„Der Ampel ist die Zukunft abhanden gekommen“

Zusammen mit Ricarda Lang (Grüne), Andreas Jung (CDU) und Matthias Miersch (SPD) haben wir in der Vagantenbühne das neue Buch von Petra Pinzler diskutiert: „Hat das Zukunft oder kann das weg? Der Fortschrittskompass“

Wie blicken wir als Einzelne und als Gesellschaft auf die Zukunft – und was macht das mit uns? Diese Fragen waren für Petra Pinzler der Ausgangspunkt einer Analyse, die sie in ihrem neuen Buch „Hat das Zukunft oder kann das weg?“ entfaltet. Welche Zukunft wir wollen und welche Rolle die politischen Parteien dabei spielen können und müssen, haben wir zusammen mit der Autorin, führenden Politiker:innen und rund 100 Gästen in der Vagantenbühne Berlin diskutiert.

Von Dominic Schwickert, Geschäftsführer des Progressiven Zentrums und Moderator des Abends, nach der Beschreibung der aktuellen Lage gefragt, zeichnet Petra Pinzler ein düsteres Bild: So viel Krise gleichzeitig war noch nie, die Deutschen blicken ängstlich in die Zukunft, alle schimpfen auf die Politik. Die Ampel sei zwar hoffnungsvoll als Tiger gestartet, nunmehr aber zum Bettvorleger geworden. Und ob es bei der Union – die immerhin die kommende Regierung anführen könnte – eigentlich Ideen für eine zukunftsfähige Politik gebe, sei offen. Es müsse also dringend diskutiert werden: Wie kommt der Fortschritt in das Land?

Petra Pinzler zeichnet ein düsteres Bild: So viel Krise gleichzeitig war noch nie, die Deutschen blicken ängstlich in die Zukunft, alle schimpfen auf die Politik.

Die Autorin und ZEIT-Hauptstadtkorrespondentin Pinzler untersucht in ihrem Buch politische Spielräume, diskutiert beispielhaft innovative Fortschrittsideen und will damit einen „Fortschrittskompass“ auf dem Weg in eine gute Zukunft bieten. Rekursionspunkt ihrer Analyse sind dabei stets die planetaren Grenzen, die Klimakrise und die sich daraus ergebenden Notwendigkeiten und Restriktionen für gesellschaftliches und politisches Handeln. Pinzler fasst es zu Beginn des Abends so zusammen: „Wie geht eine fortschrittliche Politik, die die planetaren Grenzen achtet?“

Zukunft geht nur mit einem funktionierenden Staat

In Hinblick auf diese in eine Frage verpackte Grundprämisse gibt es auf der Bühne wenige Differenzen. Alle politischen Vertreter:innen betonen die Ernsthaftigkeit und Unmittelbarkeit der Klimakrise und wollen eine – nach jeweiligem Verständnis – progressive politische Lösung umsetzen. Über die Details wird dann aber leidenschaftlich diskutiert. 

Andreas Jung, Bundestagsabgeordneter und stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU, betont: „Bewahren ist ein wichtiger Bestandteil der CDU – aber Verändern eben auch.“ Zur Politik gehöre, Dinge voranzutreiben, die erstmal eine Mehrheit haben. Die Co-Vorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, nennt als Grundvoraussetzung für Veränderung einen funktionierenden Staat – und räumt ein, dass viele Bürger:innen aktuell nicht den Eindruck eines solchen haben. Eine Erklärung dafür, so Koalitionskollege und stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion Matthias Miersch: „An vielen Stellen reagieren wir nur.“ Voraussetzung für die notwendige Modernisierung sei die Renaissance des handlungsfähigen, sozialen Staates.

Wie der Ampel die Zukunft abhanden kam

Ob das in dieser Koalition noch gelingen kann, ist für Autorin Pinzler fraglich. Ihre Analyse sieht ein Scheitern der Ampel, das in den strukturellen Fehlern am Anfang der Koalition begründet ist: „Die Analyse, woran dieses Land krankt, ist nicht gemeinsam gemacht worden.“ Ricarda Lang mag dieser Problembeschreibung nicht folgen: Ein gemeinsamer Begriff von Zukunft, auf den sich drei verschiedene politische Parteien einigen können, würde gar nicht funktionieren – und einer Demokratie auch nicht guttun. Aber Lang sagt auch: „Der Ampel ist die Zukunft abhandengekommen.“ Die andauernde Krisenzeit habe schmerzhaft aufgedeckt, welche Fragen zu Beginn der Legislatur offen geblieben waren. 

Dazu zählt vor allem die Finanzierung des Haushalts. Für den CDU-Abgeordneten Jung ist die notwendige Bedingung dafür ein Einhalten der Schuldenbremse. Diese verhindere künftige Schuldenberge und sei – dank Sonderfonds für Notlagen und Reaktionen auf die konjunkturelle Lage – zudem flexibel genug. Matthias Miersch widerspricht: Die Weichen für den Klimaschutz müssten jetzt gestellt werden, sonst sei diese Krise nicht zu bewältigen. „Die Schuldenbremse stranguliert unsere Zukunft.“ 

Visionen und politischer Auftrag

Während auf der Bühne parteipolitische Unterschiede deutlich werden, will das Publikum in der abschließenden Fragerunde Grundlegendes wissen. Welche Zukunftsvisionen tragen die Politiker:innen in sich? Das fehle in der Debatte total, so eine Zuhörerin. Ein anderer fragt, wie der vielfach angedeutete soziale Ausgleich konkret gelingen solle und was die Gedanken zum Thema Staatsreform und Digitalisierung seien. Auch die aktuelle Diskussion um Asyl und Grenzschließungen bewegt die Gäste. Viele, große Fragen für einen Abend.

Matthias Miersch wünscht sich direktere Stränge der Bundespolitik zur kommunalen Ebene. Dort fände die Umsetzung vieler Maßnahmen statt. Ricarda Lang warnt mit Blick auf die Asyldebatte davor, dass die Fähigkeit zu differenzieren verloren gehe. Andreas Jung leitet aus seiner Zukunftsvision einen gemeinsamen politischen Handlungsauftrag ab: „Wir haben die Verantwortung, Klimaschutz so umzusetzen, wie es im Klimaschutzgesetz steht.“

Die Zeit ist um an diesem Abend in der Vagantenbühne. So bleibt zur Beantwortung der offenen Fragen nur die Zukunft – und dass die „weg kann“, findet nun wirklich niemand im Saal und auf der Bühne.

„Hat das Zukunft oder kann das weg? Der Fortschrittskompass“ ist im Campus Verlag erschienen.

Fotos: Maria Menzel-Meyer für Das Progressive Zentrum

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