Ökologie und Freiheit

Wie kann die liberale Demokratie effektive Klimapolitik betreiben?

Eine Fortführung unseres expansives Lebensstils schränkt zwangsläufig kommende Generationen und vulnerable Bevölkerungsteile in ihren Handlungsoptionen ein. Die resultierende Notwendigkeit einer zügigen sozial-ökologischen Transformation kollidiert mit der Komplexität und kompromissbedingten Langsamkeit unserer wirtschaftlichen und politischen Systeme. In der Roundtable-Reihe: „Challenging Democracy“ haben wir uns in diese Spannungsfelder gewagt und über Auswege und Freiheitsbegriffe diskutiert.

Am 29. Oktober fand im Zentrum Liberale Moderne ein Roundtable zum Thema „Ökologie und Freiheit“ in Kooperation mit Das Progressive Zentrum statt. Ziel war zum einen, die Bedeutung von Freiheit und Demokratie im Lichte der ökologischen Frage zu reflektieren und zum anderen konkrete Lösungsansätze für den effektiven Umgang liberaler Demokratien mit der Klimakrise zu diskutieren. Gemeinsam mit den Anwesenden diskutierten Ralf Fücks (Gründer und geschäfts­füh­ren­der Gesell­schaf­ter des Zen­trums Libe­rale Moderne), Dr. Julia Hertin (Geschäftsführerin Sachverständigenrat für Umweltfragen), Viviane Raddatz (Senior Policy Advisor zu Energie und Verkehr beim WWF) und Dr. Sabrina Schulz (Policy Fellow bei Das Progressive Zentrum). Hannes Koch (Gründer von Die Korrespondenten) moderierte die Debatte. 


Klimaschutz heißt die Schwachen zu schützen

Die Umweltbewegungen um Fridays For Future eint ein kollektives Narrativ: Der expansive Lebensstil der Moderne basiere auf der Externalisierung von Kosten auf Teile der Erdbevölkerung, unserer Ökosysteme und der Zukunft. Auch die Wissenschaft und vorneweg der Weltklimarat (IPCC) warnen vor einem drohenden Klimakollaps mit katastrophalen Folgen für Milliarden von Menschen, die selbst kaum zur Krise beigetragen haben. Die Umweltbewegungen folgern daraus, dass unser momentaner Lebensstil unmoralisch sei, weil er Freiheiten und das Recht auf Unversehrtheit der künftig Betroffenen einschränke. Hingegen bedeute aktiver Klimaschutz die Schwachen zu schützen. Jetzt sei der letzte Zeitpunkt für radikale Schritte, um das drohende Leid für große Teile der Weltbevölkerung abzufedern.

Wo fängt die Unfreiheit der anderen an?

Diese Not einer radikalen Transformation hin zu einer emissionsarmen Gesellschaft kollidiert mit der Komplexität politischer und wirtschaftlicher Systeme. Innerhalb dieses Spannungsfeldes argumentierten die DiskutantInnen des Roundtables. Ralf Fücks merkte an, dass Politik stets ein Abwägen von Interessen sei. Eine Regierung, die nach der vermeintlichen Faktizität der Physik ihre Geschäfte leite, entspräche nicht seinem Verständnis von Politik. Zudem kritisierte er Forderungen nach restriktiven Eingriffen in unser Wirtschaftssystem und unsere heutige Konsumfreiheit im Namen der Freiheit künftiger Generationen. Setze man diese Argumentation absolut, sei jede Einschränkung individueller Freiheit zum Wohle aller gerechtfertigt. Er warnte gar davor, dass diese Logik letztendlich zu einer Art autoritärem Notstandsregime führen könne. 

Als Gegenthese führte ein Teilnehmer die Aussagen von Bernd Ulrich aus seinem jüngst erschienenen Buch “Alles wird anders” aus. Ohne zügigen Klimaschutz könnten wir nicht verhindern, dass wir zunehmend Freiheit einbüßen und in ein Notstandsregime reinschlittern. Politik sei nur freiheitsstiftend, wenn sie Optionen generiere und nicht vernichte.

