Grafik eines Handys umgeben von Herzchen und Daumen, auf dem Display ein Parlamentsgebäude.

Mäuse, Tänze, #KanzlerEra – Wie kommunizierten die Parteien und Kandidat:innen auf TikTok und Instagram zur #BTW25?

Der Kampf um Aufmerksamkeit auf Social Media schien schon fast an die AfD verloren, dann kam der verkürzte Bundestagswahlkampf 2025 – ein Gamechanger? Ja, blickt man auf die offiziellen Accounts der Parteien und Kandidat:innen bei TikTok und Instagram. Was waren dort die Strategien? Welche Kommunikationsstile, Themen sowie Tonalitäten standen in Videos auf Social Media im Mittelpunkt? Und worin unterscheiden sich die einzelnen Parteien in ihrer Online-Ansprache junger Menschen? Das haben wir in unserem Paper „POV: Wahlkampf” untersucht – und mit Expert:innen aus der Praxis am 19. Mai 2025 besprochen.

„Politker:innen haben verstanden, dass Instagram und TikTok ein geeigneter Ort sind, um junge Menschen anzusprechen: Mehr als jedes zweite Video – 53 % – hatte einen direkten oder indirekten Jugendbezug“, mit diesem Kernergebnis startete Projektmanagerin Melanie Weiser in die Vorstellung der Studienergebnisse an diesem Montagmittag im virtuellen Raum. Sie ist Co-Autorin des Papers „POV: Wahlkampf“ und untersuchte gemeinsam mit der Uni Mainz und der Bertelsmann Stiftung gut 18.000 TikTok und Instagram-Clips der Bundestagsparteien im Wahlkampf 2025, darunter auch die von Spitzenkandidat:innen und Abgeordneten.

Ein wichtiger Schritt nach vorn, haben ganze Kampagnen wie #ReclaimTikTok oder einzelne wie Kommunikationsexperte und Diskussionsteilnehmer Johannes Hillje doch zuletzt stark auf die Notwendigkeit aufmerksam gemacht, Social Media als politischen Raum von anti-demokratischen Kräften zurückzuerobern. Das ist von gesellschaftlicher und politischer Relevanz, denn 62 % der 18–21-Jährigen und 54 % der 22–29-Jährigen zählen soziale Medien zu ihren wichtigsten Informationskanälen für Nachrichten und Politik (Trendstudie Jugend in Deutschland 2024). „Ihr Eindruck von Politik wird maßgeblich von Social Media geprägt. Und ihr Verständnis von Politik ist uns und für unsere Demokratie sehr wichtig“, so Paulina Fröhlich, Co-Autorin der Studie, zu Beginn der Diskussion.

Was die Studienergebnisse zeigen

Mit Blick auf die Themen der Clips berichtet Melanie Weiser: Wahlaufrufe als Call to Actions finden sich bei 50 % der Videos; der Anteil der Videos mit Aufrufen zum Parteibeitritt unterscheidet sich zwischen den Parteien: 2–3 % bei der CDU, 11–13 % bei AfD, BSW und Die Linke. Die gestalterischen Mittel der Plattformen wie Stitches, Q&As, Livestreams etc. nutzten alle Akteure recht wenig. Aufrufe zu Online-Handlungen, also Interaktionen mit den Clips, waren bei der Linken am häufigsten Teil der Videos; insgesamt zudem viel häufiger als noch bei den Bundestagswahlen 2021. Daraus lässt sich ein gesteigertes Verständnis der Plattform-Logiken erkennen, die solche Interaktionen mit einer erhöhten Reichweite belohnen. Und wie steht es um die Inhalte? Vorrangig wurden die Wahlen selbst, Migration, Regierung, Wirtschaft, unpolitischer Content (hier kommen die Tänze und Taylor-Swift-Era-Armbänder ins Spiel) und der Sozialstaat Thema in den Clips thematisiert, erläutert Co-Autor Pablo Jost. Weitaus weniger präsent waren Themen wie Umwelt, Bildung, Rentenpolitik, Wohnraum – also genau solche, die eigentlich besonders wichtig für junge Menschen sein dürften, so Jost weiter. 

Außerdem bemerkenswert: Die Strategie des Negative Campaigning, also verbale Angriffe auf die politischen Gegner, fand besonders bei AfD und BSW Verwendung. Im Kontrast dazu überwogen bei den klassischen „Owned Issues“ (also etwa Umweltpolitik bei den Grünen, Sozialpolitik bei der SPD und Linken) durchgängig positive Selbstzuschreibungen auf den jeweiligen Accounts. Die Linke kombinierte diese beiden Strategien auffällig balanciert – und war damit, wie von mehreren Teilnehmer:innen angemerkt, besonders erfolgreich. Können wir also sagen, wir haben TikTok und Insta reclaimt? „Zumindest numerisch hat es geklappt“, so Fröhlich.

Was sagen die Social Media Wahlkampf-Macher:innen?

Zeit, die Verantwortlichen dieses Teilerfolges selbst zu fragen. Am heutigen Vormittag zur Besprechung der Studienergebnisse sind drei Social Media Referent:innen mit dabei, die aus erster Hand von der Social Media Arbeit im Wahlkampf beziehungsweise in der Bundespolitik berichten können:  Sophia Ostner, Digitale Kommunikation und Teamlead TikTok im Team BK Olaf Scholz, Nina Weise, Social Media Referentin MdB-Büro und ehemalige Head of Content im Team Friedrich Merz sowie Philipp Töllner, Social Media Referent von Dr. Franziska Brantner. 

Blitzlicht zu den Studienergebnissen: Während Nina Weise sich über die in der Studie attestierte positive Selbstdarstellung der Union freut und sich sicher ist, dass auch Migration und Wirtschaft – die von der CDU am stärksten bespielten Themen – zu den Themen der Jugend gehören, freut sich Philipp Töllner, dass die Grünen doch mehr zur Umweltpolitik gepostet haben, als intern gern behauptet wird. Für Sophia Ostner vom Team Olaf Scholz ist besonders interessant, dass die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten der Videos, in der Studie Affordanzen genannt, zu gleich guten Ergebnissen führen.

Diese Affordanzen reichen vom schlichten Selfie-Modus beim Burger-Essen ohne Skript bis zum komplexen Erklärvideo mit plakativen Überschriften und aufwendigen Infografiken. „Für meine Arbeit bedeutet das, dass es kein Universalrezept gibt – auf Social Media funktioniert Vieles!“ Für die Grünen war eines dieser Rezepte eine Offensive durch Meme-Accounts, die die Reichweite erhöhten und wohl zu einigen Schmunzlern und Like-Vergaben bei den Jugendlichen führten, wie Philipp Töllner mit uns teilt. „Das sind Accounts, die ohne Grünen-Branding funktionieren und dadurch besonders authentisch daherkommen.“

Netzwerke brauchen Power

Diese inoffiziellen Accounts im Dunstkreis der Parteien sind ein wichtiger Punkt, wie Experte Johannes Hillje erklärt: „Das Vorfeld spielt beim bisherigen Erfolg der AfD eine große Rolle. Hier finden wir Videos ohne Logo, ohne Marketing-Look, sondern scheinbar unabhängige Privatpersonen, die AfD-Botschaften verbreiten. Das erhöht die Glaubwürdigkeit enorm. Das ist bis heute ein zentraler Schlüssel der AfD.“

Um ein solches Unterstützer:innen-Netzwerk außerhalb der Parteistrukturen aufzubauen, brauche es aber einiges an Ressourcen, sind sich die Social-Media-Referent:innen einig: „Das ist eine praktische Frage: Wir haben nur begrenzt Ressourcen vorhanden. Statistiken, Postproduktionen, Schnitt etc. Ein solcher Aufwand in verkürzten Wahlkampfzeiten ist kaum zu stemmen. Es ist noch nicht überall das Bewusstsein da, dass Social Media immer wichtiger wird, hier müssen wir noch Ressourcen aufstocken“, so etwa Ostner. Dennoch gelang es ihr, etwa mithilfe eines reichweitenstarken, mit einem Mikrofon ausgestatteten TikTok-Influencers die Online-Reichweite des Bundeskanzlers zu erhöhen. „Die beiden waren dann zusammen vor der Kamera, und das wurde dann relativ groß.“ 

How to get them hooked

Ist also das Vorfeld das Erfolgsrezept, das die Inhalte der AfD bei Jugendlichen verfangen lässt? Nun, auch die oben genannten Ergebnisse zum „Negative Campaigning“ haben daran einen Anteil: „Es ist gut neurowissenschaftlich untersucht, dass es eine Entscheidung von Bruchteilsekunden auf emotionaler Ebene ist, ob ich weiter scrolle oder nicht“, so Hillje. Also werden Emotionen in der Regel direkt in den ersten Sekunden eines Videoclips geschürt, bei den sogenannten Hooks, dem „Köder, der direkt zu Beginn gesetzt werden soll. Hier arbeiten Populisten mit emotionalen Effekten wie Wut oder Hass“. Diese werden zudem vom Algorithmus bevorzugt ausgespielt, ergänzt Fröhlich. 

Gar nicht so einfach für Demokrat:innen, TikTok nicht nur zahlenmäßig, sondern auch inhaltlich überzeugend zu reclaimen: unendliche Möglichkeiten, begrenzte Ressourcen und verzerrende Algorithmen sorgen für Unübersichtlichkeit und Komplexität. Wie kann trotz dieser Hürden ein erfolgreicher Auftritt demokratischer Parteien und Akteur:innen auf Social Media aussehen? Das Projektteam von „How To Sell Democracy Online (Fast)“ beim Progressiven Zentrum fragt die Jugendlichen selbst: In der gleichnamigen, von der Mercator-Stiftung geförderten Studie, die im September 2025 erscheint.

How to Sell Democracy Online (Fast)? 

Mithilfe von Gruppendiskussionen und der breiten quantitativen Befragung von Jugendlichen untersucht das Projektteam, was junge Menschen selbst von politischer Kommunikation auf Social Media erwarten und wie sie Wahlkampfkommunikation auf TikTok & Co. aus ihrer Perspektive erleben – und blickt damit erstmals auf die Qualität der Clips.

Ein erstes wichtiges Qualitätskriterium liefert Hillje zum Ende dieser Studiendiskussion:  „Der jetzige Auftrag an politische Akteur:innen sollte sein, an einer demokratischen Emotionskultur zu arbeiten, die nicht nur affektgetrieben funktioniert, sondern auch andere Formen des emotionalen Denkens aufgreift. Wir sollten die Scheu verlieren, emotionale Botschaften zu senden, die positiv und demokratisch gestaltet sind!“ Ob und wie das gelingt? Stay tuned!

Hier schon jetzt für die Veröffentlichung der Studie „How To Sell Democracy Online (Fast)“  im September 2025 anmelden: 

Autorin

Stefanie Barth

Junior Kommunikatiosmanagerin
Stefanie arbeitet als Junior Kommunikationsmanagerin beim Progressiven Zentrum. Nach ihrem Bachelor in Politik- sowie Medien- und Kommunikationswissenschaft absolvierte sie an der Freien Universität Berlin den Master in Publizistik- und Kommunikationswissenschaft.
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