Unter dem Motto „Ja zu Veränderung – Ja zu Europa“ diskutierten Politiker der Grünen und Europa-ExpertInnen über die EU von morgen
Am Freitag, den 4. März, haben in der Grünen Zukunftswerkstatt Europa im Bundestag Grüne Bundestags- und Europaabgeordnete mit internationale AkteurInnen der Zivilgesellschaft und Gästen aus bis zu 14 Ländern darüber diskutiert, wie es derzeit um die EU steht und welche Veränderungen nötig sind, um sie zukunftsfähig zu machen.
Mit ca. 750 TeilnehmerInnen wurden die Erwartungen der Veranstalter weit übertroffen. Sie werteten die große Nachfrage als „Bedürfnis nach Austausch und Diskussion“ über Europa. Die Begrüßungsworte der Grünen Abgeordneten Anton Hofreiter und Sven Giegold und vor allem die Rede des österreichischen Bundespräsidentschaftskandidaten Alexander van der Bellen sorgten für vielseitige Denkanstöße, die in den folgenden acht thematischen Workshops und der abschließenden Podiumsdiskussion ausführlich diskutiert wurden.
In einem waren sich alle KonferenzteilnehmerInnen einig: Die Probleme sind zu groß, als dass Deutschland oder irgendein anderer europäischer Staat sie alleine lösen könnte – wir brauchen Europa. Ausgehend von diesem „Ja“ zu Europa, ging es am Freitag nicht darum die Vorteile der EU zu rühmen. Stattdessen lag der Fokus auf einer konstruktiven Fehleranalyse. Der Europaabgeordnete Sven Giegold beklagte den fehlenden Mut der Mitgliedsstaaten, europäisch zu handeln. Dies habe die EU in einen Krisenmodus versetzt und zum Wanken gebracht. Auch sein Parteikollege Reinhard Bütikofer betonte, dass die EU als Schönwetterkonstruktion der sich ändernden Wetterlage nicht standhalten könne.
„Wie immer, ist auch bei der EU ist die Diagnose leichter als die Therapie“, so der Österreicher van der Bellen. Dementsprechend machte die Fehlerdiagnose einen großen Teil der Vorträge und Workshops aus. Die Fehler der EU als demokratischen Systems, als Institution, aber auch die eigenen Versäumnisse der Grünen und der pro-Europäer wurden viel diskutiert.
Die EU darf keine Resterampe werden
Die Vision eines gemeinsamen, starken Europas müsse lauter und deutlicher erzählt werden, so Anton Hofreiter. Die Vorteile müssten gut erklärt werden, um der emotionalen antieuropäischen Erzählweise erfolgreich entgegenzutreten. Guntram Wolff, Leiter des Brüsseler Think Tanks Bruegel, problematisierte die wachsende soziale Ungleichheit, die zu grundsätzlicher Unzufriedenheit der BürgerInnen und einem Erstarken des Rechtspopulismus in Europa führe.
Der Krisenmodus der EU sei kein neues Phänomen. Allerdings sei die Flüchtlingskrise von den europäischen Krisen (Verfassungskrise, Eurokrise, Griechenlandkrise, etc.) die erste, die vor der eigenen Haustür stattfänden.
Laut Ska Keller, Vizepräsidentin der europäischen Grünen-Fraktion, wird mit der Flüchtlingskrise zum ersten Mal die Solidarität zwischen den Mitgliedern der EU auf einem so hohen Niveau auf die Probe gestellt. Diese „Solidaritätskrise“ habe zwar schon mit Griechenland begonnen, sei für uns aber erst jetzt richtig sichtbar.
Die EU darf nicht das Problem sein, sie muss wieder zur Lösung werde, lautet der Grundtenor der Lösungs- und Veränderungsvorschläge. Dafür müsse die EU liefern: Frei nach Scharpfs Prinzip der Output-Legitimität solle die EU durch Ergebnisse ihre Handlungsfähigkeit beweisen. Henrik Enderlein, Mitglied unseres wissenschaftlichen Beirats, stellte klar: „Die EU darf keine Resterampe für ungelöste Probleme der Mitgliedsstaaten werden“ Die 28 Staaten sollten die Themen gemeinsam angehen, in denen Entscheidungen auf EU-Ebene sinnvoll und realisierbar seien. Gleichzeitig wurde im Abschlusspanel festgestellt, dass die EU nicht nur als ökonomische Kosten-Nutzen-Rechnung verstanden werden dürfe. Denn wie Jacques Delors, Namensgeber von Enderleins Institut, später zitiert wurde: „In einen Binnenmarkt kann man sich nicht verlieben“.
Neben der inhaltlichen Ausrichtung der EU sind auch die Erzählweise und Demokratisierungsversuche der EU ein wichtiger Baustein für konstruktive Veränderungen und erfahrbare europäische Erfolge. Das Zusammenwachsen der EuropäerInnen und die Errungenschaften der EU wurden an diesem Tag häufig gelobt. Es sei aber genauso wichtig, die Menschen anzusprechen, die bislang nichts davon mitbekommen haben. Bas Eickhout, Grüner Europaabgeordneter aus den Niederlanden, betonte, dass vor allem die, die kein Auslandssemester machen, sondern zu Hause bleiben, dass diejenigen, die ihre Heimat als einzigen sicheren Ort verstehen, von den Vorteilen der EU überzeugt werden müssten. Dabei dürften die pro-europäischen Parteien und Politiker aber nicht in eine Verteidigungshaltung geraten. Die Kritik an der EU dürfe nicht den PopulistInnen überlassen werden; es müsse deutlich gemacht werden, dass die EU kein Ideal sei. Sonst verliere man diese BürgerInnen und liefe Gefahr, dass die EU zu einem Elitenprojekt verkomme.