Neues deutsch-britisches Vergleichsprojekt: „Mediating Populism“

Über die Dynamiken von medialer Berichterstattung und Populismus in Großbritannien und Deutschland

Für „Mediating Populism“ wird Das Progressive Zentrum gemeinsam mit dem Think-Tank Demos aus Großbritannien und der Friedrich-Ebert-Stiftung die Rolle traditioneller Medien in der Legitimierung und Diskreditierung populistischer Parteien in Deutschland und Großbritannien erforschen. Außerdem untersucht das Projekt den Einfluss, den organisatorische Entscheidungen der Medienmacher auf das Medienverständnis in der öffentlichen Meinung haben.

Die Erfolge von Rechts- und Linkspopulisten sind untrennbar mit der medialen Berichterstattung über sie und ihre Kernthemen verbunden. Das wissend ist die manipulative Einflussnahme auf die Richtung der öffentlichen Debatte eine sehr beliebte und gefährliche populistische Strategie. Dies sind soweit keine neuen Erkenntnisse, doch erhält diese Problematik durch die – in den letzten Jahren teilweise bis zur Regierungsverantwortung – erstarkenden populistischen Kräfte und eine Medienlandschaft im digitalen Umbruch eine hochaktuelle Relevanz, die neue Fragen auf die Tagesordnung setzt: Wie verändert die Renaissance des Populismus Machtdynamiken zwischen Politik und Medien und welche demokratischen Implikationen leiten sich daraus ab? Welche Rolle spielen Medien bei der Legitimierung und Dekonstruktion populistischer Parteien? Wie begreift die Medienlandschaft ihre Beziehung zur und ihre Verantwortung für Politik im digitalen Zeitalter?

Diese und weitere Fragen versuchen wir in unserem neuen deutsch-britischen Vergleichsprojekt „Mediating Populism“ zu beantworten.

Gemeinsam mit unserem britischen Partner Think-Tank Demos und der Friedrich-Ebert-Stiftung in London haben wir uns das Ziel gesetzt, die Rolle – insbesondere – traditioneller Medien in der Legitimierung und Diskreditierung populistischer Parteien in Deutschland und Großbritannien zu analysieren.

Zwischen UKIP und AfD: Populismus in Großbritannien und Deutschland im Fokus

Dabei ist hier vor allem der vergleichende Blick auf Großbritannien und Deutschland als aussagekräftige Fallbeispiele von populistischen Entwicklungen von Interesse. Denn der Aufstieg der UK Independence Party (UKIP) („Partei für die Unabhängigkeit des Vereinigten Königreichs“) und ihre tragende Rolle in der Herbeiführung des Referendums über die EU-Mitgliedschaft sowie schlussendlich dessen Ausgangs, sind das beste Beispiel für den erfolgreichen Einfluss aufrührerischer, rechtspopulistischer Politik. Mit Mitteln der überzogenen Emotionalisierung, Verkürzung und teilweise auch blanken Lügen wurde eine ganze Nation – wenn nicht ein ganzer Staatenbund – vor gigantische und unabsehbare Herausforderungen gestellt, bevor man danach quasi von der politischen Bildfläche verschwand. Dabei war die mediale Berichterstattung über UKIP und deren Agenda maßgeblich für die Wahlentscheidungen vieler BürgerInnen im Vereinigten Königreich.

In Deutschland werfen die Wahlerfolge der Alternative für Deutschland (AfD) – zuletzt mit über 12% bei der Bundestagswahl im September 2017 – Fragen hinsichtlich der Qualität der medialen Debatte auf. „AfD-Themen“ wie Zuwanderung und Sicherheit wurden im Wahlkampf für viele Beobachter in überproportional hohem Maße durch Medienberichterstattung getrieben, was im Endeffekt die Zustimmung zur AfD gestärkt hat. Der Ruf nach Grenzen für die Wiederaufbereitung diskriminierender Diskurse wurde lauter. Aber hat die AfD „die Medien“ tatsächlich so vor sich her getrieben, wie viele Beobachter behaupten?

