Anspruch und Wirklichkeit von Koalitionen: Wie gelingen gemeinsame Missionen?

Die Ampelkoalition ist mit großen Ambitionen gestartet – und „erfolgreich gescheitert”. Zu diesem Urteil kommen die Demokratieforscher:innen Robert Vehrkamp und Theres Matthieß. Der schwarz-rote Koalitionsvertrag ist im Vergleich weniger ambitioniert. Aber muss das schlecht sein? Und welche Lehren lassen sich aus dem Scheitern der Ampel für die neue Dreiparteienkoalition ziehen? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Diskussion bei einer Hintergrundrunde am 30. April 2025 im Progressiven Zentrum. Die Antworten drängen nach dem holprigen Start von schwarz-rot umso mehr.

Die Bilanz der Ampel ist ambivalent. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die Robert Vehrkamp von der Bertelsmann-Stiftung und Theres Matthieß vom Göttinger Institut für Demokratieforschung am 30. April 2025 im Rahmen eines Round Tables im Progressiven Zentrum vorgestellt haben und über die u. a.  Spiegel und Focus berichteten. Einerseits hat die Ampel demnach nur etwas mehr als die Hälfte ihrer im Koalitionsvertrag vereinbarten Vorhaben umgesetzt; bei den beiden vorangegangen Großen Koalition waren es noch mehr als drei Viertel. Andererseits hatte sich die Ampel mit ihren mehr als 450 verabredeten Vorhaben aber viel mehr vorgenommen als ihre Vorgängerregierungen. Daher hat sie in ihren drei Regierungsjahren absolut gesehen mehr Vorhaben verwirklicht als die beiden vorangegangen GroKos in ihren je vierjährigen Legislaturperioden. Nach einer guten Halbzeitbilanz führte das vorzeitige Ende der Ampel jedoch dazu, dass viele bereits angegangene Vorhaben nicht mehr zu Ende gebracht wurden. Zudem waren die vielen öffentlich ausgetragenen Konflikte eine Ursache dafür, dass ihre tatsächlichen Erfolge als Reformkoalition von der Bevölkerung kaum wahrgenommen wurden. Die Ampel sei daher „erfolgreich gescheitert“, so der Titel der Studie von Matthieß und Vehrkamp.

Bodenständig oder Ambitionslos?

Wie ist der schwarz-rote Koalitionsvertrag im Vergleich zu bewerten? Und was können CDU, CSU und SPD aus dem Bruch der Ampel lernen? Auch darauf geben Vehrkamp und Matthieß Antworten im Rahmen ihrer Round Table-Impulse: Der Koalitionsvertrag erhalte nur ungefähr ein Drittel so viele Policy-Vorhaben wie der Ampelvertrag – obwohl der Text nicht viel kürzer sei. Damit stehe er in der Tradition früherer GroKos – und das sei kein gutes Omen. Auch fänden sich im neuen Koalitionsvertrag kaum institutionelle Stützen für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit: So verzichteten die Verhandler:innen auf das Kreuzstichverfahren, bei dem SPD und Union Staatssekretär:innen in die vom jeweils anderen Lager geführten Ressorts entsendet hätten. Da aber nicht alles im Koalitionsvertrag stehen müsse, sei es für innovative Ansätze noch nicht zu spät. So könnten insbesondere Missionsagenturen einen Rahmen dafür bieten, weitreichende Ziele zu Reformprojekten zu machen, an denen ressortübergreifend gearbeitet werde. 

Um diese Einschätzungen und Vorschläge für die künftige Regierungsarbeit drehte sich die anschließende Diskussion, die von Staatssekretärin Simone Großner, Bevollmächtigte des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund, und Wolfgang Schroeder, Vorsitzender des Progressiven Zentrums, eröffnet wurde.

Mehrere Diskussionsteilnehmer:innen meinten, es müsse gar nicht schlecht sein, dass der Vertrag nur 180 Maßnahmen enthält. Letztlich läge die Umsetzung zumeist bei den Kommunen – und diese ächzten schon jetzt unter der Fülle von Aufgaben. Dass mehr Maßnahmen bessere Politik bedeuten, sei ein Irrglaube. In der Debatte wurde zudem die Offenheit des Koalitionsvertrages begrüßt, die sich aus den zahlreichen Prüfaufträgen ergibt. Umfassende Reformvorhaben ließen sich nicht aus der Hüfte schießen. Und nach der bisweilen missionarischen Überhöhung der Ampel habe es etwas Wohltuendes, dass die neue Dreierkoalition aus CDU, CSU und SPD bodenständiger daherkomme. Diese Bodenständigkeit dürfe freilich nicht in Ambitionslosigkeit münden, war man sich einig.

Reformprojekt Staatsmodernisierung

Besonders ambitioniert ist den Diskussionsteilnehmer:innen zufolge die Staatsmodernisierung. Eine Gefahr wurde allerdings darin gesehen, dass mit diesem Ziel ein Defizit benannt, aber nicht behoben wird. Einmal mehr würden bei Wähler:innen hohe Erwartungen geweckt, aber nicht erfüllt. Andererseits: Vielleicht sei das Enttäuschungspotential gar nicht so groß, weil Bürger:innen im Alltag nur selten direkt mit dem Staat zu tun hätten?

Zudem bestünde bei der Staatsmodernisierung zwischen Union und SPD kaum ideologischer Dissens. Dafür lauerten im Umgang mit Ländern und Kommunen umso größere Konflikte. Im deutschen Verbundföderalismus ist die Lösung solcher Konflikte für eine gelingende Staatsmodernisierung unabdingbar. Dass sich Schwarz-Rot der Größe dieser Aufgabe bewusst ist, zeige die Einführung eines eigenen Ministeriums für Digitales und Staatsmodernisierung. Ein Ministerium allein führe allerdings nicht zum Erfolg. Nötig sei darüber hinaus eine gute politische Abstimmung zwischen den drei Koalitionsparteien, deren Staatsverständnisse sich historisch durchaus unterscheiden.

Reformprozesse durch Missionsagenturen

Vehrkamp betonte bereits in seinem Beitrag zur Progressiven Lage Anfang April die Notwendigkeit institutioneller Arrangements. Ob die Nicht-Einführung des Kreuzstichverfahrens wirklich ein Manko ist, wurde in der Diskussion allerdings infrage gestellt. Wenn Staatsekretär:innen und Staatsminister:innen einem anderen Lager angehören als ihre Hausleitung, fehle womöglich das gemeinsame Erfolgsinteresse. Außerdem sei es ein Gewinn, dass der Koalitionsausschuss künftig einmal im Monat tage anstatt nur bei Bedarf – und damit notorisch zu spät.

Als besonders vielversprechend wurde der Vorschlag angesehen, Missionsagenturen zu Kernthemen der Koalition im Bundeskanzleramt einzurichten. Dafür böte sich insbesondere die Staatsmodernisierung an. Dabei müssten auch und gerade die Parlamentarier:innen aus der Koalition eingebunden werden. In der Ampel seien diese zu sehr in der Logik ihrer jeweiligen Fraktionen gefangen gewesen. Angesichts der fortschreitenden Ausdifferenzierung des Parteiensystems, die lagerkonforme Koalitionen erschwere, könne dies eine Modernisierung der parlamentarischen Arbeit mit sich bringen. Auch das Scheitern der Kanzlerwahl im ersten Durchgang kann man als Signal dafür verstehen, wie dringlich eine bessere Einbindung von Parlamentarier:innen in die Regierungsarbeit ist. 

Darüber hinaus wurde angeregt, im weiteren Verlauf auch neue, schriftliche Meilensteine zum Koalitionsvertrag zu ergänzen – mit wenigen Vorhaben, die in Anbetracht veränderter Umstände als besonders dringend angesehen werden. Dies gelte insbesondere bei neu aufkommenden Krisen, die noch niemand kennen kann, aber die in Zeiten wie diesen sicher kommen werden.

Autor

Andreas Oldenbourg

Senior Projektmanager
Andreas Oldenbourg ist Senior Projektmanager im Bereich Resiliente Demokratie des Progressiven Zentrums. Er betreut mehrere Projekte und Veranstaltungen zur demokratischen Gestaltung der sozial-ökologischen Transformation.


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