“Freiheit bedeutet nicht nur möglichst weit mit fahren und fliegen zu können, sondern auch die Einschränkung derer, die beispielsweise mit Asthma in der Stadt leben oder noch gar nicht geboren wurden. Wenn man eine vielschichtige Vorstellung von Freiheit hat, muss man die Debatte Ökologie vs. Freiheit gar nicht derart zuspitzen.”

Julia Hertin

Die Politik hat bisher bei der Rahmensetzung versagt

Alle DiskutantInnen waren sich einig, dass die Bundesregierung mit ihrem Klimapaket keinen ausreichenden Ordnungsrahmen für eine zukunftsfähige nachhaltige deutsche Wirtschaft vorgelegt habe. Es sei notwendig die ökologischen Kosten stärker zu internalisieren, beispielsweise mit einem höheren CO2-Preis. Laut Viviane Raddatz passe das Klimapaket zum Regierungsstil. Dieser kristallisiere sich in Merkels Ausspruch: “Politik ist das, was möglich ist”. Stattdessen brauche es allerdings eine Politik, die gestalte und das Notwendige möglich mache. 

Eine Diskussion entbrannte bei der Frage, welchen Stellenwert Innovationen zum effektiven Umweltschutz beitragen können. Fücks betonte, dass eine Reduktion von Treibhausgasemissionen allein über bloßen Verzicht und Einschränkung nicht möglich sei. Für einen effektiven Wandel bedürfe es kreativer Innovationen.

„Der entscheidende Hebel ist die Entkopplung von Wertschöpfung und Naturverbrauch durch technische Innovation. Folglich braucht es einen Klimaschutz durch Innovation statt Restriktion.“

Ralf Fücks

Dagegen wurde von Teilnehmenden angemerkt, dass der nötige Effekt für das Klima auch über die Mengenreduktion erzeugt werden müsse. Beispielsweise schmälere der Zuwachs des Verkehrssektors dessen eigene CO2-Einsparungen durch technischen Fortschritt signifikant. Auch könne durch ein effektives Ordnungsrecht der nötige Innovationsdruck erzeugt werden. Derartige Schritte und die daraus entstehende Stresssituation benötigten jedoch Rückhalt in der Bevölkerung.

“Ordnungsrecht erfordert Akzeptanz und die wiederum ein ökologisches Bewusstsein.”

Viviane Raddatz

Viele Anwesende bemerkten mehrmals, wie sehr das ökologische Bewusstsein und die Akzeptanz für restriktive Gesetze in der Gesellschaft und auch Wirtschaft gestiegen seien. Sabrina Schulz merkte an, dass sich in der Industrie schon einiges getan habe, es fehle jedoch an der Finanzierung. Auch das Bankensystem sei schon sehr weit und beschäftige sich beispielsweise mit Vermögenswerten, die aufgegeben werden müssen, um die Klimaziele zu erreichen. Allerdings sei die Politik in der Pflicht die nötigen Strukturen zu schaffen und Milliardeninvestitionen zu tätigen. Das wachsende ökologische Bewusstsein der Wirtschaft werde durch mangelnden politischen Willen gehemmt, weil in vielen Fällen die nötige Infrastruktur fehle.

Ohne demokratische Reformen keine Lösung möglich

Nach Meinung verschiedener Teilnehmender sei es nicht vielversprechend, allein Erwartungen an PolitikerInnen anzuhäufen und die institutionellen Strukturen und politischen Prozesse gleichzeitig unverändert zu lassen. Gerade aufgrund der drängenden Bewältigung der Klimakrise bedürfe es partizipativer und deliberativer Verfahren, um die tiefgreifenden Transformationsprozesse mit den Bürgerinnen und Bürgern zu gestalten und so die nötige Legitimität zu gewinnen. So wurde beispielsweise der Prozess um die Kohlekommission als beispielhaft gelobt. Abgesehen vom Ergebnis hätte dieser die nationale Debatte vorerst befriedet. Ebenfalls wurden Citizens’ Assemblies als ein hilfreiches Instrument in der sich zuspitzenden Klimadebatte vorgeschlagen. Wie das irische Beispiel zeige, könnten derart transparente Gremien aus gelosten BürgerInnen Vertrauen und Akzeptanz schaffen und Ordnung in die Debatte bringen. Aus diesen Gründen fordere auch Extinction Rebellion eine BürgerInnenversammlung zu Klima- und ökologischer Gerechtigkeit.

