Ein digitaler Ordnungsrahmen für inklusives Wachstum

Veranstaltungsbericht: Roundtable des Projekts „Neue Wege zu inklusivem Wachstum – Impulse für die Soziale Marktwirtschaft von morgen“

Am 18. Oktober 2017 fand der Auftaktroundtable des neuen Projekts „Neue Wege zu inklusivem Wachstum – Impulse für die Soziale Marktwirtschaft von morgen“ im Progressiven Zentrum statt. Am Abend kamen unter der Überschrift “Ein digitaler Ordnungsrahmen für inklusives Wachstum” in der Diskussionsrunde DenkerInnen und PraktikerInnen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft zusammen, um über die Rolle der Digitalisierung in der Gestaltung von wirtschaftlicher Teilhabe in Deutschland zu diskutieren.

An diesem Abend begrüßten Philipp Steinberg (Abteilungsleiter Wirtschaftspolitik im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie) und Programmleiterin Laura-Kristine Krause zusammen mit Moderator und Policy Fellow Andreas Audretsch eine Runde von fünf DiskutantInnen, um gemeinsam mit einem vielseitigen und engagierten Publikum das Wechselspiel zwischen der digitalen Transformation und breiterer wirtschaftlicher Inklusion zu diskutieren. Zu Gast waren an diesem Abend Joachim Bühler (geschäftsführendes Präsidiumsmitglied, Verbands der TÜV), Thomas Gegenhuber (Dozent, Forschungszentrum Digitale Transformation der Leuphana Universität in Lüneburg), Jens Redmer (Principal New Products, Google Deutschland), Leonie Beining (Projektmanagerin im Projekt “Gemeinwohl im digitalen Zeitalter”, Stiftung Neue Verantwortung) und Thomas Falkner (Mitglied der DenkerInnenrunde Inklusives Wachstum beim Progressiven Zentrum).

Einordnung des Verhältnisses von inklusivem Wachstum und Digitalisierung 

Vor Beginn der Diskussion wurdedie Bedeutung und Relevanz von inklusivem Wachstum als neuer wirtschaftspolitischer Leitbegriff thematisiert. Das traditionelle Diktum der Sozialen Marktwirtschaft – Wohlstand für alle – könne in Anbetracht umfassender struktureller Wandlungen und zunehmender Ungleichheitsdynamiken nicht nur noch auf stetigen Wirtschaftswachstum beruhen, sondern müsse ebenso eine breite Teilhabe an selbigem ermöglichen. Das Konzept inklusives Wachstum versucht also die vielschichtigen Wechselwirkungen zwischen der heutigen Wirtschaft und sozialen Gerechtigkeit in ihrer Komplexität zu begreifen und zusammen mit verschiedenen Akteuren eine integrierte Antwort auf die sich daraus ergebenden Herausforderungen zu finden. Die Digitalisierung als derzeit größte Triebkraft von wirtschaftlichem Wachstum, aber auch sozialer Veränderung stellt die existierenden institutionellen Vereinbarungen in Frage und schafft sukzessiv einen neuen gesellschaftlichen Ordnungsrahmen. Der Anspruch eines inklusiven Wachstums ist daher eng mit der Gestaltung der digitalen Transformation verbunden.

Die deutsche Wirtschaft hat digitalen Nachholbedarf 

In der auf diese thematische Einordnung folgenden Diskussion war man sich einig, dass in Deutschland das Ausmaß der Digitalisierung und der sich daraus ergebenden wirtschaftspolitischen Konsequenzen erst in Ansätzen umrissen werde. Zwar findet dieses intellektuelle Defizit zunehmend Anerkennung in Politik und Wirtschaft, dennoch bleiben nötige Innovationsprozesse oft aus und vor allem die Möglichkeiten neuer digitaler Wertschöpfungsketten werden weiterhin nicht ausreichend ausgeschöpft. Der digitale Nachholbedarf sei jedoch auch den Rahmenbedingungen geschuldet: Es fehle eine zeitgemäße Gesetzgebung und vielerorts die für den digitalen Fortschritt notwendige Infrastruktur. Auch in Sachen Digitalkompetenz gäbe es in der Bevölkerung im Vergleich zu anderen Ländern noch einiges aufzuholen. Alle DiskutantInnen gaben zu bedenken, dass Deutschland ohne tiefgreifende strukturelle Reformen Gefahr liefe, bei diesem wichtigen Wirtschaftstrend international abhängt zu werden. Bundesweiter Strukturausbau, zeitgemäße Regulierungsanpassungen, sowie die frühzeitige Implementierung digitaler Lehrinhalte im Bildungssystem fanden geteiltes Echo.

