Was gegen die AfD hilft

Die Mobilisierungsmaschinerie der AfD trifft bei den anderen Parteien auf mangelnde Selbstreflexion und Ideenlosigkeit bezüglich der Gegenmittel. Normalisierung und Radikalisierung der AfD verlaufen erstaunlich synchron, schreibt unser Fellow Dr. Johannes Hillje in einem Gastbeitrag für die ZEIT.

Die AfD steigt in den Umfragen und die Ursachenforschung verläuft, nun ja, nicht nach streng politikwissenschaftlichen Kriterien. Als Messinstrument ist bei Regierung und Opposition der waagerechte Zeigefinger derzeit besonders beliebt. Und dieser zeigt an: „Die Anderen sind schuld!“ Die Ampel produziere Wärme-Wut-Bürger:innen, die Union befeuere den toxischen Kulturkampf. Friedrich Merz hat sogar eine mathematische Rechtsruck-Formel aufgestellt und kann daher präzise referieren: „Mit jeder gegenderten Nachrichtensendung gehen ein paar hundert Stimmen mehr zur AfD.“ Man möchte fragen, wen oder was der CDU-Vorsitzende mit der Gleichung „ARD + Gendern = AfD“ eigentlich mehr beleidigt, die AfD-Zugewanderten oder seinen eigenen Verstand?

Neben mangelnder Selbstreflexion ist die frappierendste Leerstelle in der Debatte jedoch die Ideenlosigkeit bezüglich der Gegenmittel zum AfD-Aufstieg. Eine fundiertere Ursachenanalyse ist dafür die Voraussetzung. Selbstverständlich muss man bei der Stärkung einer Oppositionspartei als erstes auf die Versäumnisse der Regierung schauen. Da hat die Union schon einen Punkt, auch wenn das ihre Mitverantwortung eben nicht ausschließt. Beim Heizungsgesetz der Ampel ist die Fehleranalyse schon fast trivial: Im ersten Entwurf des Gesetzes aus dem Hause Habeck fehlte die soziale Abfederung und damit die wichtigste Komponente für die gesellschaftliche Akzeptanz von Klimapolitik. Eine instinktive Reaktion auf eine derartige Lücke ist die Angst vor materiellem Verlust und sozialem Abstieg.

Unechte Konflikte zum Frustabbau überlagern materielle Konflikte 

Nur warum treibt das Menschen zur AfD? Soziale und ökonomische Kompetenz liegt der Partei mindestens so fern wie Friedrich Merz das Gendern. Ein Erklärungsansatz steckt in der „Theorie sozialer Konflikte“, die der US-amerikanische Soziologe Lewis A. Coser bereits in den 1950er Jahren entwickelt hat. Coser unterscheidet zwischen „echten“ und „unechten“ Konflikten. Echte Konflikte tragen eine Konkurrenz in der Gesellschaft um materielle Güter aus, unechte Konflikten beziehen sich eher auf kulturelle Differenzen und dienen dem Abbau von Frust und Spannungen, etwa indem einzelne Gruppen zu Sündenböcken oder Feinden stilisiert werden. Laut Coser können echte Konflikte eine integrierende Wirkung für Gesellschaften enthalten, während die unechten Konflikte desintegrieren. Ein Erfolgsrezept der AfD besteht nun seit jeher daraus, echte Konflikte geradezu meisterhaft mit unechten Konflikten kommunikativ zu überlagern. Anders gesagt: Ökonomische Konflikte werden von der AfD kulturalisiert. Ihre Wähler:innenschaft, die eindeutig rechtspopulistisch eingestellt ist, aber eben auch Abstiegsängste aus der Mittelschicht empfindet, sieht in Migrant:innen eine ökonomische Konkurrenz um Arbeitsplätze oder Sozialleistungen, aber die AfD macht sie vornehmlich zu einer kulturellen Bedrohung für die Werte und Traditionen ihrer Klientel.

Auch bei den gesellschaftlichen Umbauarbeiten der Ampel zur Klimaneutralität arbeitet die AfD mit demselben Mechanismus: Sie nimmt ökonomische Ängste auf und verwandelt sie in eine kulturelle Bedrohung, in der es dann nicht mehr allein um das Portemonnaie, sondern die komplette Lebensweise und Identität von Menschen geht, die in diesem Fall nicht „asylgeflutet“, aber „ökodiktatorisch“ ausgetauscht werden soll. Klassenkampf war nie das Ansinnen der AfD, aber ein Kulturklassenkampf. Da oben die kosmokulturelle Elite mit E-Auto, Wärmepumpe und Regenbogen, hier unten das Volk mit Diesel, Öl-Heizung und „Messermännern“ vor der Haustür. Von außen kommt die kulturelle Bedrohung durch Migrant:innen, von innen durch die Klimapolitik. So funktioniert die Mobilisierungsmaschinerie der AfD.

