Die Ampel-Koalition steckt vor der Halbzeit in einer tiefen Umfragekrise. Die drei Parteien machen einen zerstrittenen Eindruck. Im Interview mit dem „Spiegel“ skizziert unser Vorsitzender Wolfgang Schroeder, wie ein Ausweg aus der Misere aussehen könnte.
Der Spiegel: Wochenlang hat die Koalition über das Heizungsgesetz gestritten , die Unzufriedenheit mit der Regierung ist groß. Hätte Kanzler Olaf Scholz früher einschreiten müssen?
Wolfgang Schroeder: Das sehe ich nicht, wir leben nicht mehr in einer Kanzlerdemokratie. Konrad Adenauer hatte in den Fünfzigerjahren noch alle Drähte in der Hand, konnte relativ frei über Geld und Posten entscheiden. Diese Macht hat Scholz nicht. Die drei Ampelparteien haben sich geschworen, einander auf Augenhöhe zu begegnen.
Scholz hat doch die Richtlinienkompetenz.
Die kann er aber nicht oft einsetzen. Wenn Scholz das täte, würde er sich selbst schwächen und das Bündnis perspektivisch sprengen. Bei allen Schwächen, die Scholz hat: Er ist sehr bedacht, nicht als Basta-Kanzler zu wirken, sondern bemüht sich, drei gleichberechtigte Partner zu moderieren.
Scholz hat mal gesagt: »Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch.« Warum setzt er das in der Ampel nicht um?
Mit seiner Rede am 27. Februar 2022 hat er Führung gezeigt. Die Zeitenwende gibt es aber nur in der Außen- und Sicherheitspolitik, in anderen Politikfeldern hat er diese Macht nicht.
Scholz´ Zurückhaltung, sein Auftreten als Moderator, befördert aber den Streit zwischen Grünen und FDP geradezu.
Das ist ein Problem, das sich aber mit Machtworten kaum lösen lässt. Scholz tut viel in der bilateralen und prozessbasierten Kommunikation. Er kann aber nur begrenzt in das Mikromanagement der Ressorts hineinfunken. Angesichts der emotionalen und teils nervösen Politik von FDP und Grünen wäre er da auch schlecht beraten. Mein Punkt ist ein anderer.
Welcher?
Die SPD kann nicht länger so tun, als sei die ökologische Transformation allein ein Projekt der Grünen. Das überfordert die Grünen. Sie haben nur eine schwache strategische, dafür aber eine starke missionarische Vorstellung von der Transformation. Die ist manchmal hilfreich, aber hinderlich, wenn sich Gegenmächte massiv aufbauen. Das hat die Debatte über das Heizungsgesetz gezeigt. Die Sozialdemokratie muss sich inhaltlich mehr einbringen.
Das hätte SPD-Bauministerin Klara Geywitz doch tun können. Ihr Haus war an dem Entwurf zum Gebäudeenergiegesetz beteiligt.
Geywitz hat nur eine Nebenrolle. Robert Habecks Wirtschaftsministerium war federführend, das Ganze folgte dem Ressortprinzip. Die Ampel müsste aber stärker auf das Kabinettsprinzip setzen.
Wie meinen Sie das?
Bei solch großen Fragen muss die gesamte Regierung ran. Setzt aber auch eine entsprechende Initiative des federführenden Ressorts voraus. Das Heizungsgesetz wurde aber naiv angegangen, niemand in der Ampel hat die Sprengkraft gesehen.
Wie könnte das künftig anders laufen?
Aufgabe des Kanzleramts wäre es, Gesetzesfolgen besser abzuschätzen. Also empirisch fundierter zu identifizieren, wo der politische Gegner ansetzen könnte, um Projekte der Ampel zu zerschießen. Dann wäre die Koalition besser in der Lage, auf Angriffe zu reagieren.
„Die Regierung braucht ein besseres Frühwarnsystem.“
Aber bei den Heizungen war es doch mit der FDP ein Koalitionspartner, der versucht hat, das Gesetz zu zerschießen.
Inhaltlich hatte die FDP durchaus einen Punkt. Habecks erster Gesetzentwurf hat den Erwartungen der Leute nicht standgehalten. Die Kritik ist dann aber ins Destruktive abgeglitten. Die FDP hat nicht mehr versucht, das Gesetz innerhalb der Regierung zu verändern, sondern hat es öffentlich sturmreif geschossen. Die Eskalation lag aber auch am Ressortprinzip und an der anfänglichen Sturheit der Grünen.
Kann die vorläufige Einigung nun ein Befreiungsschlag für die Ampel sein?
Ich bin da sehr skeptisch. Wenn die Koalition keine strukturellen Konsequenzen zieht, wird es künftig vermutlich nicht besser laufen. Die Regierung braucht ein besseres Frühwarnsystem, um Untiefen und Probleme zu erkennen, die über ein Ressort hinausgehen und die Regierung insgesamt gefährden.
Wer müsste das übernehmen, Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt?
Ja, das ist die Aufgabe des Kanzleramtes. Aber Grüne und FDP müssten sich auch darauf einlassen, allein aus Selbsterhaltungstrieb.
Scholz sagt, die Ampel wolle bei der nächsten Bundestagswahl wiedergewählt werden. Ist das ein gemeinsames Interesse der drei Parteien?
Ich sehe bislang keinen klaren gemeinsamen Willen, das Projekt weiterzuführen. Um den zu organisieren, braucht die Ampel nach der Sommerpause einen Neustart. Dafür müssen sich die drei Parteien auf einen Plan, auf wenige Eckpunkte verständigen und klären, wie sie mit dem erwartbaren Gegenfeuer aus Gesellschaft und Opposition umgehen.
„Derzeit ist die Ampel eher eine Anti-CDU-Koalition.“
Die Parteien sind aber anscheinend stark mit sich selbst beschäftigt zu sein.
Bei den Grünen gibt es einen Machtkampf um die nächste Kanzlerkandidatur. Außenministerin Annalena Baerbock hat Habeck im ganzen Heizungsstreit nicht einmal unterstützt. Christian Lindner wirkt fest im Sattel, aber in seiner FDP gibt es eine strategische Debatte unter der Frage: Was will man eigentlich für eine Partei sein? Eine, die sich mit den sechs Prozent in den Umfragen zufriedengibt, oder zielt man auf das Potenzial von 16 Prozent? Wenn das nicht geklärt wird, bleibt die FDP eine nervöse, unsichere Partei.
Und die Sozialdemokraten?
Die SPD ist auf der zentralen Ebene in einem guten Zustand. Das gilt nicht für die Partei als Ganzes, auf Landesebene gibt es Probleme, sowohl strategisch wie auch personell . Es ist dennoch relativ ruhig in der Partei, weil sie mit Scholz ein Machtzentrum hat und eine Perspektive für die nächste Wahl.
Derzeit spricht aber wenig für eine Fortsetzung seiner Kanzlerschaft nach 2025.
SPD, Grüne und FDP müssen eine Frage beantworten: Wollen sie eine Fortschrittskoalition sein? Derzeit sind sie eigentlich eher eine Anti-CDU-Koalition. Und das ist zu wenig. Um mehr zu sein, braucht die Ampel einen Spirit, der über den reinen Machterhalt hinausgeht.