Entscheidend ist das Lokale: So kann die Transformation gelingen

Wie können die Transformationskapazitäten und Innovationsfähigkeiten von Kommunen und Regionen konkret gestärkt werden?

Transformation passiert auf lokaler Ebene! Wie aber können die Transformationskapazitäten und Innovationsfähigkeiten von Kommunen und Regionen konkret gestärkt werden? Diese Frage haben wir am 01. Juli 2024 auf Grundlage von zwei neuen Studien der Bertelsmann Stiftung sowie des Progressiven Zentrums in Kooperation mit dem Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit im Rahmen eines Panels mit Thomas Kralinski, Wiebke Pankauke, Renate Schön und Sabrina Schulz (Moderation) diskutiert. 

Die jüngsten Erfolge der rechtspopulistischen AfD bei den Europawahlen und des Rassemblement National bei den Parlamentswahlen in Frankreich zeigen eindrücklich: Mit dem Erstarken der Rechten wird das Projekt der sozial-ökologischen Transformation mit heftigen Widerständen konfrontiert werden. Teile der Bevölkerung verlieren zunehmend das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik und stehen großen Reformprozessen skeptisch gegenüber. Die neuen Studien „Transformation von unten gestalten: Wie missionsorientierte Politik auf regionaler Ebene gelingen kann” der Bertelsmann Stiftung, sowie „Unsere Energiewende? Wie Beteiligung vor Ort die Transformation gestaltbar macht” von Das Progressive Zentrum in Kooperation mit dem Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS) zeigen: Ein Fokus auf Regionen und Kommunen ist zentral, um die Transformation erfolgreich zu gestalten.

Ein wichtiges Element für regionale Transformation kann Missionsorientierung, also die sektorübergreifende Zusammenarbeit und die gemeinsame Festlegung eines klar definierten Ziels, sein, erläutert Professor Jakob Edler (Geschäftsführender Institutsleiter, Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI). Eine der Kernerkenntnisse der Studie „Transformation von unten gestalten” liegt darin, dass gerade Missionen mit regionalem Fokus im Vergleich zu nationalen Missionen spezifische Vorteile aufweisen. Zu nennen sind dabei u. a. einfachere Abstimmungsprozesse durch die räumliche Nähe der Akteure untereinander, klare Verantwortlichkeiten sowie die Möglichkeit, die Zielvorgaben an lokale Gegebenheiten anzupassen.

Gleichzeitig ist die immaterielle und materielle Beteiligung unumgänglich für die demokratische Gestaltung der Transformation – das ist die Kernbotschaft von Johanna Siebert (Projektmanagerin Green New Deal, Das Progressive Zentrum) und Victoria Luh(Sozialwissenschaftlerin und Mediatorin, Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit), Autorinnen der Studie “Unsere Energiewende?”. Die Analyse von drei kommunalen beziehungsweise regionalen Fallbeispielen mit finanzieller Beteiligung sowie dialogischen und konfliktsensiblen Formate verdeutlicht den Wert der direkten Beteiligung vor Ort, allerdings auch deren Herausforderungen. Konkret müssen politische Akteure die Energiewende als Mehr-Ebenen-Aufgabe verstehen und gezielt Rahmenbedingungen schaffen, um kommunale Transformationskapazitäten sowohl im Hinblick auf das notwendige Know-how als auch auf die Finanzierung stärker unterstützen zu können.

Dreiklang aus Ökologie, Ökonomie und Sozialem als Schlüssel zum Erfolg

Um die politischen Rahmenbedingungen zur Stärkung einer solchen regionalen Gestaltungsmacht ging es in der anschließenden Paneldiskussion mit Staatssekretär Thomas Kralinski vom Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Wiebke Pankauke, Deputy Head of Unit in der Generaldirektion Forschung und Innovation der Europäischen Kommission, und Renate Schön, Bürgermeisterin der Gemeinde Wildpoldsried.

Letztere präsentiert ein Positivbeispiel aus Wildpoldsried: Dort habe man sich vor gut 30 Jahren auf den Weg in Richtung Klimaneutralität gemacht. Eine klare Zielvorgabe habe dabei an erster Stelle gestanden. Außerdem seien der politische Wille zur Transformation und die Verantwortungsübernahme „oberste Maßgabe” gewesen. Ein entscheidender Teil des Erfolgsrezepts in Wildpoldsried sei zudem die konsequente und kontinuierliche Beteiligung der Menschen vor Ort, denn das hierdurch erzeugte Vertrauen sei ein „zentraler Gelingensfaktor” der Energiewende, so Schön. 

Konkret geschehe dies sowohl durch das dialogische „Mitnehmen der Bürger:innen” in der kommunalen Planung, als auch durch den Anspruch, Ökologie, Ökonomie und Soziales miteinander in Einklang zu bringen. Dazu gehört das überzeugte Eintreten für den Klimaschutz (Ökologie), die Verteilung der kommunalen Mehreinnahmen an lokale Akteure, wie etwa Sportvereine (Ökonomie) und die finanzielle Beteiligung der Bevölkerung, wobei Bürger:innen selbst Anteile an den Bürgerenergiegesellschaften erwerben können, die eine jährliche Rendite abwerfen (Soziales). 

