„Deutschland wurde ins Mark getroffen“

Viele BürgerInnen mit Migrationsgeschichte hätten nun Angst, berichtet Katarina Niewiedzial, Beauftragte des Berliner Senats für Integration und Migration. Härtere Sicherheitsmaßnahmen des Staates begrüßt sie – und schlägt weitere Schutzansätze vor.


Nach den Morden von Hanau nimmt die Verunsicherung bei Menschen mit Migrationsgeschichte zu. Welche Rückmeldungen haben Sie aus den Berliner Migrantencommunities?

Katarina Niewiedzial: Der Anschlag in Hanau steht ja in einer ganzen Reihe rechtsextremer Angriffe mit menschenverachtenden Motiven. Viele haben Angst und fühlen sich schutzlos, übrigens insbesondere junge Menschen. Sie sagen auch, dass sie nicht überrascht sind – weil sie Rassismus im Alltag seit langem spüren und weil rechtes Gedankengut inzwischen sogar in den deutschen Parlamenten verbreitet wird.

Hanau betrifft uns alle.

Das zersetzt unsere Gesellschaft und ist der Nährboden für solchen Terror. Gleichzeitig gibt es aber auch viel Anteilnahme und Solidarität, wie bei den Karnevalsumzügen zu sehen ist. Hanau betrifft uns alle. Deutschland als Migrationsgesellschaft wurde ins Mark getroffen.

Die AfD weist jede Verantwortung von sich. Es handele sich um einen irren Einzeltäter. Hat sie in diesem Punkt recht?

Katarina Niewiedzial: Nein. Das Verhalten der AfD ist an Zynismus und Verlogenheit nicht zu überbieten. Ihre VertreterInnen sind hauptverantwortlich für die Verrohung der Sprache und der Politik in den vergangenen Jahren. Nun bringen sie es sogar noch fertig, sich nach Hanau als Opfer einer Instrumentalisierungskampagne darzustellen. Darauf muss man erstmal kommen.

Ich denke aber, wir sollten dieser Partei gar nicht so viel Aufmerksamkeit schenken. Stattdessen muss der Fokus auf die Betroffenen gerichtet werden: Wie geht es ihnen? Was brauchen sie jetzt von uns? Wie kann jeder Einzelne helfen?

Die Politik hat umgehend härtere Sicherheitsmaßnahmen angekündigt. Ist das der richtige Ansatz?

Katarina Niewiedzial: Der Schutz der Menschen muss an erster Stelle stehen. Wir brauchen zum Beispiel schärfere Waffengesetze und eine stärkere Präsenz der Sicherheitsbehörden in den Internetforen. Außerdem finde ich den Vorschlag gut, eine Beratungshotline einzurichten für den Fall, dass man im eigenen Umfeld mögliche rechtsextreme Gefährder beobachtet.

Zugleich darf das Thema Rassismus nicht aus dem Blick geraten. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Rassismus als Gift bezeichnet. Was genau sie dagegen unternehmen will, hat sie leider nicht gesagt.

Was schlagen Sie vor?

Katarina Niewiedzial: Zum einen geht das Antidiskriminierungsgesetz auf Bundesebene nicht weit genug, etwa wenn es um Diskriminierungstatbestände geht. Und auch die Länder müssen da ihre Hausaufgaben machen. Berlin hat als erstes Bundesland ein Landes-Antidiskriminierungsgesetz erarbeitet, das aber im Abgeordnetenhaus stockt. Es muss dringend verabschiedet werden.

Wir müssen Menschen mit Migrationsgeschichte in unsere Institutionen holen.

Zum anderen sollten wir die Menschen mit Migrationsgeschichte besser beteiligen und in unsere Institutionen holen, auch damit sie sichtbarer werden. Deshalb arbeite ich gerade an der Novelle des Berliner Partizipationsgesetzes, um mehr Menschen mit Migrationsgeschichte in den öffentlichen Dienst zu bringen, und zwar gemäß ihrem Anteil in der Bevölkerung.

Lässt sich eine tolerante Gesellschaft wirklich per Gesetz verordnen?

Katarina Niewiedzial: Bessere Gesetze sind wichtig, weil sie die Leitplanken abstecken. Aber ohne einen Wertewandel in der Gesellschaft wird es am Ende nicht gehen. Dass die zivilgesellschaftlichen Migrantenorganisationen ihre Stimme erheben und den Druck erhöhen, ist dafür essentiell. Reibung erzeugt Wärme.


Autorin

Katarina Niewiedzial

Mitglied des Vorstands
Katarina Niewiedzial ist Mitglied des Vorstandes des Progressiven Zentrums. Seit 2019 arbeitet sie als Beauftragte des Senats von Berlin für Integration und Migration. Zuvor war sie die Integrationsbeauftragte von Berlin-Pankow.

Weitere Beiträge

Ist Wehrhaftigkeit die beste Verteidigung?

Veröffentlicht am
Inwiefern stehen Maßnahmen einer wehrhaften Demokratie in Spannung zu demokratischen Prinzipien? Und lassen sich diese Spannungen mildern, wenn man Wehrhaftigkeit mit anderen Formen der Demokratiepolitik verbindet?
Headerbild für "Die Progressive Lage" mit Portrait von Autor Jan Engels.

Drei Aufgaben: Wie sich die Partei der Arbeit erneuern kann – und muss

Veröffentlicht am
Als Konsequenz der bitteren Ergebnisse der Bundestagswahl 2025 muss die SPD einen Prozess der Selbstverortung und Neuorientierung starten. Dabei gilt es, sich nicht nur auf den eigenen Ursprung zurückzubesinnen, sondern vor allem auch ein zukunftsfähiges Angebot für ihr eigentliches Kernklientel zu schaffen. Dazu braucht es Dreierlei.
Grafik eines Handys umgeben von Herzchen und Daumen, auf dem Display ein Parlamentsgebäude.

Mäuse, Tänze, #KanzlerEra – Wie kommunizierten die Parteien und Kandidat:innen auf TikTok und Instagram zur #BTW25?

Veröffentlicht am
Der Kampf um Aufmerksamkeit auf Social Media schien schon fast an die AfD verloren, dann kam der verkürzte Bundestagswahlkampf 2025 – ein Gamechanger? Ja, blickt man auf die offiziellen Accounts der Parteien und Kandidat:innen bei TikTok und Instagram. Was waren dort die Strategien?
teilen: