Hat die FDP mit dem GEG nicht eine Vereinbarung gebrochen, Herr Dürr?

Die FDP wird im Ampel-Bündnis oft als „Dagegen“-Partei wahrgenommen. Zuletzt blockierte sie die Debatte um das Gebäudeenergiegesetz. Darüber und über Technologieoffenheit, sowie die deutsche Langsamkeit, haben wir mit dem Fraktionsvorsitzenden Christian Dürr gesprochen. 

Progressives Regieren: Im Koalitionsausschuss wurde vereinbart, das Gebäudeenergiegesetz noch vor der Sommerpause in den Bundestag einzubringen. In dieser Woche nun sollte der Entwurf im Bundestag diskutiert werden. Die FDP hat den Tagesordnungspunkt nun einfach von der Agenda gestrichen. Müssen Sie sich nicht den Bruch einer Vereinbarung vorwerfen lassen? Und ist das der richtige Weg, um bei einer so wichtigen Sache auch einmal Tempo zu machen?

Christian Dürr: Wir brauchen dringend ein neues Gebäudeenergiegesetz. Die Realität ist: Das hätte eigentlich schon vor Jahren kommen müssen. Wir holen jetzt nach, was die Union in der Vergangenheit sträflich versäumt hat. Dieser Fehler lässt sich aber nicht von heute auf morgen beheben, denn wir brauchen praxistaugliche und bezahlbare Lösungen. Jeder Mensch in Deutschland muss sich die Heizung leisten können, die zum jeweiligen Haus passt. Wärmepumpen werden für viele Hausbesitzer eine gute Lösung sein – aber sie passen nun mal nicht überall. Kommunen und Versorger haben daher Bedenken geäußert, dass der aktuelle Gesetzesentwurf sich nicht in die Praxis umsetzen lässt. Es ist unsere Pflicht, darauf zu reagieren und für mehr Technologieoffenheit zu sorgen. Da geht es aber um grundlegende Fragen, die geklärt werden müssen, bevor die parlamentarischen Beratungen beginnen. Uns ist es wichtig, ein wirklich gutes Gesetz zu beschließen – wenn das eine Zeit länger dauert, dann ist es so. Ein schlechtes Gesetz zu beschließen, bloß weil der Sommer bevorsteht, kann ja keine Alternative sein.”

Mit dem im Koalitionsausschuss vereinbarten Modernisierungspaket will die Bundesregierung mehr Geschwindigkeit in den Klimaschutz bringen. Deutschlandtempo ist das Gebot der Stunde. Die FDP wird bei Haushaltsfragen, beim Verbrenner-Aus, beim Gebäudeenergiegesetz jedoch häufig als “Dagegen-Partei”, als bremsende Kraft wahrgenommen. Wie passt das zusammen?

Ich würde es genau andersherum sehen. Wir sind ja dafür, dass keine Technologien verboten werden. Es sollte nicht darum gehen, zu sagen: Wärmepumpe oder Gasheizung, sondern Wärmepumpe und Gasheizungen, die in Zukunft klimaneutralen Wasserstoff verbrennen können. Und es sollte nicht heißen: E-Auto oder Verbrennungsmotor, sondern E-Auto plus Verbrennungsmotoren, die klimaneutrale Kraftstoffe verbrennen können. Ich glaube, der Fehler der deutschen Klima- und Energiepolitik lag in der Vergangenheit in dem Versuch, Technologien hinter sich zu lassen. Nicht die Technologie aber ist das Problem, sondern die fossilen Brennstoffe. Wir müssen wegkommen von Öl, Gas und Kohle und darin liegt für mich der Kern der Transformation. Und dafür brauchen wir Technologieoffenheit.

Sowohl beim GEG als auch beim Verbrenner-Aus betont die FDP, dass Technologieoffenheit bewahrt werden müsse. Es gilt aber als unwahrscheinlich, dass Wasserstoff betriebene Heizungen und E-Fuel betriebene PKWs in den nächsten zehn Jahren eine signifikante Rolle spielen werden. Gibt es aus Ihrer Sicht einen Konflikt, einen Trade Off zwischen höherem Tempo in der Energie- und Wärmewende auf der einen Seite und Technologieoffenheit auf der anderen? Kann es in bestimmten Situationen sinnvoll sein, auf eine bestimmte Technologie zu setzen, um die Geschwindigkeit in der Implementierung zu erhöhen?

Deutschland hat es ja versucht. Die unionsgeführten Bundesregierungen sind aus allem Möglichen ausgestiegen und wir stellen trotzdem fest, dass die Klimaziele gerissen werden. Das ist zusammenfassend das größte Problem der Klima- und Energiepolitik der vergangenen 20 Jahre. Niemand kann mit Sicherheit sagen, wann ausreichend Wasserstoff zur Verfügung stehen wird. Andererseits ist es auch mehr als fraglich, ob die in Deutschland produzierte Strommenge ausreichen wird, um neben unserem ohnehin steigenden Strombedarf auch noch die E-Autos und Wärmepumpen zu versorgen. In der Klima- und Energiepolitik alles auf eine Karte zu setzen, ist fahrlässig. Und an der Stelle machen wir es anders als die Vorgängerregierung. Ich weiß auch, dass es bei den Kollegen der Grünen Vorlieben für bestimmte Technologien gibt. Aber wir haben uns alle die Technologieoffenheit auf die Fahne geschrieben, auch bei unserem letzten Koalitionsausschuss. Und deswegen bestehen wir auch so darauf und verteidigen sie. Die Wahrscheinlichkeit, die Klimaschutzziele zu erreichen, ist mit mehr Technologien doch deutlich größer als mit weniger. Die Chance beispielsweise aufzugeben, das Gasnetz in Zukunft klimaneutral nutzen zu können, indem man diese Technologie faktisch durch die Hintertür verbietet, wäre doch verrückt. Die Ziele sind eindeutig und an die wollen wir uns halten. 

Mit der Technologieoffenheit eng verbunden ist die Innovationskraft dieses Landes. Dabei sind aber die zähen Planungs- und Genehmigungsverfahren ein enormes Hindernis. Infrastrukturprojekte, auch solche, die für den Klimaschutz wichtig sind, stecken in bürokratischen Schleifen fest. Andererseits können manche Projekte, wie die LNG-Terminals an der Küste, in Rekordzeit errichtet werden. Was muss da getan werden?

Wir sind gerade dabei, das zu verändern. Der Bau des LNG-Terminals in Wilhelmshaven ist aus meiner Sicht eine Blaupause, wie man es in Zukunft schnell machen kann. Dieses Projekt war wirklich von überragendem öffentlichen Interesse, auch juristisch gesehen. Und deswegen musste und konnte es schnell geplant, genehmigt und gebaut werden. Wir wollen das LNG-Tempo für alle Projekte. Die Langsamkeit unseres Landes hat viele in der Vergangenheit verrückt gemacht. Und ich will dazu noch einen Punkt ansprechen, der klein klingt, aber mich seit vielen Jahren umtreibt und den wir im letzten Koalitionsausschuss endlich festgelegt haben: Wir werden das Bundesnaturschutzgesetz ändern, sodass statt dem Ausweisen von Ausgleichsflächen auch ein Ersatzgeld gezahlt werden kann. Ich kenne viele Flächen im ländlichen Raum, auf denen man bürokratischen Naturschutz gemacht hat, der naturschutzfachlich kompletter Unsinn ist. Das war Naturschutz auf dem Papier. Man hat sich damit ein gutes Gewissen gemacht, aber der Natur an keiner Stelle geholfen. Das werden wir anders machen. Wir brauchen nämlich Geld, um unsere Biosphärenreservate und Nationalparks weiterzuentwickeln. Wenn jemand in Zukunft ein Baugebiet errichtet oder Industrieinfrastruktur entwickelt, kann man diesen Ausgleich in Geld leisten und es wird an anderer Stelle, auf vorhandenen Schutzflächen, wirklich etwas Sinnvolles damit getan. Damit betreibt man besseren Naturschutz und kann gleichzeitig wesentlich schneller agieren. Das ist ein ganz konkreter Baustein für das Deutschlandtempo, weil es die Genehmigungszeiten immens verkürzen wird.

Bei den LNG-Terminals wurde ja die Umweltverträglichkeitsprüfung ausgesetzt. Ist aus Ihrer Sicht auch das eine Blaupause, dass im Sinne der Geschwindigkeit weniger Naturschutz stattfindet?

Es ist nicht weniger Naturschutz, es ist pragmatischerer Naturschutz. Die alte Umweltverträglichkeitsprüfung hat ja zum Teil absurde Züge angenommen. Da konnte man schon den Eindruck gewinnen, dass es nur darum ging, Aktenordner zu füllen. Wir wollen nicht weniger Naturschutz machen, sondern mehr Geschwindigkeit aufnehmen. Eine Autobahn etwa, deren Bau beschlossen ist, wird nicht umweltfreundlicher, wenn sie besonders langsam geplant oder gebaut wird. Langsamkeit ist kein Gewinn für den Klimaschutz.

