Zusammenfassung
Wieviel und welche Art von Hilfe sind die EuropäerInnen während der Corona-Krise bereit, wechselseitig zu leisten? Das Policy Brief samt Umfrage unter der deutschen Wohnbevölkerung zeichnet ein gemischtes Bild: Während die Bereitschaft zu medizinischer Solidarität hoch ist, zeigt sich nur eine begrenzte Bereitschaft zur Unterstützung finanzieller Umverteilungsmaßnahmen.
Top-Priorität der heute beginnenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft ist die Bewältigung der Folgen der Covid-19-Pandemie. Dafür sollen u. a. 500 Milliarden Euro als EU-Anleihen ausgegeben werden – es wäre eine in der EU-Geschichte beispiellose finanzielle Solidarität.
Für diese muss die Bundesregierung allerdings noch Überzeugungsarbeit in der Bevölkerung leisten. Dies ist das Ergebnis einer Erhebung, die wir in einem Policy Brief aufbereitet haben und die Der Spiegel heute mit „Ja zu Beatmungsgeräten, Nein zu Bonds“ zusammengefasst hat.
Demnach ist die Bereitschaft zu Solidarität für medizinische Hilfen zwar hoch. Finanzielle Hilfen hingegen unterstützen bislang nur 44 %, EU-Anleihen nur 26 % der Befragten in Deutschland. Dabei steigt oder sinkt die Hilfsbereitschaft in verschiedenen Szenarien.
Zentrale Erkenntnisse
- Umverteilungsmaßnahmen müssen gut begründet werden: Die Ursachen der Not sowie ihr Ausmaß müssen dargelegt werden. Ein alleiniger Fokus auf die Kosten reduziert die Hilfsbereitschaft.
- Gemeinschaftliche Krisenvorsorge sollte ausgebaut werden. Die Untersuchung zeigt, dass es unter den Befragten parteiübergreifend große Mehrheiten für medizinische Solidarität gibt (Ausnahme: AfD-AnhängerInnen).
- Aufzählung
Ab 1. Juli übernimmt Deutschland erstmals seit 13 Jahren die EU-Ratspräsidentschaft, in einer Zeit, da die Corona-Krise außergewöhnliche Herausforderungen an gemeinsames politisches Handeln stellt. Standen zunächst medizinische Herausforderungen im Vordergrund, rücken nun politische, soziale und ökonomische Fragen zunehmend in den Fokus. Die Corona-Pandemie könnte soziale Ungleichheit in und zwischen EU-Ländern massiv verstärken; wie schwer Mitgliedsstaaten betroffen sind, unterscheidet sich stark. Das wirft Fragen auf: Wieviel europäische Solidarität ist in der Krise notwendig, wieviel ist politisch möglich?
Zwei Konstanzer Forscher, der Soziologe Sebastian Koos und der Politikwissenschaftler Dirk Leuffen, haben untersucht, wie es in Deutschland um die Bereitschaft zu Hilfsleistungen steht. Sie stellen ihre Befunde jetzt in Form eines Policy Briefs der Öffentlichkeit zur Verfügung: Ein praxisorientiertes politisches Papier, in dem die Autoren neben den Ergebnissen ihrer Studie auch ihre Schlüsse für politisches Handeln vorstellen.
Es ist das erste Papier, das aus einem großangelegten Umfragen-Programm des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“ der Universität Konstanz hervorgeht, in dem Koos und Leuffen Mitglied sind.
JA zu medizinischer Hilfe, NEIN zu EU-Anleihen
Auf der Basis aktuell erhobener Umfragedaten unter 4.800 Befragten stellen die beiden Sozialforscher fest: Die medizinische Hilfsbereitschaft ist sehr groß – Finanzhilfen aber werden weitaus skeptischer gesehen.
Rund zwei Drittel der Befragten sprechen sich für Sendungen von medizinischen Hilfsgütern wie Beatmungsgeräten und Schutzmasken an besonders betroffene Länder aus, weniger als ein Fünftel wäre unmittelbar dagegen. Finanzielle Hilfen würden aber nur 44% der Befragten unterstützen, und geht es um sogenannte Corona-Bonds, sinkt die Unterstützung sogar auf 26%, während sich eine klare Mehrheit (56%) gegen dieses Hilfsinstrument positioniert.
Krankheit vs. finanzielle Not
Die Befragten trennen offenbar sehr klar zwischen der Bedrohung durch das Virus und dessen wirtschaftliche Folgen. „Kranken Menschen wird eine hohe legitime Hilfsbedürftigkeit zugeschrieben. Krankheitsbedingte Not löst also einen Hilfsimpuls aus, dem bisweilen sogar eigene Interessen und Einstellungen untergeordnet werden“, erklärt Sebastian Koos. Und tatsächlich finden wir, dass die Umfrageteilnehmer über alle Parteigrenzen hinweg medizinische Solidarität unterstützen.“
Parteianhänger linker Parteien sind solidarischer
In Hinblick auf finanzielle Hilfsleistungen für Länder in wirtschaftlicher Not dagegen spielt die politische Grundhaltung eine größere Rolle: Wer eher die FDP oder die AfD wählen würde, neigt häufiger dazu, wirtschaftliche Hilfsleistungen abzulehnen. WählerInnen von Die Linke oder Bündnis 90/Die Grünen zeigen dagegen eine ausgeprägtere Bereitschaft zu finanzieller Unterstützung der von der Corona-Krise getroffenen Länder.
„Parteipolitische Orientierungen sind aber nicht alles. Sehr wichtig ist auch, inwieweit die betroffenen Länder für ihre Notlage selbst verantwortlich gemacht werden“, ergänzt Dirk Leuffen. Die Befragten versagten Ländern, die in der Vergangenheit nicht für eine Krise vorgesorgt hätten, häufiger die Unterstützung als anderen. Auch hier würden fiskalpolitische „Fehler“ der Vergangenheit wesentlich kritischer in die Bewertung miteinbezogen als gesundheitspolitische – ungeachtet der Pandemie als der eigentlichen Krisenursache.
„In den letzten Jahren hat sich gezeigt, wie bedeutsam der Rückhalt in der Bevölkerung für europäische Politik inzwischen geworden ist“, meint Dirk Leuffen. „Für europäische Umverteilungsmaßnahmen in der Corona-Krise ist daher zentral wichtig, wie diese kommuniziert und begründet werden. Ein alleiniger Fokus auf die Kosten reduziert die Hilfsbereitschaft. Auch die mittel- und langfristigen Interessen der Geberseite müssen unbedingt berücksichtigt werden.“
Umfragen-Programm zu den Folgen der Corona-Krise und Datengrundlage
Das Papier von Sebastian Koos und Dirk Leuffen ist das erste in einer Reihe, die auf einem großangelegten Umfragen-Programm des Konstanzer Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“ beruht. Mithilfe der Umfragen möchten die Forschenden des Clusters besser verstehen, wie Menschen in Deutschland mit den sozialen und politischen Folgen der Corona-Krise umgehen.
Nähere Details zur Auswahl der Befragten und zur Datengrundlage finden sich auf der Seite des Exzellenzclusters „Politics of Inequality“, den Hintergrund zur Kooperation zwischen dem Cluster und dem Progressiven Zentrum in diesem Artikel.
Dieses Policy Paper wurde in Kooperation des Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“ der Universität Konstanz zusammen mit dem Progressiven Zentrum veröffentlicht.
Autor:innen
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