Extrem einsam?

Eine Studie zur demokratischen Relevanz von Einsamkeitserfahrungen unter Jugendlichen in Deutschland

Zusammenfassung

Es gibt einen Zusammenhang zwischen jugendlicher Einsamkeit und autoritären Einstellungen. Anders ausgedrückt: Der Zuspruch zu unserer Demokratie hat auch damit zu tun, wie stark sich Individuen mit der Gesellschaft verbunden fühlen. Denn bei Menschen, die sich häufig einsam, unverbunden und unverstanden fühlen, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie Verschwörungserzählungen glauben, politische Gewalt billigen und autoritären Haltungen zustimmen. Und da es in der vorliegenden Studie um Jugendliche geht, können wir durchaus von Auswirkungen auf die Zukunft unserer Demokratie sprechen.

Kurzfilm „Erst einsam, dann extrem?“

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Ergebnisse

Es gibt einen Zusammenhang zwischen Einsamkeit und antidemokratischen Einstellungen 

Einsame Jugendliche neigen eher zu autoritären Einstellungen, billigen eher politische Gewalt und glauben häufiger an Verschwörungserzählungen als nicht-einsame Jugendliche.

Etwa 20 % der einsamen Jugendlichen weisen hohe Zustimmungswerte zu autoritären Einstellungen auf, im Gegensatz zu 14 % der nicht-einsamen. Sie stimmen also Aussagen zu wie „Ich bewundere Menschen, die die Fähigkeit haben, andere zu beherrschen“ (Einsame: 46 %, Nicht-Einsame: 35 %). Ein Drittel der Einsamen geben an, einige Politiker hätten es verdient, wenn die Wut gegen sie auch schon mal in Gewalt umschlägt. Von den Nicht-Einsamen stimmt dieser Aussage ein Viertel zu. Nur sehr geringe Unterschiede zeigen sich in Bezug auf populistische Einstellungen.

Etwa stimmen 36 % der einsamen Jugendlichen der Aussage zu, dass geheime Gruppen die Gedanken der Menschen ohne deren Wissen kontrollieren (Nicht-Einsame: 24 %), ein Indikator für Verschwörungsmentalität.

Zustimmung zu Verschwörungserzählungen

Jugendliche und insbesondere Einsame sind von der Demokratie nur bedingt überzeugt

Nur gut die Hälfte der Jugendlichen betrachtet die Demokratie als die beste Staatsform. Einsame Jugendliche stehen der Demokratie noch etwas kritischer gegenüber als nicht-einsame.

„Die Demokratie ist die beste Staatsform.“ 

Jugendliche haben klare Meinungen, schätzen ihre politische Selbstwirksamkeit aber als gering ein

  • Die Mehrheit der Befragten positioniert sich politisch in der Mitte; der Durchschnitt liegt – ähnlich wie in repräsentativen Erwachsenenstudien – leicht links der Mitte. 
  • Die Jugendlichen vertreten links-liberal-progressive wie traditionell-konservative Werte, wobei diese klassische Unterscheidung unter den Befragten nicht deutlich erkennbar ist: Die Zustimmung zu eher linksliberalen, progressiven Werten geht mit der autoritären Forderung einher, Kriminalität härter zu bestrafen. 
  • Obwohl viele klare politische Meinungen haben, herrscht eine gewisse Positionierungsangst bei Jugendlichen („Ich vermeide es, mit Freunden und Bekannten über Politik zu sprechen, um nicht in Streit zu geraten“), die bei einsamen Jugendlichen deutlicher ausgeprägt ist (51%, Nicht-Einsame: 37%).
  • Insgesamt schätzen die Befragten ihre politische Selbstwirksamkeit als gering ein. Der Anteil derjenigen, die sich als politisch selbstwirksam einstufen, ist bei einsamen Jugendlichen noch etwas geringer.
  • Weiterhin glaubt nur rund ein Viertel (26 %) der Jugendlichen insgesamt, die Politik tatsächlich beeinflussen zu können.

