wie heute die Beziehungen beider Länder durchaus nicht unproblematisch sind. So hat das letzte Jahr gezeigt, dass insbesondere in der Europapolitik zwischen beiden Ländern ein tiefer Graben verläuft, etwa in Bezug auf die Reform der Eurozone oder eines gemeinsamen Eurozonenbudgets. Auch deuten die vagen Bestimmungen des Aachener Vertrags an, die an vielen Stellen nicht mehr als eine Bestandsaufnahme und eine Willenserklärung sind, dass es an Mut für eine wie zu Anfang versprochene tatsächliche engere Kooperation fehlt. So kündigt der Vertrag zwar an, dass beide Länder sich etwa in der Europa-, Außen- und Sicherheitspolitik enger abstimmen wollen, beantwortet jedoch größtenteils nicht, wie dies in die Tat umgesetzt werden soll.

Dennoch wurde in Frankreich zeitgleich ein Sturm der Entrüstung gegen den Vertrag durch die Gelbwesten-Bewegung ausgelöst. Diese verbreitet den Mythos, dass durch das Abkommen Elsaß und Lothringen an Deutschland abgetreten werden sollen. In leicht abgeschwächter Form machte sich auch die extreme Rechte um Marine Le Pen diese Fake News zu eigen. Sie behauptete insbesondere, dass der Vertrag das Elsaß unter deutsche Vormundschaft stelle, den französischen UN-Sicherheitsratssitz mit Deutschland aufteilen würde und Macron damit Landesverrat begehen würde, falls er den Vertrag unterzeichne.

Wenn die Angst vor einer deutschen Dominanz und einem Austeritätsdiktat auch von der extremen Linken im Land geteilt wird, so zeigt eine nüchterne Betrachtung der Vertragsinhalte, dass die Sprache des Vertrags lediglich den Wunsch einer engeren Kooperation in verschiedenen Bereichen äußert und beide Regierungen lediglich grenznahen Gebieten dabei helfen wollen, enger zu kooperieren. In Bezug auf den Sicherheitsratssitz verabschiedet sich der Vertrag sogar explizit von einem gemeinsamen deutsch-französischen oder Europäischen Sitz und erwähnt lediglich, dass sich beide Länder dafür einsetzen wollen, Deutschland permanent in diesen aufzunehmen.

Bundestag und Assemblée nationale als neue Träger der deutsch-französischen Freundschaft

Mit dem Aachener Vertrag erscheinen die deutsch-französischen Beziehungen in der Öffentlichkeit als eine reine Angelegenheit zwischen zwei Regierungen. Wie auch in der Europapolitik der letzten Jahre ist es die Exekutive, die letztlich den Ton angibt und sich dabei schwertut, gegenseitige Meinungsverschiedenheiten zu überbrücken. Diese Entwicklung droht vergessen zu machen, dass die Zusammenarbeit jedoch längst nicht mehr allein in den Händen der Regierungen, sondern auch der Parlamente liegt. So waren es der deutsche Bundestag und die Assemblée nationale – und nicht die Regierungen – welche gemeinsam den letztjährigen 55. Jahrestag des Elysée-Vertrags begangen. Die Feierlichkeiten in den Parlamenten waren zwar zunächst nur als Notlösung gedacht, da aufgrund der späten deutschen Regierungsbildung bis zu jenem symbolisch wichtigen Jubiläum noch kein Nachfolger für den Elysée-Vertrag zwischen beiden Exekutiven ausgehandelt werden konnte.

Das Parlamentsabkommen – und nicht etwa der Aachener Vertrag – stellt die eigentliche Revolution in den deutsch-französischen Beziehungen dar.

Aus der durch beide Parlamente am 22. Januar 2018 verabschiedeten Gemeinsamen Resolution ergab sich allerdings eine unvorhergesehene Dynamik, die zur Aushandlung eines vom Aachener Vertrag separaten Parlamentsabkommens zwischen Bundestag und Nationalversammlung führte. Dieses Dokument – und nicht etwa der Aachener Vertrag – stellt die eigentliche Revolution in den deutsch-französischen Beziehungen dar.

Beide Parlamente wollten ihr Parlamentsabkommen eigentlich pünktlich zum diesjährigen 56. Jahrestag des Élysée-Vertrags unterzeichnen und damit demonstrieren, dass die deutsch-französischen Beziehungen auch für die Abgeordneten eine Herzensangelegenheit sind. Dies wäre ein starkes Signal für eine selbstbewusste Legislative als Trägerin der beidseitigen Freundschaft gewesen!

Doch die spätere Ankündigung der Regierungen, dass sie den Aachener Vertrag am gleichen Tag unterzeichnen werden, nahm dieser Dynamik den Wind aus den Segeln. Beide Parlamente verschoben widerwillig die Verabschiedung ihres Parlamentsabkommens. Damit hatte die Unterzeichnung des Aachener Vertrags einen bitteren Beigeschmack, denn eigentlich wollte dieser auch unterstreichen, dass die Zusammenarbeit anderer Akteure als der nationalen Regierungen wichtig ist.

Dennoch sind es aufgrund der Schwächen des Aachener Vertrags gerade die Abgeordneten und nicht die Regierungen, von denen ein Innovationsgeist für die deutsch-französische Freundschaft ausgehen kann. So stellt das von ihnen ausgehandelte Parlamentsabkommen sowohl für die Beziehungen zweier Staaten insgesamt, als auch für die Kooperation zweier Parlamente ein Novum dar.

Die europäische Einigung gehört in die Hände der VolksvertreterInnen – nicht nur der Regierungen

Diese parlamentarische Initiative ist ein wichtiges Zeichen, da die zunehmende Internationalisierung von Politik und der europäische Einigungsprozess die Macht von Parlamenten nachhaltig geschwächt hat. Im Gegensatz zu Parlamenten sind es nationale Regierungen innerhalb der EU heute gewohnt, täglich miteinander zu kooperieren. Auch wurde die Reaktion auf die Eurozonenkrise primär durch Regierungen ausgehandelt – und damit außerhalb der direkt demokratisch legitimierten Institutionen wie dem EU-Parlament. Dies hängt auch damit zusammen, dass eine intensive Kooperation untereinander noch nicht in die reguläre Arbeit von Parlamenten übergegangen ist.  Der Deutsche Bundestag und die Assemblée Nationale zeigen daher mit dem Abkommen exemplarisch Wege auf, wie zusätzlich zur Stärkung des Europäischen Parlaments auch nationalen Parlamenten wieder eine größere Rolle zukommen kann. Somit kann sowohl die deutsch-französische Freundschaft, als auch der Prozess der europäischen Integration wieder an demokratischer Legitimität gewinnen.

Mit dem Parlamentsabkommen kann sowohl die deutsch-französische Freundschaft, als auch der Prozess der europäischen Integration wieder an demokratischer Legitimität gewinnen.

Das Parlamentsabkommen schafft etwa eine gemeinsame Parlamentarische Versammlung von deutschen und französischen Abgeordneten, die die Arbeit der beiden Regierungen begleiten soll. Somit können sich Parlamentarier beider Länder intensiver miteinander austauschen, Informationen miteinander teilen und zuletzt auch ihre eigene Stimme gemeinsam und im Zweifelsfall gegen die Präferenzen der Regierungen in politische Prozesse auf verschiedenen Ebenen einbringen. Auch wollen beide Parlamente nun  EU-Gesetzgebungsprozesse zusammen analysieren, um so im Zweifelsfall früher und gemeinsam ihre Bedenken in das EU-Gesetzgebungsverfahren einbringen zu können. So schaffen beide Parlamente einen neuen Raum, in dem nicht nur Regierungen international kooperieren, sondern diese Arbeit natürlich auch von den demokratisch gewählten VolksvertreterInnen begleitet wird.

Der Inhalt des Parlamentsabkommens ist zwar bisher noch ungetestet und wenig konkret. Jedoch könnte durch seine konsequente Umsetzung den Abgeordneten beider Parlamente gezeigt werden, dass dies für sie einen konkreten Mehrwert liefert. Zum einen könnte dies maßgeblich zur demokratischen Legitimation der deutsch-französischen Freundschaft im größeren Kontext der europäischen Integration beitragen. Zum anderen würde eine solche Erfolgsgeschichte sicherlich dazu führen, dass beide Parlamente über eine noch weitergehende Kooperation nachdenken, sowie auch andere Parlamente davon überzeugt werden, in die Fußstapfen von Bundestag und Assemblée nationale zu treten. Wenn dies geschieht, dann wäre denjenigen KritikerInnen, die der EU heute fehlende demokratische Legitimität vorwerfen und eine Stärkung demokratischer Institutionen fordern, der Wind aus den Segeln genommen.


Policy Brief zum Deutsch-Französischen Parlamentsabkommen

Auch wenn dieses erste Abkommen ein starkes Zeichen für die transnationale Zusammenarbeit von Parlamenten ist, hat es viele Schwachstellen. Daniel Schade hat diese untersucht und macht in seinem kommenden Policy Brief Vorschläge, wie das deutsch-französische Parlamentsabkommen in der Umsetzung zu einem Erfolg werden kann. Der Policy Brief erscheint Ende Februar 2019.

Autor

Dr. Daniel Schade

Visiting Fellow
Daniel Schade ist Assistenzprofessor an der Universität Leiden und Policy Fellow bei Das Progressive Zentrum. Er beschäftigt sich mit Fragen der europäischen Politikgestaltung und der Zukunft des Parlamentarismus.

Weitere Beiträge

Mit welchen Inhalten SPD und Grüne im Wahlkampf punkten wollen

Veröffentlicht am
Drei Wochen nach dem Ampel-Aus, unschönen Scheidungsszenen und höchstoffentlich ausgebreiteten Persondaldebatten richtet sich der Blick nun endlich auf die Programmatik. Mit welchen Inhalten wollen SPD und Grüne bei der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 punkten? Unser Kolumnist Karl Adam schaut genauer hin – und vermisst ein entscheidendes Thema.
Bühne beim Sozialklimarat

Bloß nicht wackeln! Bericht aus dem dritten Sozialklimarat

Veröffentlicht am
Die Wiederwahl Donald Trumps als US-Präsident stellt den internationalen Klimaschutz vor Herausforderungen. Beim Sozialklimarat am 06.11.2024 in Berlin wurden Lösungen für sozial gerechten Klimaschutz in Zeiten der Polykrisen und wachsenden Unsicherheit diskutiert.

Zum Scheitern der Ampel: „Erst unvorbereitet, dann kraftlos"

Veröffentlicht am
Transformation ist unausweichlich. Aber das fortschrittsorientierte Milieu geht dabei zu avantgardistisch, elitär und nicht mehrheitsfähig vor. In der aktuellen Ausgabe der Progressiven Lage, die außerdem bei Table.Media erschien, ziehen wir eine kritische Bilanz der Ampel-Jahre.

teilen: