Nach der US-Wahl: Es braucht ein politisches Angebot für die Zeitenwende

Spätestens nach der Wahl in den USA Anfang November ist klar: Deutschland muss wirtschafts- und sicherheitspolitisch aufwachen und seinen Platz im Gefüge der Großmächte finden – auch im gesamteuropäischen Interesse.

Nein, diese US-Wahl war kein Unfall. Sie wurde entschieden auf der Grundlage klarer Präferenzen in der amerikanischen Gesellschaft. Die Unzufriedenheit, den Frust, die Wut in der Wählerschaft wusste Trump exzellent für sich zu nutzen. Er hat den US-Bürger:innen ein politisches Angebot gemacht. Eine Mehrheit der Wähler:innen nahm ihm ab, dass Importzölle den eigenen Arbeitsplatz sichern und den finanziellen Spielraum verbessern oder dass die Deportation von Migrantinnen und Migranten das eigene Leben sicherer machen würde. Von “Make America Great Again” bis hin zu „She broke it, I’ll fix it” haben Trumps Slogans direkt an ein tiefes Gefühl von Verunsicherung appelliert. Das politische Angebot von Kamala Harris dagegen hat das Lebensgefühl der Menschen nicht erreicht.

Tiefe Verunsicherung und Frust dominieren auch die Stimmung in der deutschen Bevölkerung. Mit dem Ende der Ampel-Koalition und dem beginnenden Wahlkampf müssen die demokratischen Parteien tragfähige politische Antworten auf die wirtschaftlichen Sorgen, den schwindenden sozialen Zusammenhalt und die Innovations- und Investitionsmüdigkeit im Land formulieren. Und sie dürfen gleichzeitig die Rolle Deutschlands in Europa und der Welt nicht aus den Augen verlieren, um Wohlstand und Frieden zu sichern.

Deutsche Exportchancen ausbauen – und in den Mittelstand von Morgen investieren

Wirtschaftspolitisch muss Deutschland aufwachen und seinen Platz zwischen den Großmächten finden. Es geht um eine Wirtschaftspolitik im Interesse der Menschen, des sozialen Friedens, einer resilienten Demokratie. Deutschland muss in die öffentliche Infrastruktur investieren, die über die Lebensqualität im Land und letztlich auch den Standort Deutschland entscheidet. Von Kita und Schule, über die Bahn, Brücken, Straßen bis zu einer leistungsfähigen öffentlichen Verwaltung: Hier entscheidet sich, ob das Gros der Bevölkerung demokratischen Institutionen vertraut oder nicht. Letztlich ist die Ampel daher auch an der Schuldenbremse zerbrochen. 

Die Wirtschaftspolitik muss jetzt dort stärken, wo wir in Deutschland und Europa noch einen Vorsprung haben, also v. a. im produzierenden und verarbeitenden Gewerbe, gepaart mit Spitzentechnologie. Hier werden auch weiterhin Exportchancen bestehen, die es auszubauen gilt. Es geht darüber hinaus um massive Investitionen in Bildung und Forschung und die Bereitstellung von Risikokapital für vielversprechende Start-ups und Wachstumsunternehmen, den Mittelstand von Morgen – idealerweise über eine europäische Kapitalmarktunion, deren Finanzvolumen sehr viel größere Summen stemmen können wird. Innovation und Wettbewerbsfähigkeit sind dabei überlebenswichtig für Deutschland und Europa. Ein europäischer Clean Industrial Deal, der gleichzeitig das Ziel der Klimaneutralität sichert, und die Umsetzung der Empfehlungen des Draghi-Reports für massive öffentliche Investitionen sind die wichtigsten Voraussetzungen dafür, dass Europa nicht zwischen den USA und China zerrieben wird.

Standort- und Preisvorteile durch voll integrierten europäischen Energiemarkt

Zentral für die Wettbewerbsfähigkeit ist auch eine sichere und vor allem bezahlbare Energieversorgung, wie der Draghi-Report eindringlich aufzeigt. Die langfristig günstigste und auch sicherste Energie kommt aus erneuerbaren Quellen wie Wind und Solar, wobei die Investitionen in die relevante Infrastruktur zunächst beträchtlich sind. Die beste Möglichkeit, mittelfristig den Kostendruck aus dem Markt zu nehmen, ist daher ein voll integrierter europäischer Energiemarkt, der es ermöglicht, von grenzübergreifendem Handel und entsprechenden Standort- (für Sonne und Wind) und Preisvorteilen zu profitieren. 

Der Import von Flüssiggas, das enormen Preisschwankungen ausgesetzt ist und die Importabhängigkeit verstetigt, sichert hingegen langfristig keine souveräne, preisgünstige und klimaneutrale Energieversorgung. Der weltweite Trend zur Elektrifizierung über alle Sektoren durch erneuerbare Energien ist dem jüngsten World Energy Outlook 2024 der International Energy Agency (IEA) zufolge nicht mehr zu stoppen. Hier darf Europa nicht zurückfallen. In Deutschland ist mit dem jüngsten massiven Ausbau der erneuerbaren Energien deren Anteil am Strommix von 43,8 Prozent in 2021 auf heute mehr als 60 Prozent gestiegen. Jetzt gilt es, das Momentum aufrechtzuerhalten.

Die Energiewende muss allerdings außenpolitisch in enger Abstimmung mit den europäischen Partnern geschehen, um tragfähige, langfristige Partnerschaften mit den Exportnationen der benötigten kritischen Rohstoffe zu etablieren. Europa muss den jeweiligen Regierungen ein besseres Angebot machen als v. a. China, das sich Rohstoffzugänge in strategischer Voraussicht vollumfänglich gesichert hat. Geopolitik und Geoökonomie gehören in der energiepolitischen Zeitenwende zum Aufgabenspektrum der EU.

Diplomatie und Entwicklungspolitik als fester Bestandteil von Geopolitik

Auch sicherheitspolitisch ist die Lage offensichtlich: Über das Burden-Sharing in der NATO und den europäischen Pfeiler des Bündnisses wird seit den 1960er Jahren intensiv diskutiert. Allerdings haben die Amerikaner ihren Einfluss auf Europa lange höher bewertetet als ihre finanzielle Belastung. Das ist heute anders. Die Zeitenwende muss daher konsequent nicht nur weitergedacht, sondern auch entsprechend finanziert werden.

Aber die Bedrohungen unserer Zeit sind nicht allein mit militärischen Mitteln zu bewältigen: Der beschleunigte Klimawandel bringt bereits heute enorme Verwerfungen mit sich, unterminiert u. a. die Ernährungssicherheit, befördert Migrationsströme und stellt eine physische Bedrohung für kritische Infrastruktur und Lieferketten dar. Klimapolitik und Sicherheitspolitik lassen sich nicht gegeneinander ausspielen. Diplomatie und Entwicklungspolitik sind fester Bestandteil von Geopolitik. Auch hier muss die neue Bundesregierung dem kooperationsfeindlichen Kurs der USA etwas entgegensetzen: die Sicherung des Einflusses starker europäischer Partner mit einem klaren Kompass für die Gestaltung der neuen Weltordnung.

Nur so stark wie der Glaube an ein besseres, wirtschaftlich erfolgreicheres und sozial sichereres Morgen

Der kommende Bundestagswahlkampf ist eine Chance, die Wähler:innen über die Gestaltung einer sicheren und demokratischen Zukunft abstimmen zu lassen. Sie erwarten ein politisches Angebot, in dessen Mittelpunkt ihre Sorgen, Nöte, Ängste stehen. Die populistischen Parteien holen die Wählerschaft genau hier ab, ihr Angebot ist auf die bestehende Nachfrage gemünzt – auch das ist Marktwirtschaft. Sie zerstören dabei aber weiter das Vertrauen in demokratische, öffentliche Institutionen. Deutschland und seine Wirtschaft sind nur so stark wie der Glaube an ein besseres, wirtschaftlich erfolgreicheres und sozial sichereres Morgen – auch an ihm entscheidet sich der Platz Deutschlands in Europa und der Welt. 

Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es mehr als die Deutschland AG der großen Konzerne, die in den vergangenen Jahrzehnten zwar für Wirtschaftswachstum gesorgt, mit ihrer Transformationsscheu aber massiv zur Krise beigetragen haben. Es braucht eine AG Deutschland, die der neugewählten Bundesregierung zur Seite steht. Dazu gehören zivilgesellschaftliche Organisationen genauso wie Gewerkschaften und innovative Start-ups. Ein konstruktives Mindset kann dabei helfen, das Land wieder zusammenzuführen, den Menschen wieder Mut zu machen, die Innovationskraft zu fördern und so auch der Wirtschaft wieder Auftrieb zu geben. Das wäre eine adäquate Antwort auf den Frust im Land.

Autorin

Dr. Sabrina Schulz

Policy Fellow
Sabrina Schulz arbeitet als Associate Fellow bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik sowie als Beraterin, Analystin und Moderatorin. Zuvor war sie Vorständin einer Holding für Start-ups im Bereich ClimateTech, arbeitete als Direktorin des Sustainable Development Solutions Network (SDSN) Germany, leitete das Berliner Büro der KfW Förder- und Entwicklungsbank und war Gründungsdirektorin des Berliner Büros von E3G – Third Generation Environmentalism. Ihre Laufbahn im Klimabereich begann sie als Klimadiplomatin im britischen Außenministerium.
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