Einfluss der digitalen Sphäre

Dabei gelten für beide nationale Situationen ähnliche und übergreifende Rahmenbedingungen: Die steigende Relevanz des Internets als Quelle politischer Information hat zur Folge, dass traditionelle Medien heute in einem viel komplexeren und zugleich umkämpfteren Umfeld agieren müssen. Bürger sehen sich einer sehr heterogenen, schwer überschaubaren und teilweise unglaubwürdigen Quellenlandschaft gegenüber. Patchwork-Realitäten entstehen und sind damit ein Gegenkonstrukt zum Idealbild des kuratierten Informationskanon der traditionellen Medien. Medienorganisationen müssen ihre Aufgabe als Informationsvermittler und Gatekeeper wahren und sich gleichzeitig in ihrer Berichterstattung durch bewusst gezogene Stimmungsgräben manövrieren und vor allem einen Umgang mit den populistischen Strategien finden, die sich der Aufmerksamkeitslogik der Medienberichterstattung bedienen. Wie kann dies erfolgreich im Zeitalter der digitalen Kommunikation geschehen?

Für Journalisten, Redakteure und Medienschaffende ergeben sich daraus grundlegende Fragen in Bezug auf ihre politische Berichterstattung

• Wie viel Raum darf bzw. muss man Populisten geben?
• Wie umgehen mit deren bewussten Provokationen, die zwar Teil einer Kommunikationsstrategie sind, jedoch ohne Zweifel auch Nachrichtenwert haben?
• Wann werden populistische Parteien durch regelmäßige Medienpräsenz etabliert? Und verlieren sie so vielleicht auch ihre Anti-Establishment-Glaubwürdigkeit?

Projektverlauf

Zusammen mit Journalisten, Redakteuren und Medienproduzenten werden wir daher im November 2017 sowohl in London als auch in Berlin in geschlossenen Workshops diese Fragestellungen diskutieren und reflektieren. Darüber hinaus werden Experteninterviews und Hintergrundrecherchen in Großbritannien und Deutschland durchgeführt. Bis zum Frühjahr 2018 werden dies Ergebnisse dieser Arbeitsschritte dann kondensiert und abschließend in einer gemeinsamen Publikation veröffentlicht, die schwerpunktmäßig folgende Aspekte beleuchten soll:

• Entwicklung journalistischer Werte, Normen und Praktiken
• Veränderungen in den Beziehungen zwischen Medien und Politik, Medienmacht und Agenda-Setting
• Grundsätzliches Vertrauen in „die Medien“ (Ablehnung von Experten-Meinungen, Fake News und Falschmeldungen)
• Wesensmerkmale gegenwärtiger populistischer Parteien, Kampagnen und Kandidaten (Anspruch auf Kommunikation des „Volkswillens“, Abgrenzung zu etablierten Parteien und Politiker, Nutzung der sozialen Medien)
• Einschlägige Beispiele für populistische Legitimation und Diskreditierung in den Medien

Populismus-Forschung im Progressiven Zentrum

Dabei reiht sich „Mediating Populism“ als weiterer Baustein in die Populismus-Forschung des Progressiven Zentrums ein. So haben wir in der Veranstaltungsreiche Countering Populism and Political Disaffection (ebenfalls unter Beteiligung von Demos) Expertise internationaler Fachleuten eingeholt und zu Strategieempfehlungen verarbeitet. In einem vergleichenden Policy Brief mit unseren Partnern von Terra Nova (Paris) und Volta (Mailand) haben wir den Status populistischer Parteien in Frankreich, Deutschland und Italien analysiert. Unser „Dialogue on Europe“ Thinking Lab zu Populismus führt hierzu gleich sechs nationale Perspektiven aus Griechenland, Italien, Spanien, Portugal, Frankreich und Deutschland zusammen. Den Fokus auf die Situation in Deutschland haben wir vor allem im Factchecking-Projekt „TruLies“ sowie mit unserem Policy Brief zum Umgang mit Populisten im Deutschen Bundestag (u.a. in der Zeit, der Berliner Zeitung und der Frankfurter Rundschau diskutiert) gesetzt.

Autor:innen

Philipp Sälhoff war von Januar 2013 bis März 2018 für das Progressive Zentrum tätig, zuerst als Co-Leiter der #bewegungjetzt-Kampagne zur Bundestagswahl 2013, später als Leiter der Mobilisierungskampagne iChange Europe zur Europawahl 2014.

Dr. Maria Skóra

Policy Fellow
Maria Skóra ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Europäische Politik und Policy Fellow beim Progressiven Zentrum. Zuvor war sie Leiterin des Programmbereichs Internationaler Dialog des Progressiven Zentrums.

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