Status quo – im Namen der Zukunft! Generationengerechtigkeit zwischen Klimaschutz und Schuldenbremse

Gerechtigkeit hat viele Facetten. Deshalb wird sie nur dort erreicht, wo die Politik Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Politikfeldern berücksichtigt. Exemplarisch zeigt sich dies in der gegenwärtigen Debatte um die Finanzierung unserer Klimapolitik: Wer die nächsten Generationen vor hohen Schulden retten will, läuft schnell Gefahr, ihnen dabei schwere Klimahypotheken aufzubürden.

Die Schuldenbremse ist ein alter Hut. Thomas Jefferson, maßgeblicher Verfasser der US-Unabhängigkeitserklärung und dritter Präsident der Vereinigten Staaten, erlebte die Französische Revolution als Botschafter seines Landes in Paris. Die Bastille war gestürmt, die Rechte des Menschen und Bürgers waren knapp zwei Wochen zuvor erklärt worden, als Jefferson am 06. September 1789 einen Brief an James Madison verfasste. In diesem Schreiben präsentierte er einige revolutionäre Ideen zur Erb- und Finanzpolitik und bat Madison um kritische Prüfung.

Schulden bremsen zum Schutze der Zukunft?

Jeffersons Grundprinzip ist denkbar einfach: Die Erde mit allem, was sie birgt, ist den jeweils Lebenden zum Gebrauch überlassen. Was kann daraus folgen? Jefferson gibt ein Beispiel. Ein Bauer kann sich verschulden und dabei seinen Acker und dessen Erträge als Sicherheit anbieten. Wer das zu Ende denkt, stößt schon bald auf ein Problem: Dem Bauern ist es möglich, einen sehr langfristigen Kredit aufzunehmen und den Acker über seine Lebenszeit hinaus zu belasten. Die Raten abstottern müssen dann seine Kinder, die mit dem Erbe auch die Schulden übernommen haben. Der Bauer kann damit schon heute das von den Kindern erst in Jahrzehnten geerntete Getreide mit Gewinn für sich nutzen.

Durch derartige Überlegungen wird Jefferson zum Schuldenbremser, wobei er die notorisch klamme und strukturell überschuldete französische Erbmonarchie des 18. Jahrhundert als abschreckendes Beispiel vor Augen hat. Generationengerechtigkeit, so Jefferson, verlangt eine strikte Begrenzung des Rechts zum Schuldenmachen. Eine Person darf nur so viele Schulden aufnehmen, wie sie zu ihren Lebzeiten auch selbst zurückbezahlen kann. Und was für die Einzelnen gilt, gilt auch für ganze Gesellschaften. Eine jede Generation darf sich selbst nur die Schulden bewilligen, die sie aus eigener Kraft wieder abtragen kann. Ansonsten droht, was Jeffersons Zeitgenosse Thomas Paine in seinem Bestseller The Rights of Man als „Regieren aus dem Grab heraus“ bezeichnet hatte.

Gesellschaftliche Großprojekte und die Zusammenarbeit der Generationen

Jeffersons Überlegungen führen vor Augen, dass der Finanz- und Verschuldungspolitik in der Verwirklichung von Generationengerechtigkeit eine wichtige Rolle zukommt. Zu groß sind die Gefahren, unliebsame Kosten auf Zukünftige abzuwälzen und so politischen Konflikten in der Gegenwart aus dem Weg zu gehen. Das letzte Wort zum Thema Schulden ist damit allerdings noch nicht gesprochen. Schon der Adressat des Briefes, James Madison, der Jefferson als vierter US-Präsident 1809 im Amt nachfolgen sollte, zeigte sich in seinem Antwortbrief vom 04.02.1790 unzufrieden. Madison weist auf das Problem generationenübergreifender Großprojekte hin, sein Beispiel ist der institutionelle Aufbau der frisch gegründeten USA. Staatsgründungen sind extrem kostspielig. Wenn sie gelingen, profitieren die Lebenden wie die Zukünftigen. Also ist es nur fair, wenn durch langfristige Kredite auch die Zukünftigen an den Kosten beteiligt werden. Madison präzisiert diesen Grundsatz noch im selben Brief. Gesellschaftliche Großprojekte liefern keinen Freibrief für neue Schulden. Gerecht geht es vielmehr dann zu, wenn sich jede Generation beteiligt, wenn die von den Lebenden hinterlassenen Schulden im rechten Verhältnis zu den von ihnen erarbeiteten Fortschritten stehen.

