Ostdeutschland vor der Bundestagswahl

Wie der Osten die deutsche Politik bestimmt

In ihrem neuen Buch “Die Unterschätzten” entwickelt Cerstin Gammelin sieben Thesen zum Einfluss der ostdeutschen Wähler:innen auf das gesamtdeutsche politische Gefüge. Knapp 20 Wochen vor der Bundestagswahl lädt das Progressive Zentrum Frau Gammelin zusammen mit dem Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder im Rahmen seiner “Strategiereihe zur Bundestagswahl 2021” ein, um über die gegenwärtige politische Stimmung und Lage in Ostdeutschland im Superwahljahr zu debattieren.

In den vergangenen Jahren ist der Osten Deutschlands stärker in den Mittelpunkt der politischen Debatte gerückt. Nicht selten war dabei der Fokus auf das Erstarken rechtspopulistischer Kräfte wie der AfD verengt. In einer Gesprächsrunde mit Cerstin Gammelin, Journalistin der Süddeutschen Zeitung und Autorin des im August 2021 erscheinenden Buchs “Die Unterschätzten: Wie der Osten die deutsche Politik bestimmt”, soll deshalb ein breiteres und vielschichtigeres Bild des politischen Ostens gezeichnet werden. Dabei werden grundlegende Strukturfragen adressiert: Was sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der politischen Kultur und historischen Erfahrung in Ost und West 30 Jahre nach der deutschen Einheit? Wie beeinflusst die Unterschiedlichkeit der ost- und westdeutschen politischen Arenen und Konfliktlinien die Bundespolitik? Wie steht es um die Wechselbereitschaft im Osten und gibt es Chancen für eine progressive Regierungspolitik? Wie werden die personellen und inhaltlichen Angebote der Parteien bislang in Ost und West bewertet?

Wird die Bundestagswahl in Ostdeutschland entschieden?

In ihrem Buch vertritt Cerstin Gammelin die These, dass nach 1998 und 2002 auch im Jahr 2021 die Bundestagswahl in Deutschlands Osten entschieden wird, obwohl die Ostdeutschen nur 15 Prozent der Stimmberechtigten ausmachen. Einiges deutet jedoch darauf hin, dass die Bundespolitik und die drei Kanzlerkandidat:innen auf diese Entwicklung nicht gut vorbereitet sind. Dies belegt auch die von Prof. Wolfgang Schroeder, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Progressiven Zentrums, mitverantwortete Trendumfrage “Wechselstimmung vor der Bundestagswahl”. Hier sprechen die Ostdeutschen den Kandidat:innen ein tiefergehendes Verständnis der politischen und sozio-ökonomischen Lage in den neuen Bundesländern ab. Das Vertrauen der Ostdeutschen gegenüber den drei Kanzlerkandidat:innen und ihren Fähigkeiten ist im Allgemeinen niedriger als bei Westdeutschen. Die im Bundestag vertretenen Parteien müssen im Wahlkampf konkrete Konzepte vorlegen, wie strukturschwache Regionen wirtschaftlich aufholen und wie ostdeutsche Biografien und Perspektiven stärker in der Bundespolitik repräsentiert werden können.

Vorstandsmitglied und Staatssekretär a.D. Thomas Kralinski moderiert die Runde. 

Strategiereihe zur Bundestagswahl 2021

Die Veranstaltung ist Teil einer informellen Veranstaltungsreihe, in der das Progressive Zentrum begleitend auf dem Weg zur Bildung einer neuen Bundesregierung nach der #btw21, regelmäßig Hintergrundrunden mit Politiker:innen und politischen Beobachter:innen durchführt. Bisher wurde im Rahmen dieser Reihe bspw. die Ergebnisse der Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg sowie die Parlamentswahlen in den Niederlanden diskutiert. 

Weitere Debattenimpulse zu Entwicklungen in Ostdeutschland

  • Dass unsere Gesellschaft von den Transformationserfahrungen Ostdeutschlands einiges für die Zeit nach Corona, und damit auch für die kommende Bundestagswahl, lernen kann, schreibt der ehemalige brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck in seinem Beitrag. Seine These: Wer den kompletten Umbau einer Gesellschaftsordnung erlebt hat, der würde auch mit Elektromobilität und Digitalisierung fertig. 
  • Auch Thomas Kralinski zog Bilanz nach 30 Jahren Wiedervereinigung: Statt über gemachte Fehler zu jammern, müsse man aus ihnen lernen und Menschen in strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands Perspektiven geben – wir bräuchten einen “Vorsprung Ost”, damit sich die Lebensverhältnisse endlich angleichen.
  • Welche politischen Lehren lassen sich aus den Entwicklungen der letzten 30 Jahre seit der deutschen Einheit für die Zukunft und das Wahljahr 2021 ziehen? Auf Basis des Abschlussberichts der Kommission “30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit” diskutierte das Progressive Zentrum diese Frage gemeinsam mit Katja Kipping, Clemens Rostock und Matthias Platzeck.

Autoren

Prof. Dr. Wolfgang Schroeder ist Vorsitzender des Progressiven Zentrums. Er hat den Lehrstuhl „Politisches System der BRD – Staatlichkeit im Wandel“ an der Universität Kassel inne. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören unter anderem Verbände und Gewerkschaften.
Thomas Kralinski ist Mitgründer des Progressiven Zentrums und war bis 2022 Mitglied des Vorstands. Er studierte Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Osteuropawissenschaft in Leipzig und Manchester (UK).

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