Viele Diskussionen werden auf Social Media und in Kommentarspalten unter Artikeln und Interviews geführt. Wegen hate speech, shitstorms und alternativen Fakten kommt Medienschaffenden hier eine besondere Sorgfaltspflicht zu.
Grundsätzlich erachte ich den direkten Dialog von zwei Menschen aus verschiedenen Bevölkerungsgruppen als wünschenswert. Im seltensten Fall verhärtet ein Austausch die Fronten. Meist ist auch bei gänzlich gegensätzlichen Ansichten zu beobachten, dass zumindest ein kleiner gemeinsamer Nenner gefunden wird, der unter Umständen in einer größeren Debatte zuvor unterrepräsentiert war. Bei einer medialen Verwertung sollte allerdings darauf geachtet werden, dass nicht einer der beiden Gesprächspartner „vorgeführt“ wird, zum Beispiel weil ein unterschiedliches Bildungsniveau vorliegt.
Der Nutzen dieses Aufeinandertreffens ist individuell zu bewerten. Hat der/die PolitikerIn ein spezifisches Fachgebiet (im Video mit Frau Strack-Zimmermann/$ick beispielsweise eine liberale Drogenpolitik) und ist an einem Gespräch mit einem Betroffenen/Insider sehr interessiert, findet wahrscheinlich ein deutlich wohlwollender und tiefergehender Austausch statt, als wenn ProtagonistInnen mit einer gänzlich gegensätzlichen Meinung aufeinandertreffen. Auch ist in der medialen Aufbereitung, insbesondere bei inhaltlich kontroversen Gesprächen, darauf zu achten, ob PolitikerInnen offensichtlich eine besondere Motivation/Strategie verfolgen und vielleicht sogar gegensätzliche Aussagen zu dem treffen, was sie oder ihre Parteien in der Vergangenheit geäußert haben. Insbesondere im Umgang mit populistischen Einstellungen muss daher bei der Veröffentlichung eine neutrale Einordnung von Inhalten erfolgen (Fact-Checking von Zahlen, Statistiken, Aussagen).
Es muss bei der Veröffentlichung eine neutrale Einordnung von Inhalten erfolgen
Meine Erfahrung ist, dass in allen von uns geführten Gesprächen mehr oder weniger hitzige, aber immer engagierte und spannende Diskussionen in den Kommentarspalten zustande gekommen sind. Die Debatte wird stellvertretend von den „AnhängerInnen“ der jeweiligen ProtagonistInnen fortgeführt. So wird deutlich intensiver weiter diskutiert, als es beispielsweise in den Kommentarspalten bei Einzelinterviews der Fall ist. Durch eine ungewöhnliche Gesprächspaarung wird außerdem dafür gesorgt, dass sich Menschen mit politischen Themen auseinandersetzen, mit denen sie in ihrem Alltag wenig bis gar nicht in Berührung kommen (beispielsweise Fans von Enemy, den wir mit AfD-Politiker Frohnmaier an einen Tisch gesetzt haben).
Mit Sorgfalt den Diskurs fördern
Genau das ist für mich bei diesen Aufeinandertreffen der Gewinn: Egal, wie weit die ProtagonistInnen auf einen Nenner kommen, die Diskussion wird im Social Media-Umfeld weitergeführt und sorgt bei den Usern für eine Auseinandersetzung mit politischer Thematik. Den JournalistInnen und Medienschaffenden kommt aber sowohl in der Moderation des Gesprächs, in der Überprüfung von Sachverhalten als auch in der Moderation der Kommentarspalten eine besondere Sorgfaltspflicht zu. Wenn dafür gesorgt wird, können medial dokumentierte Gespräche dieser Art zu einer besseren Verständigung und einer Erweiterung des üblichen Diskurses beitragen.
Hintergrund
Dieser Meinungsbeitrag entstand im Rahmen des Projekts Countering Populism in public space. Gemeinsam mit VertreterInnen von Nichtregierungsorganisationen und jungen Medienschaffenden wurden konkrete Handreichungen und ein multimediales Angebot für den souveränen und bewussten Umgang mit demokratiefeindlichem Populismus in der Öffentlichkeit erarbeitet.
Das Progressive Zentrum brachte AkteurInnen aus dem Mediensektor und der Zivilgesellschaft im Rahmen von zwei Wegweiser-Werkstätten zusammen und bot so einen Rahmen der ko-kreativen Zusammenarbeit und des konstruktiven Erfahrungsaustauschs. Während in der ersten Werkstatt VertreterInnen von gesellschaftsrelevanten Jugendverbänden, religiösen Gemeinden, gesellschaftspolitischen Initiativen, Stiftungen, öffentlichen Einrichtungen und Gewerkschaften zusammenkamen, arbeiteten in der zweiten Werkstatt Medienschaffende aus der journalistischen sowie BloggerInnen- und Social-Media-Szene zusammen. Dabei konnten konkrete Schlussfolgerungen aus ihren bereits erworbenen Erfahrungen im Umgang mit demokratiefeindlichen PopulistInnen gezogen werden.