Generationengerechtigkeit, das erkennt Madison, ist eine Querschnittsaufgabe. Eine strikte Austeritätspolitik im Namen der Zukunft kann nicht im Interesse dieser Zukunft sein, wenn sie dadurch um wichtige Chancen und Strukturen gebracht wird. Mit ihrem Austausch über das Verhältnis von Schuldenpolitik zu Großprojekten der Gesellschaftsgestaltung liefern Jefferson und Madison eine vielversprechende Blaupause für die Analyse der aktuellen Debatten um die Finanzierung des Klimaschutzes. Dabei zeigt sich rasch, dass viele politische Vorschläge und Strategien die im Briefwechsel entwickelten Grundideen zur Generationengerechtigkeit verfehlen, wenn auch auf unterschiedlichen Wegen.

Eine Auswahl falscher Wege

Madisons Kriterium zur prinzipiellen Rechtfertigbarkeit von Schulden ist im Fall des Klimaschutzes erfüllt. Die Transformation hin zur klimaneutralen Gesellschaft ist mit enormen Kosten verbunden. Von gelingendem Klimaschutz profitieren alle, die Lebenden wie die künftigen Generationen. Von daher ist es nur fair, wenn künftige Generationen in Form von längerfristig aufgenommenen Schulden an den Kosten der Transformation beteiligt werden.

Wer die Aufnahme von Schulden zur Finanzierung klimapolitischer Maßnahmen kategorisch ablehnt, begeht den Fehler, den Madison in Jeffersons Argumentation entdeckt hat. Das Beispiel des Ackers verdeutlicht dies. Die Kinder haben wenig von ihrem schuldenfrei ererbten Acker, wenn auf diesem Acker aufgrund des Klimawandels die Früchte regelmäßig in der Hitze vertrocknen oder in den Fluten des Hochwassers ertrinken. Wenn das Geld aus Krediten für den Klimaschutz genutzt und dadurch die Ertragssicherheit des Ackers gestärkt wird, werden die Kinder sicher bereit sein, ihren Beitrag zum Schuldendienst zu leisten. Dafür müssen sie weder sonderlich moralisch oder gar selbstlos eingestellt sein. Sie müssen nur ökonomisch klar denken und etwas rechnen können.

Wer den Verweis auf die Größe der Herausforderung jedoch dafür nutzt, Klimapolitik weitgehend über Schulden zu finanzieren, verfehlt Grundideen der Generationengerechtigkeit auf anderem Wege. Denn da war ja noch Madisons Warnung: Die Schulden, die von einer Generation zur Finanzierung gesellschaftlicher Großprojekte aufgenommen werden, müssen im rechten Verhältnis zu den von dieser Generation selbst erarbeiteten Fortschritten stehen. Eine Generation, die zwar die gesellschaftliche Transformation hin zur klimaneutralen Gesellschaft in Angriff nimmt, sich an deren Finanzierung aber nicht oder kaum beteiligt, bleibt hinter dem zurück, was fairerweise von ihr verlangt werden kann.

Das Problem verschärft sich weiter, wenn Generationengerechtigkeit als Querschnittsaufgabe ernst genommen und weitere Politikfelder mitbetrachtet werden. Zu denken ist etwa an die Weiterentwicklung der gesetzlichen Rente. In seinem letzten Jahresgutachten hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung („Wirtschaftsweise“) dieses Thema in den Mittelpunkt gerückt und eindringlich vor den Finanzierungsproblemen gewarnt, die sich ohne eine umfassende Rentenreform sehr bald massiv verschärfen werden. Die Vorsitzende des Rats, Monika Schnitzer, veranschaulichte im Interview das Problem: „Bliebe alles, wie es ist, würde der Beitragssatz schnell steigen und der Bundeszuschuss, der schon jetzt ein Viertel des Haushalts ausmacht, läge in 20 Jahren bei der Hälfte des Haushalts.“

Generationengerechtigkeit als Querschnittsaufgabe

Der im Interesse von Generationengerechtigkeit notwendige Konnex zwischen den Themen soziale Sicherung, Klima und Staatsfinanzen wird praktisch nirgendwo hergestellt: Die eine Seite schweigt sich darüber aus, wie Klimapolitik zu finanzieren ist, wenn auf Schulden und Steuererhöhungen verzichtet werden soll und zugleich durch den demographischen Wandel die rentenpolitische Belastung der öffentlichen Haushalte deutlich ansteigt. Die andere Seite geht der notwendigen, natürlich unbequemen Frage nach der fairen Beteiligung der Gegenwart an den großen Herausforderungen unserer Zeit aus dem Weg, indem den steigenden Kosten für Renten und Pensionen passiv zugesehen und zugleich zur Finanzierung von Klimapolitik vor allem auf neue Schulden gesetzt wird. So drehen sich viele Diskussionen vorrangig um die Frage, auf welche Art und Weise zukünftige Generationen ungerecht behandelt werden sollen, durch die Vererbung einer schwarzen Null bei gleichzeitig unterlassener Klimapolitik oder durch die weitgehende Verschiebung von Klimaschutzkosten in die Zukunft.

Solange der Streit zwischen beiden Seiten schwelt, geht es in Sachen Klimaschutz kaum voran. Keine Lösung aber ist auch keine Lösung, wie nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht klargestellt hat. Schließlich sollte in der Diskussion um die Konsequenzen des Verdikts in Sachen Schuldenbremse nicht der Klimabeschluss der Karlsruher Richterinnen und Richter vom Frühjahr 2021 aus den Augen verloren werden. Dort heißt es: „Das Grundgesetz verpflichtet […] zur Sicherung grundrechtsgeschützter Freiheit über die Zeit und zur verhältnismäßigen Verteilung von Freiheitschancen über die Generationen.“ (Rn 183) Die in den Ausführungen des Gerichts enthaltene Idee der „intertemporalen Freiheitssicherung“ hat, wie anschließende rechtswissenschaftliche Überlegungen zeigen, wiederum Folgen für die Ausgestaltung künftiger, verfassungskonformer Verschuldungs- und Rentenpolitik. Auch das Bundesverfassungsgericht geht also davon aus, dass im Interesse von Generationengerechtigkeit verschiedene Politikfelder zusammengedacht werden müssen.

Vom Gelingen fairer Klimapolitik

Allzu viele politische Kräfte versuchen vor allem den Status quo zu erhalten. Klimapolitik verlangt jedoch rasches und entschlossenes Handeln – im Interesse aller Generationen. Fair geht es dabei dann zu, wenn sich jede Generation an den Kosten von Klimaschutzmaßnahmen beteiligt, was in der politischen Praxis nur auf eine Mischung verschiedener Finanzierungsinstrumente hinauslaufen kann. Kommende Generationen leisten ihren Beitrag, indem sie später einmal heute für das Klima aufgenommene Kredite bedienen. Dafür könnte die Schuldenbremse gelockert werden, sofern sich die Gegenwart angemessen an den Kosten der Transformation beteiligt. Regeln für Investitionen, wie sie etwa der Wissenschaftliche Beirat beim Wirtschaftsministerium in seinen Vorschlägen zur Reform der Schuldenbremse skizziert hat, können dabei helfen. Die Gegenwart hat die freie (partei-)politische Wahl, wie sie sich beteiligen möchte, ob über Steuererhöhungen, Kürzungen in anderen Bereichen oder über den Subventionsabbau. Ein Mix unterschiedlicher Finanzierungsstrategien kann dem gesellschaftlichen Frieden dienen, da so einseitige Belastungen – finanziell wie mit Blick auf politische Grundüberzeugungen – vermieden werden. Da beim Klima alle in einem Boot sitzen, müssen alle ihren Beitrag zur Erhaltung des Bootes leisten, ob sie schon im Boot sind oder erst demnächst zusteigen. Und zuvorderst: Sie müssen alle gemeinsam dafür sorgen, dass das Boot nicht kentert.

Autor

Johannes Müller-Salo

Philosoph und Autor, Leibniz Universität Hannover
Johannes Müller-Salo ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Universität Hannover. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen politische Philosophie (insbes. Demokratietheorie und Theorie politischer Legitimität) und angewandte Ethik (inbes. Klima- und Umweltethik, Zukunftsethik und Generationengerechtigkeit).

Weitere Beiträge aus dem Online-Magazin

Status quo – im Namen der Zukunft! Generationengerechtigkeit zwischen Klimaschutz und Schuldenbremse

Veröffentlicht am
Gerechtigkeit hat viele Facetten. Deshalb wird sie nur dort erreicht, wo die Politik Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Politikfeldern berücksichtigt. Exemplarisch zeigt sich dies in der gegenwärtigen Debatte um die Finanzierung unserer Klimapolitik: Wer die nächsten Generationen vor hohen Schulden retten will, läuft schnell Gefahr, ihnen dabei schwere Klimahypotheken aufzubürden.

“Es kann niemand wollen, dass erste Wahlerfahrungen zu Frust und Ärger führen”

Veröffentlicht am
Junge Menschen sind von großen Problemen wie der Klimakrise und dem demografischen Wandel besonders betroffen. Ihre Interessen scheinen in der politischen Debatte aber häufig weniger Gewicht zu haben als die der Älteren. Würde ein einheitliches Wahlrecht ab 16 daran etwas ändern? Und wie blicken junge Menschen heute auf das Land und ihre Zukunft? Ein Interview mit Catrina Schläger und Thorsten Faas.

Warum wir keine Zeit haben, nicht zu beteiligen

Veröffentlicht am
Beteiligung ist kein Hindernis, sondern der Schlüssel zur Beschleunigung der Klimawende. Gerade umfassende Transformationsvorhaben erfordern eine Einbeziehung des Parlaments. Verbindet man parlamentarische Gesetzgebung mit zufallsbasierter Beteiligung von Bürger:innen, führt das zumeist zu progressiverem Klimaschutz. Mehr Partizipation erhöht also das Tempo der Transformation.
teilen: