Am Morgen des 9. November deutscher Zeit war bereits eine Tendenz zu erahnen: Der ganz große Wurf war den Republikanern bei den Midterms 2022 nicht gelungen. Während auf der anderen Seite des Atlantiks die Stimmen noch gezählt wurden, ordnete USA-Experte Michael Werz beim Progressiven Zentrum die ersten Ergebnisse bereits vor Journalist:innen ein.
Schon in der Nacht deutscher Zeit hatte sich abgezeichnet, dass die Republikaner nicht wie erhofft eine lockere Mehrheit in beiden Kammern erzielen werden. Das Repräsentantenhaus werden sie voraussichtlich gewinnen, im Senat wird es jedoch überaus knapp. „Die von vielen Republikanern erwartete Welle der Unzufriedenheit mit der Regierung und der schwierigen wirtschaftlichen Situation hat sich nicht in Stimmen übersetzt“, sagte der USA-Experte des Progressiven Zentrums und Senior Fellow am Center for American Progress in Washington, Michael Werz, in einem Pressegespräch in Berlin, kurz nachdem die letzten Wahllokale in den Vereinigten Staaten geschlossen hatten.
Werz ist ein gefragter Experte in deutschen und internationalen Medien und forscht seit Jahren am Center for American Progress in Washington, DC. Zahlreiche Journalist:innen von TV, Online- und Printmedien waren bei dem Gespräch zu Gast oder hatten sich per Videokonferenz dazu geschaltet. Werz’ Einschätzungen waren danach in mehreren Medien zu lesen, etwa dem “Tagesspiegel”, “ntv.de”, “WELT”, “tagesschau.de”, “heute.de” und beim Bayerischen Rundfunk.
Wichtige Abstimmungen über Abtreibungen
„Diejenigen in der republikanischen Partei, denen weder an der Demokratie noch an den Verfassungstraditionen der USA noch am Bündnis mit Europa und der Nato liegt, haben sich nicht durchgesetzt“, stellte der Politikwissenschaftler fest. „Die von vielen Republikanern erwartete Welle der Unzufriedenheit mit der Regierung und der schwierigen wirtschaftlichen Situation hat sich nicht in Stimmen übersetzt.“ Als weiteren Grund, warum der Durchmarsch der Republikaner ausblieb, nannte Werz: Die Wahl wurde auch zu einer Art Plebiszit über Joe Biden. Dessen milliardenschwere Hilfspakete seien auch bei vielen Wähler:innen aus der konservativen Mittelschicht durchaus beliebt.
Ein dritter Punkt: Der Ärger vieler Wähler:innen vor allem in Großstädten über das Urteil der konservativen Mehrheit am Supreme Court zum Abtreibungsrecht gärt weiter. In einer Volksabstimmung, die parallel zu den Midterms durchgeführt wurde, hatten die Bürger:innen im konservativen Kentucky überraschend ein Totalverbot von Abtreibungen abgelehnt, außerdem in den liberaleren Staaten Kalifornien, Michigan, Vermont und Montana. Abtreibung bleibe ein wichtiges Thema, so Werz.
Trump angezählt, nicht aber der Trumpismus
Für die GOP sei die Wahl aufgrund des ausgebliebenen Erdrutsches mindestens eine Enttäuschung gewesen. Für den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump sei sie jedoch mehr als das. Denn auch wenn sich der Trumpismus in der Partei gefestigt habe, sei er inzwischen “von ihm unabhängig mehrheitsfähig”. Das zeige sich unter anderem an der Wiederwahl von Trumps ärgstem, parteiinternen Widersacher, Ron DeSantis als Gouverneur von Florida. DeSantis kam überraschend auf 59,4 Prozent der Stimmen, sein demokratischer Herausforderer kam gerade einmal auf 40. Werz rechnet damit, dass DeSantis Rückenwind für eine Präsidentschaftskandidatur bekommt. Aus transatlantischer Sicht sei das kein Grund zur Beruhigung, im Gegenteil. „Wenn DeSantis Präsident würde, müssen sich die Europäer warm anziehen, und das nicht nur im Winter“, sagte Werz.
Die Außenpolitik der Vereinigten Staaten insgesamt steht nach seiner Einschätzung indes nicht auf dem Spiel. Er geht auch nicht davon aus, dass sich die USA von der Ukraine abwenden könnten. „Selbst wenn sich der Senat mehrheitlich in republikanische Richtung bewegen sollte, kann man davon ausgehen, dass es nicht zu einer Abwendung kommen wird.“ Es habe im Wahlkampf der Republikaner einen „hohen Grunddruck (gegeben), stärker isolationistische Politik in den Vordergrund zu stellen“. Dennoch sei auch bei einem knappen Wahlergebnis davon auszugehen, dass die Regierung von Präsident Joe Biden im Kongress Mehrheiten finden werde, Budgets für Ukrainehilfen freizugeben.