Auch bei der von Wiebke Pankauke betreuten EU-Mission “100 klimaneutrale und intelligente Städte bis 2030” sei „Bürger:innenbeteiligung ein Grundpfeiler”. Zusätzlich habe sich der themenspezifische Austausch zu Best Practices und Learnings zwischen den an der Mission beteiligten Bürgermeister:innen als besonders wertvoll erwiesen. Sie zeigte sich zuversichtlich, dass sich viele Erkenntnisse und Lösungen von Vorreiterstädten wie etwa München, Frankfurt, Dresden oder Leipzig auf Transformationsprozesse in anderen regionalen Kontexten übertragen ließe.

Regionale Unterschiede berücksichtigen

Skeptischer, was die Frage der Übertragbarkeit angeht, ist Thomas Kralinski. Die Erfahrungen aus Wildpoldsried seien nicht so einfach auf größere Kontexte übertragbar. Etwa, weil der Strombedarf energieintensiver Industrien zu groß sei, um ihn mit im Umland erzeugten erneuerbaren Energieträgern zu decken. Mit Blick auf die EU-Missionen gibt er zu bedenken, dass nicht Großstädte mit günstigen Standortfaktoren, sondern mittelgroße Städte wie Bautzen und Görlitz die Orte seien, auf die es in der Transformation ankommt. Dort zeigten sich die Herausforderungen der Transformation besonders deutlich, denn es fehle an den Ressourcen und Fachkräften für den notwendigen Wandel. 

Als weitere Herausforderung nennt Kralinski die langen Zeithorizonte von Transformationsprojekten. Er fordert: „Wir müssen schneller und praktischer werden bei der Umsetzung.”. Zudem steckten in Ostdeutschland und manchen westeuropäischen Industrieregionen den Menschen die negativen Erfahrungen mit vergangenen Transformationsprozessen noch „in den Knochen”. So seien beispielsweise in der Lausitz innerhalb von fünf bis sechs Jahren 90% der gut bezahlten, sicheren Industriearbeitsplätze verloren gegangen. Dies habe das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik massiv geschwächt. Hier sei es nötig, verlorenes Vertrauen wieder aufzubauen. 

Lebensqualität in den Blick nehmen

Ein Schlüssel könne dabei die Aufwertung der Lebensqualität sein. Im Hinblick auf die Ansiedlung von Zukunftsindustrien macht Kralinski deutlich: „Wir müssen schauen, dass wir die Menschen nicht nur dialogisch, sondern auch ökonomisch am Erfolg beteiligen“. Insbesondere in den mittelgroßen Städten stelle sich die Fragen nach den Lebensbedingungen. Diese hätten nicht nur mit der unzureichenden Verfügbarkeit von staatlicher Infrastruktur (z. B. ÖPNV) zu tun, sondern auch mit der Verfügbarkeit von medizinischen und kulturellen Einrichtungen, Einkaufsmöglichkeiten, Gastronomie usw. Dies präge das Lebensgefühl der Menschen. Dazu betont er: „Ich glaube, dass wir die Fragen der Lebensqualität von Menschen in den Griff kriegen müssen, sonst kippt uns manches weg und die Bereitschaft sinkt, sich [der Transformation] anzunehmen”. 

Dazu gehöre auch, Stadt-Land-Disparitäten auszugleichen, merkt Wiebke Pankauke an. Dies sei eine Herausforderung, die viele an der EU-Mission beteiligte Städte eigeninitiativ adressieren würden. Der ländliche Raum dürfe nicht zurückgelassen werden.

Mehrwert für alle hervorheben

Einigkeit besteht unter den Panelist:innen darin, dass die positiven Begleiterscheinungen der Transformation stärker in den Vordergrund gerückt werden müssen, um die  Bürger:innen für das gemeinsame Ziel zu gewinnen.  Als solches sei die Zielvorgabe der Klimaneutralität „zu abstrakt, um sie zu vermitteln”, so Wiebke Pankauke. Stattdessen zeigen die Erfahrungen aus der EU-Mission, dass es hilft, sich in der Kommunikation auf konkrete Maßnahmen zu fokussieren, etwa: “Wir arbeiten für bessere Luft, für höhere Sauberkeit, für kürzere Wege, für mehr Sicherheit im Verkehr”. Auch für Renate Schön ist entscheidend, dass immer wieder kommuniziert werde, welchen Mehrwert die Transformation nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Kommune und für jede:n einzelne:n schaffe. 

Letzten Endes gehe es darum, „die Leute an Bord zu bekommen für die gute Sache”. Das Fazit aus Wildpoldsried lautet: „Wir wissen: Die Energiewende funktioniert”. Um das Vertrauen der Wähler:innen in die Handlungsfähigkeit der Politik zurückzugewinnen und die Transformation für alle zu einem Erfolg zu machen, ist eines klar: Der Wandel darf nicht nur im Lokalen stattfinden, er muss dort auch aktiv gestaltet werden.


Dies war eine gemeinsame Veranstaltung mit der Bertelsmann Stiftung.

Autoren

Sören Hellmonds

Projektassistent
Sören unterstützt als Projektassistent das Team Green New Deal. Er studiert Sozioökonomie an der Universität Duisburg-Essen. Zuvor hat er einen Bachelor in Sozialwissenschaft in Bochum und einen Master in Politikwissenschaft in Kopenhagen abgeschlossen.

Noah Schmitt

Projektassistent
Noah unterstützt Das Progressive Zentrum seit April 2022, zunächst als Praktikant und mittlerweile als Projektassistent im Bereich „Green New Deal“. Er studierte Philosophie, Politik und Ökonomie in Amsterdam und absolviert derzeit seinen Master in Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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