Auch wurde beispielsweise vorgeschlagen, dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) ein Recht für Gesetzesinitiativen in anderen Ressorts einzuräumen. Julia Hertin verwies auf den Vorschlag eines “Rates für Generationengerechtigkeit” aus dem Sondergutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen vom Juni 2019. Dieser könne als institutionelles Organ über ein suspensives Vetorecht verfügen. Dies gestatte dem Rat der Kurzsichtigkeit unserer Demokratie entgegenzuwirken, indem er kritische Gesetzesvorhaben bis zu drei Monate aussetzen kann. In einem derartigen Fall, würde eine breite öffentliche Aufmerksamkeit auf das Gesetzesvorhaben gelegt und politischer Druck auf die Entscheidungsträger erzeugt.

Das Soziale als Feigenblatt der Klimadebatte

Sabrina Schulz merkte an, dass der Energiewende über die vergangenen Jahre hinweg immer wieder die Machbarkeit abgesprochen wurde. Zunächst hieß es, sie sei physikalisch und technisch nicht umsetzbar. Nachdem sich dieser Einwand als haltlos herausstellte, brachten KritikerInnen vor, dass sie die deutsche Wirtschaft wettbewerbsunfähig mache. Nun sei es das Soziale, das einer ernstzunehmenden Transformation im Wege stehe. Dem widersprach Sabrina Schulz jedoch entschieden. Im Sinne einer “Just Transition”, dürften in der klimapolitischen Debatte ökologische Interessen nicht gegen soziale ausgespielt werden. Vielmehr müssten Bedürftige beispielsweise über eine CO2-Steuer finanzierte Rückzahlung entlastet und die Rechte von ArbeiterInnen im Zuge einer sozial-ökologische Transformation gestärkt werden.

“Es geht dann ans Eingemachte. Es geht dann nicht nur darum Geldgeschenke zu verteilen, sondern sich an eine sozial gerechte Steuerreform ranzumachen. Das ist aber ein Generationenprojekt und geht nicht von heute auf morgen.”

Sabrina Schulz

Globaler Klimaschutz braucht überzeugende Fortschrittserzählung

Abschließend betonte Ralf Fücks die globale Dimension der Klimakrise.  Europa könne nur einen effektiven Beitrag leisten, wenn es gesellschaftlich akzeptierte, wirtschaftlich konkurrenzfähige und global skalierbare Lösungen produziere. Als solides Fundament brauche es die Überzeugung von breiten Teilen der Bevölkerung durch Argumente in Verbindung mit einer verbindenden Fortschrittserzählung. Als Anker dieses Narrativs könnten Leuchtturmprojekte wie die Energiewende dienen. Diese sei durch Innovation und Economy of Scale unterm Strich ein Erfolg. Für Fücks liegt großes Potential in einer progressiven und freiheitlichen Rahmensetzung, welche die notwendigen Innovationen in Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft freisetze. Im internationalen Vergleich mit autoritären Regimen liege eben in dieser kreativen Kraft der Vorteil liberaler Marktwirtschaften. Dennoch liege der Erfolg der Leuchtturmprojekte in der globalen Skalierung. Nur indem wir anderen Nationen mit dem Narrativ eines grünen Wirtschaftswunders zum Klimaschutz motivieren und gemeinsam Emissionen einsparen, ließe sich der Klimakollaps abwenden. 


Eine Veranstaltung des Zentrum Liberale Moderne in Kooperation mit Das Progressive Zentrum.


Autor

Johannes Alber

Praktikant
Johannes Alber war von Oktober bis Dezember 2019 Praktikant bei Das Progressive Zentrum im Bereich Zukunft der Demokratie. Sein Bachelorstudium in Politk- und Verwaltungswissenschaften absolviert er an der Universität Konstanz und Sciences Po Bordeaux.

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