Rezo-Video: Analyse von „Wie Politiker momentan auf Schüler scheißen“

Programmleiterin für Zukunft der Demokratie Paulina Fröhlich im Interview

In seinem neuen Video „Wie Politiker momentan auf alle Schüler scheißen…“ reagiert Youtuber Rezo auf den Beschluss der KultusministerInnen-Konferenz, Abiturprüfungen weitestgehend durchführen zu wollen. Nach „Die Zerstörung der CDU“ beeinflusst Rezo erneut die politische Debatte, indem er ein Millionenpublikum erreicht. Paulina Fröhlich analysiert im Interview das neue Rezo-Video bezüglich politischer Teilhabe von Jugendlichen und jungen MeinungsmacherInnen.


Liebe Paulina, vielen Dank, dass Du Dir Zeit genommen hast und mit uns das neue Rezo-Video „Wie Politiker momentan auf Schüler scheißen“ angeguckt hast. Mit bislang knapp 1,5 Millionen Betrachtungen erreicht der Youtuber erneut eine Zielgruppe jenseits der klassischen Politikformate. In dem Beitrag äußert sich Rezo zum Beschluss der KultusministerInnen-Konferenz, nach der eine Absage der Abiturprüfungen nicht notwendig sei. Wie ist Deine Meinung dazu?

Der Beschluss scheint mir uneindeutig, obgleich Dr. Stefanie Hubig, Ministerin für Bildung in Rheinland-Pfalz und Präsidentin der Kultusministerkonferenz, davon spricht “klare Vorgaben” erreicht zu haben. Es heißt einerseits “die Prüfungen finden wie geplant statt”, dann gibt es den Einschub “ggf. zum Nachholtermin” und dann die Einschränkung “soweit dies aus Infektionsschutzgründen zulässig ist”.

Ich glaube, dass die AbiturientInnen in diesem Jahr vor einer ungewöhnlichen Herausforderung stehen, auf welche die politische Seite nicht sensibel genug reagiert. Die gesundheitlichen Risiken und die psychische Belastung wirken in der Tat hintergründig, während der Drang nach NC-Vergleichbarkeit hoch scheint. Ich bin genauso überzeugt davon, dass einige Schulen die Abiturprüfungen für alle Betroffenen sicher und geordnet durchführen werden, wie ich befürchte, dass viele Schulen das nicht leisten können und damit die SchülerInnen in äußert unangenehme Situationen bringen.

Nach “Die Zerstörung der CDU” übt Rezo wieder scharfe Kritik, doch dieses Mal an den regierenden Parteien der Bundesländer und nimmt damit erneut Einfluss auf den politischen Diskurs. Warum gelingt es einem Youtuber besser, die Debatten in unserem Land zu beeinflussen, als so mancher Tageszeitung oder PolitikerIn selbst?

Ich denke, die Gründe dafür sind zum einen die Zuspitzung, welcher sich Rezo als Stilmittel bedient und zum anderen die “Unüblichkeit” seiner Rolle als Agenda-Setter.

Der zweite Grund ist interessant, da er aufweist, wie erwartbar eigentlich unser gesellschaftlicher Diskurs beeinflusst wird. Wäre es normal, dass junge Youtuber bundesweite Themen setzen können, würde er nicht weiter auffallen. Wir sind es jedoch gewohnt, dass JournalistInnen in Redaktionssitzungen entscheiden, welche Themen Bedeutung erlangen. Hinzu kommen vielleicht PolitikerInnen und große Interessenverbände, die über eigene Kanäle Themen erhebliche Bedeutung verleihen können.

Ob Rezo den Diskurs nun ‚besser‘ beeinflusst, als es so manche Tageszeitungen tun, würde ich in Frage stellen. Er beeinflusst ihn geschickt und das ist auch legitim, finde ich.

Braucht es mehr solcher junger MeinungsmacherInnen in unserem Land, die nicht unbedingt PolitikerInnen oder erfahrene JournalistInnen sind?

Ich finde, dass es mehr politische Teilhabe braucht in unserer Gesellschaft. Einen recherchierten Meinungsbeitrag adressiert an PolitikerInnen auf Youtube zu verbreiten, gehört dazu. Die Angebote für politische Teilhabe vor allem an jene Communities, die zu den weniger einflussreichen und/oder zu Minderheiten gehören, wie Menschen mit Behinderung, People of Colour, Jugendliche etc., sind offenbar nicht attraktiv genug oder passend aufgebaut. Anderenfalls hätten wir ein diverseres Spektrum an Teilhabe. Ich finde hingegen nicht, dass jeder junge Mensch mit politischem Interesse und einer starken Meinung PolitikerIn werden sollte. Politisch interessierte, meinungsstarke Menschen braucht es in wohl jedem Berufsfeld.