Dabei gibt es in der krisengeplagten Gesellschaft ja schon seit einiger Zeit eine Hinwendung zum Materiellen. Doch der AfD gelingt die angststiftende und antagonistische Kulturalisierung ökonomischer Themen, weil es an einer ausreichenden Materialisierung sozialer Fragen durch die Regierung mangelt und die konservative Opposition den kulturellen Diskurs mit den Schlüsselbegriffen der AfD befördert. In einer streckenweise „behämmerten“ Empörungsdebatte spielten sich jüngst Union und manche Medien auf dem kulturellen Feld der AfD die Bälle zu: „Wie die Wärmepumpe bürgerliche Kultur zerstört“ kolumniert man bei der WELT, „Energie-Stasi!“ schallt es aus der CDU. Und Schwupps fühlt man sich schon knietief in dieser „Klimadiktatur“, vor der auch Jens Spahn beim letzten „Deutschlandtag“ der Jungen Union so eindringlich warnte.

Das Ergebnis des Mainstreamings von AfD-Positionen: Mainstreaming der AfD 

Auch Markus Söder wird in seinem Widerstandskampf gegen den „Ampel-Norden“ zum Kulturkämpfer. Er wollte ja eigentlich aus seinem letzten Wahlkampf, in dem er sich in der Migrationspolitik zeitweise einen aussichtslosen Überbietungswettbewerb mit der AfD lieferte, gelernt haben. Nun aber ruft er zum Gefecht gegen den „Woke-Wahn“ auf und nennt den grünen politischen Gegner einen „Feind“. Selbstverständlich soll ein CSU-Wahlkämpfer grüne Politik und linke Diskurse scharf kritisieren, aber erneut schafft es Söder nicht, dafür eine zünftig-bürgerliche Rhetorik zu finden, sondern spricht in der „Muttersprache“ der AfD. Und obwohl, oder eher weil, da auch noch der „Fleisch-Populist“ Hubert Aiwanger unterwegs ist, liegt die AfD schon wieder bei 12 Prozent und damit über ihrem Ergebnis der letzten Bayernwahl. In Sachsen versucht es Michael Kretschmer derweil wie Markus Söder vor fünf Jahren: Er macht sich AfD-Positionen in der Migrationspolitik, etwa die Infragestellung des Grundrechts auf Asyl, zu eigen. Ausgang erwartbar: Mainstreaming von AfD-Positionen führt zu Mainstreaming der AfD.

Aber was kann man tun? Wie lässt sich überhaupt Politik machen, wenn Veränderungsdruck durch Krisen und Veränderungsangst in der Gesellschaft gleichzeitig zunehmen? Aus der Ampel hört man immer wieder den einen Satz: „Bloß nicht auf den Kulturkampf einlassen“. Das leuchtet zunächst ein, denn eine Polarisierung von Lebensstilen produziert politischen Stillstand und gesellschaftlichen Unfrieden. Klimaökonomisch folgt aus dem Kulturkampf ohnehin, dass die Kosten, insbesondere für die Verunsicherten, in Zukunft noch höher sein werden. Also ist es richtig, vor allem die soziale Absicherung und gesellschaftliche Akzeptanz des ökologischen Wandels besser zu organisieren. Man sollte dabei aber nicht den Fehler machen, die Emotionen, die mit dem klimaneutralen Umbau einhergehen, zu leugnen. Akzeptanz ist auch emotional. Insbesondere, weil Themen wie Mobilität, Ernährung und Wohnen die Lebensweise von Menschen definieren, somit per se emotional sind. Menschen denken instinktiv an ihre persönlichen Gewohnheiten, wenn diese Themen im öffentlichen Diskurs debattiert werden. Eine Alltagskulturalisierung der Transformationsthemen passiert somit automatisch. Allein mit kühler Ratio wird man im emotionalen Nahbereich von Menschen nicht überzeugen, insbesondere wenn stimmungsmachende Kräfte ein monströses Bedrohungsszenario entwerfen. Transformationspolitik muss auf dem schmalen, aber wichtigen Grat zwischen realexistierender Emotionalität und destruktiver Emotionalisierung wandern. Soll heißen: Keinen Kulturkampf, aber Kultursensibilität braucht es für die Klimaneutralität, also Empathie für das Ausmaß der Veränderungen im Alltag mancher Menschen. Die Bremer „Brötchentaste“ wurde zum Symbol der Distanz der Grünen zu dieser Alltagskultur. Besser wäre gewesen, man hätte die Parkplätze vor Bäckereien mit Schnelladesäulen garniert, sei es auch nur wegen der Sichtbarkeit der alltagstauglichen Möglichkeit zum Umstieg auf einen E-Antrieb.