„Ich kann die Politik beeinflussen.“

Vorgehen

Studienvorstellung

Am 10. Februar 2023 wurden die Ergebnisse der Studie vorgestellt und mit Bundesfamilienministerin Lisa Paus, Pia Lamberty, Mitgründerin und Co-Geschäftsführerin von CeMAS, Melanie Eckert, Mitgründerin und CEO von krisenchat, und Co-Autorin Prof. Dr. Beate Küpper diskutiert. Die Veranstaltung wurde moderiert von Bent Freiwald, Journalist bei Krautreporter. 

Die gesamte Veranstaltung kann hier angeschaut werden.

Über das Projekt

Das mehrjährige Projekt Kollekt widmet sich Einsamkeitserfahrungen unter Jugendlichen und geht der Frage auf den Grund, inwiefern sie demokratieentfremdende Tendenzen oder gar extremistische Denkmuster befördern können. Es soll dabei helfen, den Geschichten und Erfahrungswelten von Jugendlichen Gehör zu schenken, sie zu verstehen und mögliche strukturelle Zusammenhänge zur gesellschaftlichen Zugehörigkeit oder Entfremdung herzustellen. In Zusammenarbeit mit einem wissenschaftlichen Netzwerk sowie Partner:innen aus der Jugend- und Präventionsarbeit möchte das Projekt über die Grenzen einzelner Disziplinen hinweg Brücken zwischen Theorie und Praxis, sowie Jugendlichen und Politiker:innen bauen, um sich in der nächsten Phase mit der Entwicklung neuer Präventionsformate zu befassen.

Die Studie „Extrem einsam?“ in der Presse

Warum Einsamkeit unserer Demokratie schadet

Corina Heinzmann & Céline Raval

Extrem einsam?

STARK gemacht!

Autorinnen

Prof. Dr. Claudia Neu

Universität Göttingen / Universität Kassel

„Einsamkeit macht nicht nur einsam, sondern kann auch das Vertrauen in Mitmenschen und die Demokratie gefährden. Einsamkeit ist also kein individuelles Problem, sondern geht alle an.“

Prof. Dr. Claudia Neu

Prof. Dr. Beate Küpper

SO.CON, Hochschule Niederrhein

“Junge Menschen verlieren das Vertrauen in die Demokratie. Einsamkeit kann ein Wegbereiter für den Glauben an autoritäre Verschwörungsmythen sein. Beides muss in der Prävention zusammen gedacht werden.”

Prof. Dr. Beate Küpper

Prof. Dr. Maike Luhmann

Ruhr-Universität Bochum

„Die Studie zeigt, dass die Zahl der einsamen Jugendlichen noch höher ist als befürchtet. Einsamkeit bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen braucht dringend mehr Aufmerksamkeit in Politik und Gesellschaft.“

Prof Dr. Maike Luhmann

Danksagung

Die Autorinnen und das Team danken Jérémie Gagné, Pia Lamberty, Dr. Daniel Jolley, Paul Jürgensen und Alexander Langenkamp für ihre hilfreichen Anregungen und konstruktive Kritik. Außerdem Luis Ullmann, Carlotta Hartmann, Sophie Borkel, Pia Röhrer, Maxine Fowé und Edda Brandes für ihre Unterstützung bei der Recherche, Datenauswertung und im Schreibprozess. Ein besonderer Dank gebührt Jana Faus, Rainer Faus, Lina Ludwig, Simon Storks, Lennart Hagemeyer und Lukas Bernhard von der pollytix strategic research gmbh, für die Durchführung und Aufbereitung der qualitativen und quantitativen Erhebung und Andreas Bredenfeld, für ein sehr hilfreiches Lektorat.

Pressekontakt

Maria Menzel-Meyer

Leitung Strategische Kommunikation

Studienleitung

Paulina Fröhlich

Stellvertretende Geschäftsführerin und Leiterin | Resiliente Demokratie

Michelle Deutsch

Projektmanagerin

Wir entwickeln und debattieren Ideen für den gesellschaftlichen Fortschritt – und bringen diejenigen zusammen, die sie in die Tat umsetzen. Unser Ziel als Think Tank: das Gelingen einer gerechten Transformation. ▸ Mehr erfahren