Wen kümmert’s? Care-Arbeit gemeinsam gestalten

#CareKompass-Konferenz mit u.a. Bundesministerin Franziska Giffey

Tausende Stellen bleiben im Care-Bereich unbesetzt, obwohl der Bedarf an Sorgearbeit so groß ist wie nie. Die Abschlusskonferenz des CareKompass-Projekts versuchte Antworten darauf zu finden, wie die Attraktivität dieses Arbeitsfeldes gesteigert werden kann. Die ExpertInnen identifizierten als Lösungsansätze u.a. eine gerechte Entlohnung, praxistaugliche Qualitätsansprüche sowie die Förderung geschlechtergerechter Strukturen. Neben diesen institutionellen Änderungen käme es aber besonders auf eine Sache an.

Deutschland braucht eine faire und nachhaltige Care-Arbeit von hoher Qualität. Wie wir diese gemeinsam gestalten können, war Thema der Konferenz #CareKompass: Wen kümmert’s? Care-Arbeit gemeinsam gestalten. Zusammen mit ExpertInnen, einschließlich der Bundesministerin Franziska Giffey, wurden mögliche Gestaltungshebel diskutiert. Im Fokus der Debatte standen eine gerechte Entlohnung, Qualitätsansprüche sowie die Förderung geschlechtergerechter Strukturen.

Wie kann die Attraktivität von Care-Arbeit gesteigert werden?

Care-Arbeit in Deutschland hat ein Image-Problem. Die Attraktivität von Care-Arbeit, wie zum Beispiel in der Pflege oder der Erziehung, leidet durch schlechte Arbeitsbedingungen und sehr unterschiedlichen, teilweise schlechte Bezahlungen. Angesichts eines rasant steigenden Bedarfs nach Care-Arbeit, wachsen die Ausbildungszahlen viel zu langsam. Auf Grund dessen steht Deutschland vor einem Fachkräftemangel, der eine bedrohliche Versorgungslücke schafft.

Wolfgang Schroeder, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Progressiven Zentrums analysiert: „Im Wettstreit der Berufe wird die Care-Arbeit das Nachsehen haben. Deshalb brauchen wir einen Strategiemix aus guten Arbeitsbedingungen und Zeitpolitik.“ Als dringlichste Veränderung sieht er die Entlohnungsbedingungen an.

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey würde perspektivisch gerne einen Flächentarifvertrag in der Pflege einführen. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, so Irene Vorholz, Beigeordnete für Soziales und Arbeit, Deutscher Landkreistag, dass steigende Löhne auch eine höhere Belastung von Pflegebedürftigen bedeuten könnten, da sie mit steigenden Eigenanteilen für die Pflege rechnen müssen.

Ein soziales Pflichtjahr sei jedoch keine Alternative, um die Versorgungslücke in der Care-Arbeit zu schließen, meint Franziska Giffey. Soziale Dienste sollten auf Motivation und nicht auf Zwang basieren. Sie schlägt dagegen vor, den Bundesfreiwilligendienst finanziell zu fördern.

Uneinig zeigte sich die Runde in der Frage, ob die Digitalisierung der Care-Landschaft die Arbeitsbedingungen verbessern würde. Digitale Mittel müssten bedacht und mit guter Zeitplanung in den Berufsfeldern eingeführt werden. Zum einen dürfe man dabei die MitarbeiterInnen nicht noch zusätzlich belasten und zum anderen müsse der menschliche Aspekt der Care-Arbeit erhalten bleiben.

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Qualitätsansprüche und Pflege als Markt

Die fehlenden Fachkräfte führen auch zu einem Qualitätsverlust in der Care-Arbeit. Die hohen öffentlichen Qualitätsansprüche an die Care-Arbeit sind jedoch laut Ingo Bode, Professor für Sozialpolitik, Universität Kassel, mit der derzeitigen Betrachtung von Pflege als „Markt“ nur teilweise kompatibel. Die Etablierung eines privaten Marktes, um Care-Arbeit so billig wie möglich zu gestalten, habe die Löhne sinken lassen und Druck auf die Arbeitsbedingungen aufgebaut.

Zur Qualitätssicherung der beruflichen Care-Arbeit bestehe zwar eine Dokumentationspflicht, diese sei jedoch mit hohem bürokratischen Aufwand verbunden. Sie könne zwar einerseits als Instrument gesehen werden, um Vertrauen zu schaffen; so betont Irene Vorholz den Nutzen von Dokumentationen, den man insbesondere dann erkenne, wenn Menschen zu Schaden kämen. Demgegenüber vertritt Ingo Bode andererseits die Meinung, der Bereich Care-Arbeit sei von einer „Kultur des Misstrauens“ und einem starken Glauben an Kontrollierbarkeit und Messbarkeit geprägt. Über deren Grenzen müsse man reden.

Geschlechtergerechte Gestaltung der Care-Landschaft

Attraktivitätssteigerung bedeutet ebenso, die Care-Landschaft geschlechtergerechter zu gestalten. Care-Arbeit wird auch heute noch überwiegend von Frauen als unter- oder unbezahlte Tätigkeit ausgeübt. Franziska Giffey sagt dazu in ihrer Keynote:

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Gerade Frauen stecken beruflich oft zurück, wenn es um die häusliche Pflege von Angehörigen geht. Deswegen sollte man laut der Familienministerin die Einführung eines Familienpflegegeldes diskutieren, das nach ähnlichen Kriterien ausgezahlt wird, wie das Elterngeld. Franziska Giffey betont dabei, dass es sich hier um eine langfristige Zukunftsfrage für den modernen Sozialstaat handle, aber auch klar sein müsse, dass dies ein riesiger Kostenaufwand sei.

Im Zuge dessen nennt Joachim Rock, Abteilungsleiter für Arbeit, Soziales und Europa des Paritätischen Gesamtverbands, die Grundrente als eine Möglichkeit der finanziellen Absicherung. Von dieser würden insbesondere Frauen profitieren, die im Care-Bereich tätig sind.

Wir brauchen eine neue Erzählung

Diskutiert wurde auch die Rolle der Kommunen. Wolfgang Schroeder forderte den Bund und die Länder auf, die Kommunen zu befähigen, ihre Rolle als „Vor-Ort-Gestalterinnen“ der Care-Arbeit wahrzunehmen. Diese müssen laut Irene Vorholz Wege finden, um ehrenamtlichen Engagement in der Care-Arbeit eine gerechte Anerkennung zuteil werden zu lassen. Im Bereich Pflege erachtet sie immaterielle Arten der Anerkennung als besonders wichtig, da diese etwas sehr Persönliches sei.

Doch für eine Umstrukturierung der Care-Arbeit bedarf es mehr als als nur institutionelle Änderungen. So hebt Joachim Rock die Wichtigkeit der Art und Weise, in der über Care-Arbeit gesprochen wird, hervor:

Wir müssen vor allem ändern, wie wir über Sorgearbeit reden.

Wörter wie „Elternurlaub“ würden ein falsches Bild vermitteln, da sie die Produktivität der geleisteten Care-Arbeit verschleiern. Gleichzeitig ist das Narrativ der Care-Arbeit vor allem durch Defizite geprägt. Darum brauche es dringend eine neue Erzählung, um Sorgearbeit aufzuwerten.

Fotos der #CareKompass-Konferenz

Fotos: Alex & Jacob

Hintergrund zur Veranstaltung und der CareKompass-Reihe:

Die Abschlussveranstaltung der Veranstaltungsreihe #CareKompass des Progressiven Zentrums und des Deutschen Roten Kreuzes fand am 19. Februar 2020 im Betterplace Umspannwerk (bUm) statt.

Nach einer Begrüßung durch den Generalsekretär des Deutschen Roten Kreuzes, Christian Reuter, hielt Bundesfamilienministerin Franziska Giffey eine Keynote. Dieser folgte eine Vorstellung der in drei Roundtables erarbeiteten Thesen durch den Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats vom Progressiven Zentrum, Wolfgang Schroeder. Anschließend wurden diese von Franziska Giffey (Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend), Joachim Rock (Abteilungsleiter für Arbeit, Soziales und Europa, Der Paritätische Gesamtverband), Wolfgang Schroeder (Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats, Progressives Zentrum) und Irene Vorholz (Beigeordnete für Soziales und Arbeit, Deutscher Landkreistag) unter Moderation von Elisabeth Niejahr (Co-Geschäftsführerin, Gemeinnützige Hertie-Stiftung) diskutiert. Zum Abschluss folgte ein wissenschaftlicher Beitrag von Prof. Dr. Ingo Bode (Professor für Sozialpolitik, Universität Kassel).

Rückblick der vergangenen Veranstaltungen

Autorinnen

Paulina Fröhlich

Stellvertretende Geschäftsführerin und Leiterin | Resiliente Demokratie
Paulina Fröhlich ist stellvertretende Geschäftsführerin und verantwortet den Schwerpunkt „Resiliente Demokratie“ des Berliner Think Tanks Das Progressive Zentrum. Dort entwirft sie Dialog- und Diskursräume, leitet die europäische Demokratiekonferenz „Innocracy“ und ist Co-Autorin von Studien und Discussion Papers.
Lara war von November 2018 bis Juni 2019 Trainee des Progressiven Zentrums im Bereich Internationale Beziehungen. Ihr Bachelorstudium absolvierte sie an der Uni Twente im Fach European Studies.
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