Die Ampel kann sich einen bürgernahen Politikstil aneignen – und der Kanzler muss moderieren 

Das Muster des Unmuts ist bei der Unterbringung von Flüchtlingen ganz ähnlich. Bei der lokalen Auswahl von Unterkünften haben Menschen häufig das Gefühl, ihr Alltag werde nicht mitgedacht, über ihre Köpfe hinweg entschieden. Für eine Gemeinde entscheidet in der Regel die höhere Ebene, also der Landkreis, in welchem Gebäude oder an welcher Stelle Geflüchtete vor Ort untergebracht werden. Nicht selten müssen erstmal Turnhallen oder andere von Bürger:innen genutzte Flächen herhalten. Nach Coser ein „echter“ Konflikt um reale gesellschaftliche Güter. Auch hier kann ein Gefühl der Verdrängung im eigenen Nahbereich entstehen, selbst wenn die Schutzsuchenden viel Schlimmeres erleben mussten. Dabei gelang in Hamburg, ausgerechnet als ein gewisser Olaf Scholz dort regierte, schon einmal ein  empathischeres Vorgehen: 2016 suchten in dem Modellprojekt „FindingPlaces“ die Einwohner:innen nach geeigneten Flächen in ihren Stadtteilen. Eben weil sie sich dort am besten auskennen und beispielsweise wussten, welcher Spielplatz wirklich genutzt wird oder eben eigentlich auch für eine Unterkunft verwendet werden kann. Scholz sprach, vergleichsweise emotional, von  „erfreulichen“ Resultaten. Der Leiter des Hamburger Flüchtlingsstabs, Anselm Sprandel, sagte, dass Politik und Bürger:innen „viel voneinander gelernt und mehr Verständnis für die Probleme, Sorgen und Herausforderungen der jeweils anderen Seite“ entwickelt hätten. Gewiss ist die Ampel nicht für das Mikromanagement der Flüchtlingsunterbringung zuständig. Aber sie kann sich durch die Schaffung, Förderung und Präsentation solcher Modellprojekte einen bürger:innennahen Politikstil aneignen. 

Der Bundeskanzler hatte für eine Sensibilität gegenüber unterschiedlichen Lebensstilen und sozialen Lagen einst ein gutes Wort: Respekt. Heute umschifft er großräumig eine Debatte über individuelle Zumutungen. Wiederum am besten erkennbar beim Klimaschutz, den er fast ausschließlich als industriepolitisches Projekt thematisiert. Hinzukommt: Sein Ansatz politischer (Nicht-)Kommunikation, Ergebnisse sollen Erklärungen ersetzen, funktioniert am wenigsten bei langfristigen Projekten wie der Wärmewende, wo sich die Kosten sofort und der Nutzen zeitverzögert zeigen. Der Kanzler muss die Veränderungspolitik seiner Regierung moderieren. Und die Ampel muss insgesamt verstehen: Vertrauen in Veränderung braucht das Versprechen auf soziale, ökonomische und alltagskulturelle Sicherheit. Diese Faktoren sind neben geordneten Abläufen auch für die Akzeptanz in der Migrationspolitik enorm wichtig.

In keiner westlichen Demokratie wurden Populisten „entzaubert“, indem man sie an der Macht beteiligt hat 

Bei allem Verständnis für Veränderungssorgen sollten die demokratischen Kräfte jedoch eine Tatsache nicht unter den Tisch fallen lassen: Fast ein Fünftel des Elektorats erwägt ernsthaft, einer in ziemlich weiten Teilen rechtsextremen Anti-System-Partei ihre Stimme zu geben. Das ist nicht nur ein Verunsicherungsphänomen, sondern vorrangig ein Demokratieproblem. Diese Entwicklung kommt nicht wirklich überraschend. Umfragedaten zeigen schon seit ein paar Jahren: Je länger es die AfD gibt, desto „normaler“ wird sie von der Bevölkerung eingeschätzt. Normalisierung und Radikalisierung der AfD verlaufen erstaunlich synchron. Neben banaler Gewöhnungseffekte und dem Mainstreaming ihrer Rhetorik, ist ein zentraler Integrationstreiber die Kooperation mit der AfD auf Landes- und Kommunalebene. In keiner westlichen Demokratie wurden Populisten und Extremisten langfristig „entzaubert“, indem man sie an der Macht beteiligt hat. Im Gegenteil: Sie werden in den Institutionen politisch wirksam und können ihren Wählerinnen und Wählern endlich handfeste Leistungsnachweise bieten. Nicht mit kurzfristiger Integration, sondern mit dauerhafter Isolation wird man extremen Kräften langfristig beikommen können. Und das erfordert demokratische Standhaftigkeit und einen langen Atem.

Dieser Beitrag unseres Policy Fellows Johannes Hillje ist zuerst am 8. Juni bei ZEIT Online erschienen.

Autor

Dr. Johannes Hillje ist Politik- und Kommunikationsberater in Berlin und Brüssel. Er berät Institutionen, Parteien, Politiker, Unternehmen und NGOs. Zur Europawahl 2014 arbeitete er als Wahlkampfmanager der Europäischen Grünen Partei. Zuvor war er im Kommunikationsbereich der UN in New York und in der heute.de-Redaktion des ZDF tätig.
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