Labours historische Niederlage bei der Unterhauswahl ist das Ergebnis einer schwachen Kampagne. Während Boris Johnson ein strategisches Meisterstück lieferte, scheiterte Jeremy Corbyn daran, interne und parteiübergreifende Allianzen zu bilden. Florian Ranft und Paul Ostwald blicken zurück auf einen britischen Wahlkampf, in dem das Brexit-Thema alles dominierte – und ziehen Schlüsse für Europas Progressive.
Es ist eine Ironie des Brexits und ein strategisches Meisterstück: Boris Johnson gewinnt die Unterhauswahl und schlägt die Politik seiner AmtsvorgängerInnen aus der eigenen Partei. David Cameron stand für eine rigorose Sparpolitik, die vor allem die sozial Schwachen traf. Theresa May sollte Camerons Erbe verwalten und den Brexit liefern – eine Aufgabe, die ihr wenige zutrauten.
Ökonomischer Linksschwenk, kultureller Rechtsruck
Dazu brauchte es Johnson: Sein Slogan, “Get Brexit Done”, hallte durch jede Berichterstattung und räsonierte unmissverständlich bei Wahlkampfauftritten. Die Strategie seines berüchtigten Spin-Doctors Dominic Cummings ging auf: Ein ökonomischer Linksschwenk – weg von der Austeritätspolitik, hin zu mehr öffentlichen Ausgaben für Gesundheit, Bildung und Infrastruktur –, ein Rechtsschwenk bei Immigrations- und Identitätsfragen. Dieser Mix aus policy und identity schlug ein wie eine Bombe und brachte die “rote Wand”, ein breites Band von traditionell Labour-dominierten Wahlkreisen von Liverpool bis Newcastle, zu Fall. Insgesamt sprangen die Tories von knapp neun Prozent bei der Europawahl auf fast 44 Prozent im Dezember.
Unklare Brexit-Haltung wurde Corbyn zum Verhängnis
Oppositionsführer Jeremy Corbyn war am Wahlabend zu bedauern. Nach dem gefühlten “Überraschungserfolg” gegen Theresa May 2017, der faktisch eine Niederlage gegen eine schwache Kandidatin war, hatte sich das Corbyn-Lager dieses Mal mehr ausgerechnet. Was ging schief?
Die Vorstellung einer Corbyn-Regierung schreckte viele WählerInnen im gemäßigten Labour-Zentrum ab. Wer vor zwei Jahren noch guten Gewissens aus Protest für Labour stimmen konnte, war jetzt drauf und dran, mehr politische und ökonomische Unsicherheit zu wählen. Dagegen waren die Konservativen für viele WählerInnen ein sicherer Hafen.
Auch beim Brexit verlor Labour: WählerInnen, die noch an den EU-Verbleib glaubten, fühlten sich bei den LibDems besser aufgehoben. Jene, die hingegen einen Brexit-Schlussstrich ziehen wollten, votierten für Johnson oder die Brexit-Partei. So sehr Corbyn für Haltung und klare Positionen steht, so wenig durchschaubar blieb seine Brexit-Strategie. Eine Partei die Brexit-GegnerInnen und -BefürworterInnen zugleich ein Angebot machen wollte, verlor so auf beiden Seiten an Glaubwürdigkeit und Stimmen.
Fehlende Allianzen
Labour hatte die falschen Konsequenzen aus der Europawahl gezogen und sich zu sehr auf die Loyalität seiner StammwählerInnen verlassen. Die Brexit-Partei trat nur in Oppositions-Wahlkreisen an und lieferte damit den Konservativen Vorschub. Labour hätte eine progressive Allianz mit LibDems und Grünen anstreben können, aber nach den parlamentarischen Brexit-Gefechten war wenig Vertrauen vorhanden. So gingen viele Sitze mit knappen Margen verloren, weil sich die progressiven Stimmen verteilten.
Corbyn scheiterte auch daran, eine parteiinterne Allianz zu schmieden. Antisemitismus-Vorwürfe hatten schon lange vor der Wahl zum Austritt einiger Abgeordneter geführt. Seine sinkenden Umfragewerte machten ihn zum historisch unbeliebtesten Oppositionsführer. Ein radikales Parteiprogramm verlief sich oft im Kleingedruckten.
Zukunft für linke Politik
Bei aller Kritik an Corbyns Kurs zeigt die Wahl aber auch, dass linke Politik in Großbritannien eine Zukunft hat. Labour konnte mehr als Zweidrittel der U25-WählerInnen von seinen Ideen überzeugen. Das macht all jenen Hoffnung, die einen Regierungswechsel in spätestens fünf Jahren anstreben. Aber mit Politik für die Jugend gewinnt man in einer alternden Gesellschaft keine Wahl. Corbyn und seine Verbündeten sind auch gescheitert, weil ihre Problemlösungen zu sehr aus Perspektive junger, liberaler und gut ausgebildeter GroßstädterInnen angegangen wurden.
Bei Labour muss deshalb Einiges passieren. Im Idealfall findet sich ein neuer Vorsitz, der weder mit Tony Blair noch Corbyn in Verbindung gebracht wird. Wer das sein könnte, ist derzeit noch offen. Für Europa steht fest, dass der Brexit sehr bald auf die Tagesordnung zurückkehren wird. Der Kompromiss wird weniger britische Zugeständnisse beinhalten, als es vielen in Europa lieb sein wird. Europas SozialdemokratInnen sollten aus dem Fall Corbyn lernen und keine unbedachte Flucht nach links antreten, ohne alle WählerInnenschichten mitzunehmen.
In Erinnerung wird eine Kampagne bleiben, an deren Ende ein ernüchterndes Ergebnis steht: Labour verliert 59 Sitze im Unterhaus. Großbritannien ist damit auf absehbare Zeit dem Johnsonism und einer rechten Regierung mit unberechenbaren Hardlinern ausgeliefert.
Ein ausführliche Fassung dieses Beitrag wird in der Februar-Ausgabe der Neue Gesellschaft Frankfurter Hefte erscheinen.