Die Union bleibt die Brandmauer

Die österreichische ÖVP hatte eine Koalition mit der rechtspopulistischen FPÖ mehrfach ausgeschlossen. Nun steht sie kurz vor dem Abschluss. Was wir daraus für die deutsche Debatte über die Brandmauer – schmerzhaft – lernen müssen.

Ich war im Januar drei Wochen in Wien. Ich kam dort an, als die Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos für gescheitert erklärt wurden. Zwei Tage später beauftragte Präsident Van der Bellen Herbert Kickl von der FPÖ mit der Bildung einer Regierung. In den Monaten zuvor hatte die ÖVP eine Koalition mit der rechtspopulistischen FPÖ wiederholt ausgeschlossen. Nun steht sie kurz vor dem Abschluss.

Man kann in Österreich beobachten, dass selbst, wenn alle demokratischen Parteien bemüht sind, eine Koalition mit einer rechtsextremen Partei zu vermeiden, dies nicht garantiert ist. Dazu haben drei Faktoren beigetragen: Erstens ziehen Parteien rote Linien in Koalitionsverhandlungen, die sie nicht überschreiten wollen. In Österreich waren es Steuer- und Rentenreformen, um das Haushaltsdefizit zu schließen. Gleichwohl bestreitet die SPÖ, dass dies wirklich ihre rote Linie war. Wenn alle auf ihren roten Linien bestehen und es keine gemeinsame Schnittmenge gibt, findet man nicht zusammen.

Industrielle würden FPÖ-ÖVP-Regierung bevorzugen

Der zweite Faktor ist, dass im Hintergrund Teile der Parteien grundsätzlich gegen eine Koalition der demokratischen Parteien sind und sich Vorteile von einer FPÖ-ÖVP-Regierung versprechen. Hier gibt es Hinweise, dass insbesondere die Industriellenvereinigung in Österreich eine Regierung aus FPÖ und ÖVP bevorzugen würde, da sie bei einer Regierungsbeteiligung der SPÖ Diskussionen über eine Vermögensbesteuerung befürchtet. Auch gibt es in der ÖVP noch immer frühere Regierungsmitglieder, gegen die Strafverfahren aus der Regierung Kurz anhängig sind, die man mit einer FPÖ-ÖVP-Regierung leichter einstellen könnte. Auch sie erwarten sich Vorteile.   

Drittens ist die ÖVP überzeugt, dass sie die extremen Ansichten der FPÖ einhegen kann. Die FPÖ hat eine sehr kritische Position zur EU und eine radikale Migrationspolitik im Programm. Beides würde die österreichische Wirtschaft hart treffen. Die Industriellenvereinigung geht jedoch davon aus, dass sich die FPÖ nicht durchsetzen wird, die Drohung mit ihren Positionen auf europäischer Ebene aber durchaus  zu besseren Ergebnissen führen kann. 

So wird der Weg zu einer Regierung unter einem rechtsradikalen FPÖ-Kanzler Kickl geebnet, von dem der heutige ÖVP-Vorsitzende Stocker noch vor einigen Monaten behauptete, dass man ihn im österreichischen Parlament nicht braucht.

Eine Lehre wider jede politische Intuition

Nun gab es Koalitionen zwischen ÖVP und FPÖ und selbst zwischen SPÖ und FPÖ schon früher. Von daher ist die Situation in Österreich nicht auf Deutschland übertragbar. Gleichwohl kann man etwas für die deutsche Debatte über die Brandmauer lernen. Zunächst einmal können sich die Positionen von Parteien schnell ändern. Ein kategorisches Nein kann sich schnell in ein Ja verwandeln, wenn sich die Situation ändert. 

Es zeigt sich auch, dass die Position der Wirtschaft wichtig ist. Die deutschen Wirtschaftsverbände haben sich sehr klar gegen die AfD positioniert. Ein langsames Durchsickern von AfD-freundlichen Unternehmen würde die Haltung der CDU aufweichen.

Progressive Kräfte haben die schwierigste Lehre aus Österreich zu ziehen. Nach der gemeinsamen Abstimmung von Union und AfD im Bundestag gilt für sie entgegen jeder politischen Intuition und entgegen jeder noch so nachvollziehbaren Empörung: Je härter sie jetzt gegen die Union polemisieren, desto wackeliger wird die Brandmauer in der Zukunft.

Denn es ist die Union, die schon ob ihrer Positionierung im Parteiensystem die wichtigste Rolle in der Ausgrenzung der AfD spielt. Sie muss der Versuchung widerstehen, mit der AfD Mehrheiten zu bilden, auch wenn sie in der Sache in einigen Fällen zu ähnlichen Positionen kommt.

Umgang mit der Union – Balanceakt, aber kein Widerspruch

Die Progressiven ihrerseits müssen nun der Versuchung widerstehen, die Union zu verteufeln und sie mit der AfD gleichzusetzen. Denn es ist unerlässlich, dass die Parteien der Mitte gesprächs- und kompromissfähig bleiben. Progressive gefährden das, wenn sie sich pauschal „gegen Rechts” wenden oder der Union unterstellen, sie würde beispielsweise ihre migrationspolitischen Positionen nicht aus sich selbst heraus, sondern aus Opportunismus oder gar aus Angst vor der AfD bilden. 

Gleichzeitig bleibt die Einbringung des Fünf-Punkte-Plans durch die CDU ein Tabubruch, der ohne Not und ohne Gewinn begangen wurde. Ein anderer Weg wäre möglich und für unsere Demokratie ertragreicher gewesen. Das kann man nicht häufig genug sagen.

Die demokratischen Kräfte können nur zusammen etwas gegen Rechtsaußen ausrichten – und das schließt die Union mit ein. Neben der Kritik am Prozess ist es ebenso wichtig, sich auf die gemeinsamen Ziele zu besinnen. Das ist ein Balanceakt, aber kein Widerspruch – und diesen müssen die progressiven Parteien auch im Wahlkampfmodus schaffen. Es geht um nicht weniger als unsere Demokratie.

Autorin

Anke Hassel

Prof. Dr. Anke Hassel

Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats
Anke Hassel ist Professorin für Public Policy an der Hertie School und Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats des Progressiven Zentrums. Anke Hassel studierte Politik- und Wirtschaftswissenschaften sowie Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und an der London School of Economics and Political Science. Ihre Forschungsschwerpunkte sind vergleichende Wirtschafts- und Sozialpolitik, Arbeitsmarktregulierung und die Analyse politischer Prozesse.

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