Fehlendes Tempo und überbordende Bürokratie ist auch nach Ansicht der Wirtschaft ein großes Problem. Die Ampel hat sich als Fortschrittskoalition vorgenommen, in diesem Bereich wesentliche Schritte zu unternehmen. Was sehen Sie bisher erfüllt und in welchen Bereichen muss es besser laufen?

Wir haben uns auf den Weg gemacht und auch schon einiges geschafft. Aber der Kernpunkt ist die Digitalisierung der Verwaltung. Dafür brauchen wir die Länder, die wir bereits aufgefordert haben, mitzumachen. An ein paar Punkten drehen wir auch auf Bundesebene an den entscheidenden Stellschrauben, zum Beispiel bei schnelleren Verwaltungsgerichtsverfahren oder der digitalisierten Justiz, an der Bundesjustizminister Marco Buschmann arbeitet. Das bringt Beschleunigung und durch die Digitalisierung auch Entbürokratisierung. Und der parlamentarische Staatssekretär im Justizministerium, Benjamin Strasser, hat bei den Unternehmen der Privatwirtschaft mal reingehört und gefragt: Was sind die großen Dinge, die euch stören? Da sind mehr als 400 Vorschläge gekommen und jetzt sind wir dabei, das in Gesetzesform zu gießen und eine echte Entbürokratisierungsoffensive zu machen.

Als Instrument zur Reduzierung von CO2 Emissionen haben Johannes Vogel und Lukas Köhler einen Zertifikatehandel in den Wirtschaftsbereichen Verkehr, Gebäude und Gewerbe vorgeschlagen. Als die Preise für Energie und Kraftstoffe im vergangenen Sommer heftig angestiegen sind, hat die FDP einen Tankrabatt durchgesetzt, um die Preise zu senken. Wie glaubwürdig ist der Vorschlag vor diesem Hintergrund? Setzt die FDP auch dann auf Preissignale, wenn sie dem eigenen Wählerklientel wehtun? 

Ich glaube, dass Autofahrer keine Klientel sind. In Deutschland gibt es ungefähr 47 Millionen Pkw und die werden meistens von zwei Leuten genutzt. Es geht dabei also um fast alle Menschen. Aber zu Ihrer Frage: Wir hatten im letzten Jahr Preisschocksituationen, die so dramatisch waren, dass wir sie kurzfristig abfedern mussten. Und das ist zu unterscheiden von der grundlegenden Politik. Es gab damals die Sorge, dass das Preisniveau dauerhaft hoch bleibt. Das ist aber nicht passiert. Die Märkte haben sich stabilisiert und der Tankrabatt ist dann folglich nicht verlängert worden. Aber jetzt müssen wir an dieser Stelle auch daran arbeiten, klimaneutraler zu werden. Deswegen wollen wir nun unter anderem Klimadiesel in Deutschland zulassen, der aus Reststoffen gewonnen wird. Und ja, auch im Interesse der Autofahrer wollen wir erreichen, dass es nicht zu teuer wird. Spätestens 2027 oder 2028 werden wir die Ausweitung des europäischen Emissionshandels auf alle Sektoren haben und dann wird es teurer werden. Das heißt, da muss es Alternativen für Verbrennungsmotoren in Form von klimaneutralen Kraftstoffen geben. 

Die FDP hat bei der Landtagswahl in Bremen voraussichtlich 0,7 Prozentpunkte eingebüßt. Ihr Parteikollege Konstantin Kuhle hat das bei Twitter vorsichtig als hoffnungsvolles Signal gewertet. Sind Minus 0,7 Prozent für die FDP derzeit ein Erfolg oder doch eine weitere Niederlage?

Das zentrale Ziel war der Wiedereinzug in die Bremische Bürgerschaft und das hat geklappt. Wir hatten eine Reihe von Landtagswahlen, die nicht gut gelaufen sind und jetzt gab es eine, bei der wir unser Ziel erreicht haben. Deswegen freue ich mich. Aber eines ist mir in dem Zusammenhang wichtig: Wir richten unsere inhaltliche Überzeugung nicht jedes Mal neu aus. Wir sind bei allen Punkten, die wir hier gemeinsam besprochen haben, also etwa bei der Modernisierung des Landes, Entbürokratisierung, Digitalisierung, Planungsbeschleunigung, Technologieoffenheit, einen sehr klaren Kurs gefahren. Der hat nicht immer zu Zustimmung geführt, bei der aktuellen Landtagswahl offensichtlich aber schon.

Mit Christian Dürr sprach Benjamin Lamoureux.

Autor

Christian Dürr ist Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion und Mitglied im Bundesvorstand der FDP.
Benjamin Lamoureux (geb. Konietzny) war Leiter der strategischen Kommunikation des Progressiven Zentrums.

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