Zusammenfassung
In diesem Policy Paper stellen wir die Ergebnisse einer Befragung dreier Protestveranstaltungen vor und untersuchen die soziodemografische Zusammensetzung, Motivation und Einstellungen der Teilnehmer:innen. Zusammenfassend lässt sich dabei feststellen, dass diese sich zumeist der oberen Mittelschicht zugehörig fühlen, politisch links der Mitte verorten und überdurchschnittlich hohe Bildungsabschlüsse besitzen. Viele haben keine Protesterfahrung und sind in Sorge wegen des Erstarkens der AfD, äußern sich aber differenziert, was den Umgang mit der Partei und ihren Unterstützer:innen anbelangt.
Mobilisierung und Motivation
Wie haben die Teilnehmer:innen Kenntnis über den Protest erlangt? Am häufigsten wird auf das persönliche Umfeld verwiesen, konkret auf Freund:innen (39 Prozent), Bekannte (39 Prozent) und Arbeitskolleg:innen10 (36 Prozent), während klassische Medien (8 Prozent) und Social Media (18 Prozent) auf den hinteren Plätzen rangieren.
Bezüglich der Teilnahmemotive fällt indes eine kontextuelle Besonderheit ins Gewicht: die Tatsache, dass zwar allgemein gegen Rechtsextremismus demonstriert wird, die AfD als derzeit wirkmächtigste Akteurin der radikalen Rechten aber faktisch eine Art Hauptadressatin darstellt. Ohne die Stärke der Partei wäre auch der Bericht über das Potsdamer Treffen vermutlich kaum auf so große Resonanz gestoßen: Nicht nur was gesagt wurde, sondern auch wer am Tisch saß, war hier ausschlaggebend für die Wahrnehmung der Bedrohung als lebens- und wirklichkeitsnah.
Diese zentrale Rolle der AfD wird auch bei der Frage nach den Motiven für die eigene Besorgnis deutlich – etwa, wenn sich jeweils eine Mehrheit der Befragten gleich sehr besorgt über die Umfragewerte der Partei (62 Prozent) oder einen AfD-Erfolg bei den drei Ost-Landtagswahlen im September (66 Prozent) beziehungsweise der bevorstehenden Europawahl (54 Prozent) zeigt Eine noch bedeutendere Rolle kommt nur der Recherche über das „Geheimtreffen“ zu (75 Prozent): Auch auf eine offene Frage nach den Gründen für die Protestteilnahme (siehe dazu die Wordcloud auf Seite 1) wurde häufig geantwortet, dass dies der Anlass gewesen sei, der das „Fass zum Überlaufen“ gebracht habe.
Im Widerspruch zu diesem dominanten Gefühl der Sorge steht allerdings ein eher nüchterner Blick auf die Wirksamkeit der Proteste: Dass sich die Politik durch sie zum Handeln bewegen lässt, hält nur ein gutes Drittel (36 Prozent) für wahrscheinlich und an ein Umdenken von AfD-Anhänger:innen glaubt gar nur jede:r Zwölfte (8 Prozent).Dagegen hält eine große Mehrheit (84 Prozent) den Gang auf die Straße vor allem dafür geeignet, ein Zeichen zu setzen und dem als solchen empfundenen Rechtsruck gegenüberzutreten. Die Teilnehmer:innen eint also nicht unbedingt ein geteilter Erwartungshorizont, wohl aber die Einsicht, dass öffentliche Sichtbarkeit wichtig ist und einen hohen symbolischen Eigenwert besitzt.
Umgang mit der AfD
Wie steht es um die Einstellungen der Demonstrant:innen bezüglich des Umgangs mit der AfD und der Unterstützung für rechtliche Gegenmaßnahmen? Entgegen der Annahme, dass sich in einem gegen die AfD gerichteten Protestkontext leicht ein entsprechender Konsens findet, wird dieses Vorgehen von weniger Befragten befürwortet (30 Prozent) als abgelehnt (34 Prozent). Auf sichtlich mehr Zustimmung stößt die Idee, ein Verbot einzelner Landesverbände (61 Prozent) und der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative (64 Prozent) sowie eine mögliche Grundrechtsverwirkung von AfD-Politiker:innen nach Art. 18 GG14 (64 Prozent) zu prüfen.
Dass die Werte auch hier nicht noch höher liegen, mag sowohl inhaltlichen Gründen als auch schlichten Machbarkeitserwägungen geschuldet sein; beide Varianten verweisen aber auf ein hohes Reflexionsvermögen der Protestteilnehmer:innen, die augenscheinlich nicht bereit sind, sich pauschal hinter jede Maßnahme zu stellen. Diese nuancierte Sichtweise findet sich auch in der Unterscheidung, die zwischen der Partei und ihren Unterstützer:innen vorgenommen wird. Nur jede:r Elfte (9 Prozent) befürwortet deren Ausgrenzung, mehr als die Hälfte (55 Prozent) möchte dagegen das Gespräch mit ihnen suchen.
Fazit und Ausblick
Insgesamt ergibt sich den Forschern zufolge ein vielschichtiges Bild der Teilnehmer:innen. Gleichzeitig stelle sich die Frage, wie man bislang unterrepräsentierte Milieus stärker einbinden kann. „Die Organisator:innen können ihren Teil dazu beitragen, indem sie das verbindende Element der Demonstrationen noch klarer herausstellen und alle Vereinnahmungsversuche von sich weisen“, so Koos. Dies sei auch vor dem Hintergrund der Frage wichtig, inwieweit man die Energie und Dynamik der Proteste in ein längerfristiges politisches Projekt überführen kann.
Für Florian Ranft, Mitglied der Geschäftsleitung des Progressiven Zentrums, folgt aus den Umfrageergebnissen auch ein deutlicher Auftrag an die Politik: „In den Protesten steckt in Hinblick auf die bevorstehenden Landtagswahlen sowie die Europawahl ein wichtiges Mobilisierungsmomentum. Dass eine Mehrzahl der Demonstrant:innen sich gegen ein AfD-Verbot ausspricht, ist in diesem Zusammenhang als Aufforderung an die demokratischen Parteien zu verstehen: Sie müssen sich nicht nur rhetorisch von der AfD abgrenzen, sondern ihre konkreten politischen Antworten auf aktuelle gesellschaftspolitische Fragestellungen in den Mittelpunkt stellen.”
Autor:innen
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