Aber was ich noch anfügen möchte ist, dass mir Rezos Beitrag nicht zu politischer Teilhabe ermuntern scheint. “Die Politiker scheißen auf uns” ist ein Ausruf, der Fronten bildet, der streng verurteilt, der anklagt und sogar in gewisser Weise zur Selbstermächtigung aufruft.

Wenn diese Selbstermächtigung bedeuten würde, dass man sich mit offenem Visier und offenem Geist aus einer unerhörten Position in eine politische Auseinandersetzung einbringt, dann fände ich das gut.

Wenn sie jedoch bedeutet, dass man dem politischen Gegenüber Teilhabe/Legitimation abspricht, dann halte ich es für gefährlich und falsch. Rezo sagte einmal, dass er durch seine Sprache ‚Leute erreichen‘, also auch inklusiv wirken kann. Leider ist die Überschrift seines neuen Videos nicht inklusiv. Im Gegenteil, sie bildet Fronten.

Rezo ruft dazu auf, dass wer die Entscheidung der KultusministerInnen-Konferenz inakzeptabel findet, die jeweiligen Parteien bei der nächsten Landtagswahl nicht mehr wählen soll. Ist das nicht ein zu kurzgedachtes Argument?

Es ist radikal, aber in sich schlüssig. Seine Logik: Für die SchülerInnen ist das ein extrem wichtiges Anliegen und jene PolitikerInnen haben sich in dieser Sache für etwas entschieden bzw. auf eine Weise verhalten, die sich nicht mit dem Anliegen der Jugendlichen deckt. Darum sollen sie diese PolitikerInnen bei Wahlen nicht unterstützen.

Das Radikale daran ist die absolute Maxime, die eigene Wahlentscheidung unverhandelbar an die Entscheidung der jeweiligen PolitikerIn in einer Sache zu knüpfen. Wenn für eine Person diese eine politische Entscheidung bzw. das Verhalten in dieser einen Sache das Allerwichtigste ist, dann gilt es, sich dazu schlau zu machen und dementsprechend konsequent an der Wahlurne zu handeln.

Mein Verständnis von einer Wahlentscheidung beruht auf einem deutlich breiteren Blick auf politische Performance. Andererseits kann man es auch so sehen: der Aufruf, diese Personen nicht mehr zu unterstützen (die Namen werden im Film ja eingeblendet), erhöht auch den Druck auf die angesprochenen PolitikerInnen, sich mit dem Vorwurf auseinanderzusetzen.

Was beobachtest Du in den Reaktionen der ZuschauerInnen auf das Video?

Ich habe mich eine ganze Weile lang durch die Kommentare auf Youtube und Twitter geklickt. Mir fällt auf, dass viele Kommentare den Titel und dessen Spirit wiederholen: „Ja, wir werden nur beschissen! Endlich sagt’s mal einer!“ Diese Delegitimierung des politischen Gegenübers finde ich nicht fair, denn den PolitikerInnen wird unterstellt, bewusst gegen das Wohl der SchülerInnen zu handeln.

Nicht die vielfach aufgeführten Argumente inhaltlicher Art stehen hier im Fokus, sondern die attestierte Unfähigkeit der PoltikerInnen. Ich nehme an, das war nicht Rezos Ziel. Aber als Medienprofi muss ihm die potentielle Wirkung dieses Titels eigentlich bewusst sein. Ich hoffe sehr, dass zukünftige KommentatorInnen mit einem etwas kühleren Kopf in die hitzige Debatte einsteigen und somit ihrem sicherlich wichtigen Anliegen einen konstruktiven Dreh geben.

Vielen Dank, dass Du Dir Zeit genommen hast.


Autor:innen

Paulina Fröhlich

Stellvertretende Geschäftsführerin und Leiterin | Resiliente Demokratie
Paulina Fröhlich ist stellvertretende Geschäftsführerin und verantwortet den Schwerpunkt „Resiliente Demokratie“ des Berliner Think Tanks Das Progressive Zentrum. Dort entwirft sie Dialog- und Diskursräume, leitet die europäische Demokratiekonferenz „Innocracy“ und ist Co-Autorin von Studien und Discussion Papers.
Bosse Spohn war von April bis September 2020 Kommunikationsassistent bei Das Progressive Zentrum. Von Januar bis April 2020 war er Praktikant im Kommunikationsteam des Progressiven Zentrums.

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