Die inklusive Digitalisierung als gesamtgesellschaftlicher Prozess 

Um die Digitalisierung mit breiterer Teilhabe in Einklang zu bringen, ist die Feststellung, dass die digitale Transformation zwar rasant voranschreite und daher einen institutionellen Wandel erfordere, aber Fortschritt dennoch immer ein sozial-verhandelbarer Prozess ist, von zentraler Bedeutung. Diesem Gedankengang folgend wurde debattiert, ob es ausreiche den Fokus auf das zukünftige Wachstum und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu richten. Zwar werde der digitale Veränderungsprozess aktuell vor allem von den großen Tech-Konzernen (Alphabet, Facebook, Amazon, etc.) getragen, aber auch andere  Akteure, wie der Staat oder die Zivilgesellschaft sollten hierbei eine wichtige Rolle spielen. Nur so könne die digitale Transformation als gesellschaftlicher Paradigmenwechsel auch aus sozialpolitischer Perspektive erfolgreich sein.

Regulierung oder Wettbewerb? 

Zum Thema Regulierung gingen die Meinungen der DiskutantInnen bisweilen stärker auseinander. Während man sich darauf einigen konnte, dass die derzeitige Rechtslage den Ansprüchen der digitalen Wirtschaft nicht gerecht werde, war man sich uneins darüber, ob Regulierungen dementsprechend eher abgebaut oder angepasst werden sollten. Dabei verlief die Konfliktlinie zwischen größerer wirtschaftlicher Flexibilität durch Regulierungsabbau und neuer Gesetzgebung zur Gestaltung der digitalen Veränderungsprozesse. Aus dem Publikum erfolgte der Einwurf, dass das Nutzerverhalten im Internet nicht mit demokratischer Legitimation gleichzusetzen sei, es brauche also einen demokratisch legitimierten Ordnungsrahmen. Gleichzeitig sei jedoch der digitale Fortschritt so dynamisch, dass neue Gesetzgebung in der Regel mit den immer kürzeren Innovationszyklen der digitalen Wirtschaft nicht mithalten könnten. Aus diesem Dilemma ergebe sich die Problemstellung, wie gute und demokratische Echtzeitregulierung heute ermöglicht werden könne.

Die Rolle von Oligopolen in der digitalen Wirtschaft war ein weiteres kontrovers diskutiertes Thema. Auf der einen Seite wurde argumentiert, dass diese nicht unbedingt einen marktwirtschaftlichen Störfaktor darstellen würden. Im digitalen Zeitalter sei Marktdominanz sehr unbeständig und gleichzeitig oft ein wichtiger Innovationsmotor. Anstelle von Regulierung sei es daher wichtiger, den internationalen Wettbewerb zu stärken und Bedingungen zu schaffen, die es deutschen bzw. europäischen Unternehmen ermöglichen würde wieder konkurrenzfähig zu werden. Auf der anderen Seite wurden die Gatekeeper-Funktion und Intransparenz der oligopolistischen Tech-Giganten problematisiert. Aus dieser Perspektive sei fairer Wettbewerb und Verbraucherschutz unabdinglich auf Regulierung angewiesen.

Die Debatte schloss mit dem Vorschlag, dass sich regulative Anstrengungen nicht auf Behinderungsstrategien im Produktionsprozess, sondern aus einer Teilhabeperspektive auf die sozio-ökonomische Entwicklung digitaler Wertschöpfung konzentrieren sollten.

Autor:innen

Manuel Gath

Projektmanager
Von 2015 bis 2018 Project Manager im Progressiven Zentrum. Hat im Master Politikmanagement an der NRW School of Governance in Duisburg studiert und beschäftigte sich im Rahmen seiner Abschlussarbeit mit der Programmatik in den europäischen Parteienfamilien.
Laura Krause leitete von 2017 bis 2018 im Progressiven Zentrum den Programmbereich Zukunft der Demokratie. Zuvor war sie Senior Associate bei der Strategieberatung Bernstein Public Policy und als Policy Fellow im Progressiven Zentrum assoziiert.

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